Geschehenes verstehen

MIGRATION UND RASSISMUS Manuela Bojadzijevs historische Analyse der migrantischen sozialen Kämpfe

Bojadzijevs Verdienst ist es, die Kämpfe geradezu plastisch wieder aufleben zu lassen

VON JOHN KANNANKULAM

In Zeiten, in denen MigrantInnen in Italien mit rhetorischer Unterstützung der Regierung gejagt werden und wild streikende britische Arbeiter gegen italienische und portugiesische Kollegen „british jobs for british workers“ fordern, stellt sich auch die Frage nach den Kämpfen der MigrantInnen selber.

Ein Beitrag dazu ist das Buch „Die windige Internationale“ der Politologin Manuela Bojadzijev, die feststellt, dass, „auch wenn die Migration inzwischen in der Geschichtsschreibung Anerkennung gefunden hat“, die Kämpfe und der antirassistische Widerstand von MigrantInnen weiterhin nur am Rande auftreten.

Vor dem Hintergrund rassismustheoretischer Debatten fordert Bojadzijev einen Perspektivwechsel zur Bestimmung der Konjunkturen dieser Kämpfe ein. In diesen Perspektivwechsel eingeschlossen sind auch jene Konflikte, die über den Widerstand gegen Rassismus im engen Sinne hinausgehen, wie etwa Auseinandersetzungen um Wohnverhältnisse, Fragen von Bildung und Gesundheit, aber auch Arbeitskämpfe, die sich in von MigrantInnen getragenen „wilden Streiks“ äußerten.

Gegenüber Vorstellungen, wonach Migration sich wie ein Wasserhahn an- und abstellen ließe, zerstört Bojadzijev in ihrer historischen Rekonstruktion den Mythos, dass Migrationsbewegungen in der Bundesrepublik erst durch die Anwerbeverträge in Gang gesetzt wurden, und widmet sich stattdessen den Kämpfen von MigrantInnen selber, um schließlich der Frage nachzugehen, „in welcher Weise die Forderungen und Kämpfe wiederum in staatliche Vereinnahmungsstrategien eingegangen sind“.

Bojadzijev stellt klar, dass die Praktiken der MigrantInnen, die Einwanderung zu organisieren, „im direkten Verhältnis zu den Migrationspolitiken stehen, die sie zu kontrollieren suchen“ – so stellen beispielsweise die historisch sich wandelnden Einwanderungsmodalitäten Reaktionen auf das Handeln der MigrantInnen dar. Aus der Perspektive der „Autonomie der Migration“ gegenüber staatlichen Kontrollversuchen geht es ihr darum, zu zeigen, wie sich das „Gastarbeitersystem“ als sozialer Kompromiss herausbildete, an dem Gewerkschaften, Unternehmen, staatliche Apparate, Wohlfahrtsverbände, politische Parteien und schließlich migrantische Netzwerke selbst beteiligt waren.

Das Thema Migration hat Bojadzijev zufolge eine zentrale Rolle für die Kämpfe des so genannten Massenarbeiters der Sechziger- und Siebzigerjahre gespielt. In Analysen, die die „Spaltung der Arbeiterklasse“ in Deutsche und Ausländer zu politisieren suchten, werde verkannt, dass „die Segmentierung selbst Ausdruck von Rassismus ist“. Arbeitsorganisation und die Arbeitsteilung gründeten vielmehr auf einem bestimmten historischen Kompromiss, so die Autorin: „Zu dem Zeitpunkt, als es den Kämpfen der Arbeiterbewegung gelingt, bestimmte, schwierige, gesundheitsschädliche etc. Tätigkeiten abzulehnen, kommt es zu einer Neuzusammensetzung. Die niedrigere Arbeit wird einer anderen Kategorie von Arbeitskraft zugeordnet, die aufgrund ihres rechtlichen Status nicht direkt in Konkurrenz steht. Der ‚nationalen Arbeiterklasse‘ werden ‚höhere‘ und ‚qualifizierte‘ Tätigkeiten der Werksarbeit garantiert und sie kann gegenüber den niedrigeren Arbeiten abgeschottet werden. Die Einheit der Arbeiter ist gerade durch dieses System verhindert worden.“

Mit dem vom DGB initiierten Anwerbestopp im Jahre 1973 fand dieses System zumindest sein formales Ende. Gleichzeitig wurde die rechtliche Figur des „Gastarbeiters“ als dominante Figur abgeschafft, und es etablierte sich diskursiv die neue Kategorie des „Ausländers“, die die Forderung nach gleichen Rechten vollständig absorbierte. Denn mit dem neuen Dispositiv der „Integration auf Zeit“ von „Ausländern“ wird angezeigt, dass es sich hier um einen „Bevölkerungsteil handelt, der zwar in Deutschland lebt, aber nicht Teil der deutschen Gesellschaft ist“. Die hier mitschwingende Konstruktion der kulturellen Differenz und Identität findet später im Konzept des Multikulturalismus seine Ausarbeitung, so die Autorin.

Bojadzijev lässt in der Darstellung etwa des Frauenstreiks von 1973 bei der A. Pierburg AG in Neuss oder des Mietstreiks der Jahre 1970–74 in Frankfurt die Kämpfe geradezu plastisch wieder aufleben. Darin liegt unter anderem die Stärke dieses Buches. Es ist ein Beispiel für eine wirklich gelungene Form der Geschichtsschreibung von unten und ein Muss für alle, die sich mit dem Thema beschäftigen.

■ Manuela Bojadzijev: „Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration“. Westfälisches Dampfboot, Münster 2008, 310 Seiten, 29,90 Euro