Das Schwappen der Wellen

Das Meer, der Norden: Sünje Lewejohann hat mit „Am Sonntag will Gott zu Atem kommen“ einen Debütroman über die Liebe zum Land, über Mythen und übers Munkeln geschrieben. Ein Porträt

VON ANNE KRAUME

Munk liegt weit ab. Munk ist eine Halbinsel in der Ostsee, eine ausgedachte, und sie hat eine Bucht, die Munkerbucht heißt. Das Dorf, in dem die Menschen auf Munk leben, heißt auch Munk, so wie die ganze Halbinsel. Munk auf Munk ist die Heimat von Asta, der Protagonistin in Sünje Lewejohanns Debütroman „Am Sonntag will Gott zu Atem kommen“ (DuMont Verlag, Köln 2005, 17,90 Euro). Munk liegt weit ab, sogar wenn man dort ist.

Sünje Lewejohann sitzt im Café mitten in Berlin und lacht, wenn die Sprache auf Munk kommt. Sicher, die Halbinsel, die sie in ihrem Roman Munk genannt hat, gibt es auch in Wirklichkeit, nur heißt sie da nicht Munk. Sünje Lewejohann wurde 1972 in Flensburg geboren und ist in einem Dorf in der Nähe aufgewachsen. Das Weitab-Gelegene ist ihr vertraut, auch wenn sie seit Jahren in Berlin lebt. Am Anfang, so erzählt sie, in ihren ersten Wochen und Monaten in Berlin, da sei sie manchmal den Ku’-damm entlanggegangen, habe sich die Leute angeschaut, die ihr entgegenkamen, und sei dann erschrocken: „Die sahen ganz anders aus als ich – ich war so viel ländlicher, in meiner Kleidung, in meinem Gang, in allem!“

„Asta trägt Munk in sich, man kann es an ihr sehen, man wird es immer an ihr sehen“, schreibt Lewejohann über die Protagonistin in ihrem Roman. Wie Sünje Lewejohann selbst verlässt Asta ihr Dorf im Blauen, um in der Stadt zu leben, zumindest für eine Weile. Sie verlässt einen archaischen Ort, der in seinem Stillstand bedrohlich ist, und kehrt schließlich zurück, um ihn gewaltsam aufzubrechen. Einerseits ist ihre Geschichte eine ganz andere als die der Autorin, die seinerzeit zum Germanistik- und Skandinavistikstudium nach Berlin gekommen ist – aber dennoch: Der Gegensatz von Stadt und Land ist andererseits stark und persönlich in dem Roman, auch wenn die Stadt namenlos bleibt und das Land mythisch verfremdet ist.

„Im Dorf gibt es viel engere Beziehungen als in der Stadt – darauf gründet meine Geschichte“, sagt Lewejohann dazu. Die soziale Kontrolle, die Mechanismen des Ein- oder Ausschlusses – das alles habe ja auch seine guten Seiten: „Im Dorf kann man nicht so leicht verloren gehen wie hier in der Stadt!“ Aber in dem Dorf im Roman haben sich die Schwerpunkte verschoben, das Miteinander der Menschen funktioniert nicht mehr. Es ist kein Zufall, dass im Namen der Halbinsel und des Dorfes das Verb „munkeln“ anklingt: „Sie würden sich die Hände vor die Münder halten und munkeln und flüstern und zischeln“, heißt es an einer Stelle des Romans über die Bewohner von Munk. In dem Café mitten in Berlin, das Sünje Lewejohann vor diesem Treffen nicht gekannt hatte – „Ich komm’ ja nie aus meinem Kiez raus!“ –, werden jetzt die Tische für eine größere Abendgesellschaft zusammengeschoben.

Lewejohann zündet sich noch eine Zigarette an und rutscht auf der roten Lederbank nach hinten. Sie lacht, als wir über die Parallelen zwischen dem Kiez und dem kleinen Dorf reden: „Ja, das stimmt schon: In Berlin spalten sich die einzelnen Stadtteile vom großen Ganzen ab und werden selbst zu Dörfern. Seit ich im Bioladen am Kollwitzplatz gearbeitet habe, kann ich da auch nicht mehr über die Straße gehen, ohne jemanden zu treffen, den ich kenne.“

Aber in Lewejohanns Roman geht es nicht nur um Dorf oder Stadt. Die Kulisse ist nicht nur dörflich oder städtisch, sondern sie ist vor allem nördlich und maritim. An der Halbinsel nagt und drückt das Wasser: „Munk wird jeden Tag kürzer und dünner.“ Es gibt auf Munk eine Steilküste und eine „mickrige Brandung“, man hört das Schwappen der Wellen und die Möwen in der Luft, am Ufer versammeln sich die Angler und im Winter gefriert die Förde. „Ich habe immer Sehnsucht nach dem Meer – und seiner Weite, die ganz im Gegensatz zu der Enge des Dorfes steht“, sagt Sünje Lewejohann, die just am Tag vor unserem Treffen nach einer Woche am Meer zurück nach Berlin gekommen ist. Als sie in Flensburg zur Schule ging, da saß sie nachmittags mit ihren Freundinnen am Hafen. Jetzt lacht sie wieder, als sie erzählt, dass ihr kürzlich Fotos aus dieser Zeit, Ende der Achtzigerjahre, in die Hände gefallen sind: „Da waren wir alle Punks, und sahen ganz toll aus!“

Das Meer und die Besonderheiten des Nordens: Man hört ja dieser Tage wieder viel von der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein – Sünje Lewejohann gehört zwar nicht dazu, aber sie hat eine dänische Schule besucht, in der alle Fächer auf Dänisch unterrichtet wurden. Diese Form der Zweisprachigkeit habe sie bestimmt geprägt, meint sie, sogar so sehr, dass ihrem Lektor jetzt bei der Arbeit an dem Roman ein dänisches Wort darin auffiel, das Lewejohann bisher immer für deutsch gehalten hatte. „Eigentlich habe ich aber immer nur auf Deutsch geschrieben, nie auf Dänisch“, sagt sie, die zwar schon als Schülerin schrieb, aber nur „Sachen ohne Wert“, wie sie heute meint.

Richtig angefangen zu schreiben hat sie erst 2000 – danach ging alles sehr rasch: Heute studiert Sünje Lewejohann am Literaturinstitut in Leipzig, 2003 hat sie in Klagenfurt und beim Open Mike gelesen, bis vor kurzem war sie außerdem Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift Edit. Dass sie damit aufgehört hat, liegt an all den Verpflichtungen, die das Erscheinen eines ersten Romans so mit bringt: „Ich hätte auf der Buchmesse in Leipzig nicht gleichzeitig die Edit und meinen eigenen Roman vertreten können.“ Die Aufregung und die Vorfreude sind ihr deutlich anzumerken, wenn sie über ihren straffen Terminplan in diesen Wochen erzählt. Aber andererseits weiß sie auch schon, wie klein der Literaturbetrieb eigentlich ist: „Du siehst dann doch immer wieder dieselben Gesichter, ob in Klagenfurt, auf der Buchmesse oder beim Open Mike!“ So gesehen ist natürlich auch der Literaturbetrieb ein Dorf.