Diplomatie der Äpfel als Hoffnungsträger

Nach über 30 Jahren Funkstille auf dem Golan kommt es zwischen Israel und Syrien zu einem ungewöhnlichen Deal: 7.000 Tonnen Äpfel passieren die Waffenstillstandslinie in Richtung Syrien. Aktion weckt Hoffnungen auf Annäherung

DAMASKUS taz ■ Vorsichtig steuert Ruth Gideon Mbithi den Rote-Kreuz-Transporter unter dem syrischen Schlagbaum hindurch. Ihre Fracht – Äpfel vom israelisch besetzten Golan – ist mehr als delikat. Denn die Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Syrien auf dem Golan ist seit über 30 Jahren abgeriegelt, die Einfuhr israelischer Produkte nach Syrien streng verboten.

Ein hebräischer Schriftzug löst in Syrien Panik aus, die insgesamt 7.000 Tonnen Äpfel kommen deshalb in unbeschrifteten Kisten. „Das sind syrische Äpfel, von syrischen Bauern auf syrischem Boden angebaut“, betont Ismail Meri, Parlamentsabgeordneter für den Golan. Das israelische Außenministerium lobt den Deal indes als ersten Schritt in Richtung normale Handelsbeziehungen zwischen den verfeindeten Nachbarn.

Tatsächlich stammen die Äpfel von syrischen Bauern, die unter israelischer Besatzung leben und ihre Ernte normalerweise in Israel und Palästina verkaufen. Nachdem sie ihre Äpfel im vergangenen Herbst nicht loswurden, wandten sie sich an das Internationale Rote Kreuz (IRK), damit dieses einen „Export“ nach Syrien ermöglichten. „Natürlich ist es normalerweise nicht unser Job, Äpfel zu transportieren“, sagt Jean-Jacques Fresart, IRK-Delegationsleiter in Damaskus. „Aber unsere Aufgabe ist es, Menschen zu helfen, die unter Besatzung leben.“

Fünf Monate verhandelten die Rote-Kreuz-Leute und kämpften mit logistischen Problemen. Wer sollte die Äpfel nach Syrien bringen? Und worin? Die Lkws der Golan-Bauern haben israelische Nummernschilder und kommen nicht nach Syrien, das Gleiche gilt umgekehrt für syrische Fahrzeuge. „Weder Jerusalem noch Damaskus wollte eine direkte Begegnung auf dem Golan“, so Fresart. Die einzige Lösung waren sechs Rote-Kreuz-Transporter mit kenianischen Fahrern.

Ruth, einzige Frau unter den Fahrern, ist zufrieden. „Bisher läuft alles problemlos.“ Auf israelischer Seite packen die Bauern ihre Kisten in Ruths Laster, ein paar hundert Meter weiter laden syrische Arbeiter diese auf syrische Lkws um. Vorher werden die Äpfel mit einem Geigerzähler auf Radioaktivität geprüft – die Israelis könnten schließlich versuchen, syrische Apfelesser zu verseuchen.

Das Misstrauen sitzt tief zwischen den Nachbarn. Regelmäßig macht Jerusalem die syrische Regierung für palästinensische Attentate verantwortlich, da die politischen Führer von Hamas und Islamischem Dschihad in Damaskus residieren. Gesprächsangebote des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad hat Israel zurückgewiesen. Im Gegenzug drohte die Regierung Scharon zuletzt mit militärischen Angriffen. Das politische Klima könnte frostiger kaum sein, der Apfelhandel hat alle Beteiligten überrascht. Ein Zeichen politischer Entspannung?

„Diese Aktion hat nichts mit Politik zu tun“, winkt Medhat Saleh ab. Der Exparlamentarier, der selbst vom Golan stammt, betont, es gehe ausschließlich um humanitäre Hilfe. „Israel muss die 1967 besetzten Gebiete räumen, wie es die internationalen Resolutionen vorsehen.“ Alles beim Alten? IRK-Chef Fresart bestätigt, dass Syrer und Israelis im Zusammenhang mit dem Apfeltransport keine direkten Kontakte hatten. Doch gebe es auf beiden Seiten Pragmatiker. Deshalb weckt die Aktion Hoffnungen. Nach den Golan-Äpfeln könnten demnächst Golan-Bewohner nach Syrien zu Besuch kommen. Sollten Damaskus und Jerusalem zustimmen, könnten sich Familien wiedersehen, die seit Jahrzehnten getrennt sind. Dann hätten die Äpfel doch etwas ausgelöst: einen routinierteren Umgang mit der Besatzung.

KRISTIN HELBERG