Der Wessi soll gehen

Sollen frühere Stasimitarbeiter heute öffentliche Ämter besetzen dürfen? Ja, finden die Bewohner von Schönberg, einer Stadt in Nordwestmecklenburg, und wollen ihren Bürgermeister zurück – der musste jetzt wegen seiner Stasivergangenheit gehen

■ Schönberg ist eine alte Bischofsstadt und liegt am Fluss Maurine. Es ist Verwaltungssitz des Amtes Schönberger Land. Durch ihre Lage direkt am sogenannten Sperrgebiet der Westgrenze der DDR geriet die Stadt damals ins Abseits, seit der Wiedervereinigung erholt sie sich langsam. Neben mittelständischen Unternehmen der Möbelproduktion und der IT-Branche haben sich zahlreiche kleinere Handwerksunternehmen gegründet.Die politischen Verhältnisse in Schönberg sehen wie folgt aus:

■ Die Sitzverteilung vor der Wahl am 7. Juni: LWS (Liberale Wählergemeinschaft): 4; SPD: 3; CDU: 2; Linke: 5; UWG (Unabhängige Wählergemeinschaft): 1

■ Und nach der Wahl am 7. Juni: LWS: 3; SPD (jetzt Schönberg in Verantwortung): 2; CDU: 2; Linke: 7.

■ Der Bürgermeister, der extra gewählt wird, ist das Zünglein an der Waage.

VON SIMONE SCHMOLLACK

Am Ende steht Michael Heinze auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Sitzungssaal des Amts Schönberger Land, umringt von Medien und von Schönberger Bürgern. Manche klopfen ihm auf die Schulter und sagen: „Wir halten zu Ihnen.“ Michael Heinze, 52, ist der Star des Abends. Aber das kann er nicht genießen, denn er hat verloren. Bis eben noch war Michael Heinze Bürgermeister von Schönberg, einer 4.422 Einwohner zählenden Kreisstadt in Nordwestmecklenburg. Am 7. Juni dieses Jahres, bei den letzten Kommunalwahlen, haben die Schönberger den Linke-Mann zum zweiten Mal zu ihrem Oberhaupt gemacht, damals bekam er 72 Prozent der Stimmen. Und jetzt, an diesem Dienstagabend, wurde er vom Stadtparlament abgesetzt.

Die Schönberger ahnten schon, dass das passieren würde, und sie wollten es verhindern. Vor der Parlamentssitzung haben sie sich gegenüber auf dem Marktplatz versammelt, etwa 100 Leute wollen eine „friedliche Kundgebung“ abhalten. Sie haben Plakate dabei, auf denen steht: „Sachpolitik statt Hetzjagd“ und: „Die Bürger haben gewählt.“ Und jetzt sind sie enttäuscht. Unter Buhrufen verlassen sie den Sitzungssaal, es fallen Sätze wie: „Schöne Demokratie ist das“ und: „Der Wessi soll dahin zurückgehen, wo er hergekommen ist.“

Was war passiert? Das Ganze beginnt mit dem Wahlergebnis vom 7. Juni, kurz nachdem die Wahlzettel ausgezählt sind und klar ist, dass Michael Heinze ein zweites Mal die Geschicke der Stadt lenken wird. Seitdem findet Schönberg keine Ruhe mehr.

„Heinze war Stasimann, darüber hat er nie richtig Auskunft erteilt, er hat das Parlament arglistig getäuscht“, sagt Helmut Preller. Er sitzt in seinem riesigen Atelier mit offener Galerie, zwischen Bildern, Büchern und alten Möbeln. Früher war das Haus ein Hotel mit Kneipe, Tanzsaal und vielen Gästezimmern. Preller, 58, hat das Gebäude vor fünf Jahren gekauft, er wohnt allein hier und arbeitet als Künstler und Dichter. Jetzt denkt er über ein Projekt mit André Heller nach, dem anstrengenden österreichischen Aktionskünstler. Die Vorhänge an der Eingangstür sind zugezogen, es wirkt, als habe Preller sich verbarrikadiert. Er sagt: „Manchmal ist es schon frustrierend hier.“ Die Schönberger mögen Preller nicht, er ist hier „der Wessi“. Preller ist von Hamburg in die frühere Grenzstadt gezogen, 17 Kilometer sind es bis nach Lübeck. Aber die Schönberger lehnen Preller nicht ab, weil er „von drüben“ kommt, sondern weil er „so eine große Schnauze“ hat, wie ein Mann sagt. Helmut Preller hat die Sache gegen Heinze in Gang gebracht, er hat gegen die Rechtmäßigkeit von Heinzes Wahl Einspruch eingelegt. Helmut Preller ist so etwas wie der Hubertus Knabe von Schönberg. „Ich bin seit Wochen nur damit beschäftigt“, sagt er.

Man sagt Heinze nach, dass er sich einsetzt für seine Stadt und dass er ein Mann des Volkes ist

Worum geht es überhaupt? Als Michael Heinze 2004 das erste Mal Schönberger Bürgermeister wurde, hat er sich nicht offen dazu bekannt, für die DDR-Staatssicherheit als Informeller Mitarbeiter unter dem Decknamen „Richard“ gearbeitet zu haben. So sagt es Helmut Preller. „Er musste, bevor er als ehrenamtlicher Bürgermeister ernannt wurde, ein Formblatt ausfüllen und unterschreiben. Und er musste die Frage beantworten, ob er für die Stasi gearbeitet hat oder nicht. Und das hat er nicht getan“, sagt Preller: „Er hat alle arglistig getäuscht.“ Heinze sollte ankreuzen, ob er Stasi-Zuträger war oder nicht. Er hat die Kreuze einfach nicht gesetzt. Michael Heinze sagt es anders. Er war Kommandeur der DDR-Grenztruppen, zuerst in Salzwedel und in Dresden, später in Schönberg. Heinze: „Das wusste jeder hier in Schönberg.“

Michael Heinze ist ein durchtrainierter, gerader Mann, das Haar ist korrekt geschnitten. Manchmal, wenn er spricht, kann man sich vorstellen, wie er als Kommandeur Befehle gegeben hat. In der Sitzung, bevor er abgesetzt wird, weist er andere Redner auch gern zurecht. Als die Menschen auf dem Marktplatz zusammenkommen, fahren drei Polizeiwagen vor. Das geschätzte Durchschnittsalter der Demonstranten ist 65, einige kommen mit Rollator, andere stützen sich auf Krücken ab. Die Sonne brennt, aber das macht nichts. Astrid Welke tritt ans Mikrofon, sie ist nicht in der Linken, aber sie hat die Demo mit einem Genossen organisiert. „Herr Heinze macht gute Politik, er ist der beste Bürgermeister, den die Stadt je hatte“, sagt die 49-jährige Leiterin der Kunstschule in Schönberg. Und: „Wir lassen uns nicht von Menschen, die nicht in der DDR gelebt haben, vorschreiben, wie wir mit unserer Vergangenheit umzugehen haben“, spricht sie ins Mikro. Die Menschen klatschen, lange und laut. Helmut Preller trägt an diesem Tag Schwarz, als Zeichen, wie er sagt: „Wo kommen wir denn hin, wenn ehemalige Stasimitarbeiter öffentliche Ämter besetzen?“ Was aber hat er erwartet in einer Stadt wie dieser, in der früher über die Hälfte der Bewohner bei den Grenztruppen gearbeitet hat? „Die Bürger von Schönberg wissen nicht, was richtig ist, worum es geht“, sagt er. Und: „Auch die Medien schreiben nicht das, was sie sollen.“ Es sind Sätze wie diese, mit denen sich Helmut Preller keine Freunde macht. Aber das scheint ihm egal zu sein: „Auf solche Freunde kann ich verzichten.“ Ein älterer Mann sagt bei der Demo auf dem Marktplatz: „Herr Preller entfernt sich von den Schönberger Bürgern.“

Ist das Ganze nun ein persönlicher Streit zwischen einem liberalen Wessi und einem linken Ossi? Geht es um Vergangenheit, die Stasi und den heutigen Rechtsstaat? Das glauben die wenigsten Schönberger. Vielmehr geht es, da sind sie sich einig, um die aktuelle Politik, um die letzte Kommunalwahl, denn die hat die politischen Mehrheiten verschoben. Vor der Wahl am 7. Juni hatte ein Bündnis aus CDU, SPD und LWS, der Liberalen Wählergemeinschaft, die Mehrheit in der Stadtvertretung und konnte gegen die zahlenmäßig stärkste Fraktion, die der Linken, Beschlüsse fassen. Nach der Kommunalwahl hat die Linke noch mehr Stimmen bekommen, es ist eine Pattsituation entstanden. Und weil der Bürgermeister extra gewählt wird und es diesmal wieder Michael Preller wurde, ist die Linke nun stärker. „Das passt den anderen nicht, die können nicht akzeptieren, dass sie verloren haben und damit keine Mehrheit mehr“, sagt eine junge Frau.

Auch Michael Heinze vermutet das: „Schon 2005 habe ich gesagt, dass ich IM war, damals hätte jeder ein Verfahren anschieben können, aber das niemand gemacht.“ Vielleicht ist es die Wahrheit, vielleicht passt es aber auch gerade gut als Argument.

■ 20 Jahre nach der Wende gerät ins Blickfeld der Öffentlichkeit, dass noch immer tausende Mitarbeiter der früheren DDR-Staatssicherheit im öffentlichen Dienst der Länder beschäftigt sind. 17.000 waren es nach der Wende. Die Zahl fiel auch deshalb so hoch aus, weil mit den damaligen Überprüfungen von Ort zu Ort recht unterschiedlich umgegangen wurde. In manchen Fällen reichte die bloße Stasivergangenheit, um eine Anstellung zu verhindern. Andernorts wurde genauer hingeschaut, was der jeweilige Beschäftigte für die Stasi wirklich gemacht hat.

■ Schon im deutsch-deutschen Einigungsvertrag wurde festgeschrieben, dass eine frühere Stasimitarbeit zur Kündigung eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst führen kann. Einen Zwang zur Kündigung gab es nicht. Im Stasi-Unterlagen-Gesetz wurde nur die Regelanfrage für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes festgeschrieben. Demnach wurde jeder, der eingestellt werden wollte, auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für den DDR-Geheimdienst hin überprüft. Diese Regelung lief 2006 aus. Bis 2011 sind Prüfungen bei Verdachtsmomenten möglich.

Man sagt Heinze nach, dass er sich einsetzt für seine Stadt, dass er jederzeit für jeden ansprechbar ist, dass er ein Mann des Volkes ist. Und schließlich haben ihn 72 Prozent der Leute gewählt. Helmut Preller hat dazu seine eigene Rechnung: „Die Wahlbeteiligung lag bei 40 Prozent, davon 72 Prozent, macht gerade mal ein Drittel der Schönberger, die auf Seite des Bürgermeisters sind.“

Astrid Welke hat Gregor Gysi, den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, um Schützenhilfe gebeten. Die wird kommen, soll Gysi gesagt haben, aber erst im August. Und dann sollte es, wegen der Glaubwürdigkeit, besser jemand aus den alten Bundesländern sein.

Am heutigen Donnerstag findet die konstituierende Sitzung des neuen Stadtparlaments statt. Diesmal wird auch Helmut Preller mit dabei sein. Er ist sogenannter Nachrücker. In den vergangenen Wochen sind drei LWS-Mitglieder aus Protest gegen Michael Heinze zurückgetreten. Am Donnerstag wird auch der „Fall Heinze“ noch einmal zur Sprache kommen.