Wie es ihr gefällt

Findet Sarah Kuttner etwas gut, dann richtig. In Ihrer Viva-Show feiert sie ihre ganz persönlichen Favoriten – und lädt jetzt auch noch alle zur eigenen Revue „Kuttner on Ice“

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Bei Sarah Kuttner herrscht Willkür. Die Willkür ihrer eigenen Meinung. Immer im Wechsel zwischen pubertärem Quatsch, ätzender Kritik, rotziger Vulgarität und grandioser Egomanie findet die 26-jährige Viva-Moderatorin, die seit zehn Monaten eine TV-Show ihr Eigen nennen darf, mal was gut und mal was schlecht. Sie zertritt Käfer live vor der Kamera auf dem Studioboden, erklärt Arschgeweih-Stretchhosen zum „Mist der Woche“ und lesbisch-schwule Outlaw-Inseln vor Australien zum „Gutfinder der Woche“. Sie hasst Alexander Klaws, und sie liebt Adam Green. Ihre Gründe für das Dafür- oder Dagegensein sind radikal subjektiv und verweigern sich jeder Debatte. Ihr Bauch ist ihr König, und der meldet sich pfeilschnell und lautstark zu Wort. Gut oder schlecht finden funktioniert bei der Berlinerin mit einer Mischung aus Witz, Spontaneität, Vulgarität und einer Meinungsstärke, die ihresgleichen sucht.

Gottlos und frech

Man hat das Gefühl, die krisengebeutelte und orientierungslose Jugend starrt oft eher verwundert auf diese furiose Zurschaustellung glasklarer Nullen und Einsen. Vielleicht bekommt Kuttner deshalb so viel Zuschauerpost, in der sie als „gottlos und frech“ bezeichnet wird und man sich beschwert über den häufigen Gebrauch böser Wörter wie „Scheiße“ oder „Arschloch“. Vielleicht polarisiert Sarah Kuttner die Welt mit ihrer Meinung, bevor ihre Zielgruppe nur ein Fitzelchen dieser Welt verstanden hat. Was soll’s, würde sie wohl sagen, mit meiner Zielgruppe habe ich nur so viel zu tun, dass ich ihnen von meinen Gutgefundenen erzähle und sie, wenn sie das Gutgefundene auch gut finden, als Nachmacher schmähe. Das ist Sarah Kuttners ganz privater Rock ’n’ Roll.

Mit Solidarität und Jugendbewegtheit hat sie so wenig am Hut wie mit drogengestützter Selbstverlusterfahrung. Wenn ihr Sidekick Sven Schuhmacher in der Sendung zur Gitarre greift und grinsend sein Protestanten-Liebhabe-Liedchen „Aufstehn, aufeinander zugehn, voneinander lernen, miteinander umzugehn“ anstimmt, umarmt sie nur mit gequältem Gesicht ihre Studiogäste. Sarah Kuttners Rock ’n’ Roll will nicht gestört werden, will einsam und trotzig „Ich will!“ schreien. Sarah Kuttner findet manches so unglaublich gut und will es so sehr immer wieder sagen, dass sie clever ihre öffentliche Rolle nutzt, um sich eine immer größere Bühne zu besorgen.

Morgen heißt diese Bühne Columbiahalle. Im Alleingang hat Sarah Kuttner „Kuttner on Ice – Die Revue zur Show“ in Berlin organisiert. In allen zum Thema geführten Interviews hat sie die immer gleichen Informationen ventiliert: Der Name „on Ice“ klinge so super, so nach Konfetti und Glamour. Wenn man groß ist, muss man damit was machen, hat sie zu einem Freund gesagt, und dann hat sie’s einfach gemacht. Viva wollte nicht mitveranstalten, weil die ihr das nicht zugetraut haben. Da hat Kuttner ihre ganz persönlichen Favoriten selbst antelefoniert, und alle haben Ja gesagt: die schwedischen Lederjacken-Beaus von Mando Diao, die mit topsozialistischem Ansatz gesegneten The (International) Noice Conspiracy, das aus unerfindlichen Gründen zum Chartbreaker mutierte Singer- Songwriter-Burscherl Adam Green und natürlich Kuttners spezieller Liebling Moneybrother.

Der smart-schlaksige Moneybrother a. k. a. Anders Wendin ist als Künstler mittlerweile ganz „Der aus der Kuttner-Show“. Über Monate hinweg durfte er ihr die Einspielerrubrik „Moneybrother singt Karaoke“ machen. Wirklich begeistert von seinen sympathischen, aber auch sehr langen und weiligen Bildschirm-Absingereien war lange Zeit ausschließlich Sarah Kuttner. Sie setzte sich für ihren „dünnen Schwedenmann, der mein Herz geklaut hat“, ein wie eine Raubtiermutter für ihr Junges. Einem Mädchen aus dem Showpublikum, das es allzu berechenbar fand, dass die Redaktion den Moneybrother zum Künstler des Jahres 2004 erkoren hatte, wies sie brutal die Studiotür. Solcher Einsatz zahlt sich aus: Am Sonntag in der Columbiahalle wird Anders Wendin merken, dass sich niemand mehr ein „Einspruch, Euer Ehren!“ erlaubt. Kuttners Begeisterung wird auf das „Klatschvieh“, wie sie ihr Publikum gerne nennt, abgefärbt haben. Moneybrother wird dankbar als Kultobjekt angenommen.

„Ich tu mal was für mich“

Stefan Raab fragte Kuttner, ob sie nicht mal was für die Deutschen im Pop hätte tun können. Sie antwortete entnervt: „Ich dachte, ich tu mal was für Sarah Kuttner!“ Das war ehrlich, und ihr Ego darf jubeln: 3.500 Karten für die Eisrevue in sechs Tagen ausverkauft. Darauf ist sie „gottverdammt stolz“ und erträumt sich den Kampf um die verbleibenden 100 Karten der Abendkasse als „so Menschentrauben, mit Schlafsack und Kaffee“. Auch in dem Punkt wird sie nicht enttäuscht werden. Ihre unerschütterliche Liebe zu den Herren Green, Mando Diao und (International) Noise Conspiracy muss sie sich, auch wenn es ihr wahrscheinlich nicht passt, mit allen Oberstuflern, Zivildienst Leistenden und Grundstudiumsstudenten des Landes teilen. Am liebsten stünde sie wohl allein in der Konzerthalle, wissend, dass 3.500 Stück Klatschvieh gerne gekommen wären, aber nicht durften.

Partout nämlich will sie keine Identifikationsfigur für ihre Generation sein. Sie sagt, sie habe keine Ahnung, wie andere 26-Jährige ticken. Sie sei eigentlich ein langweiliges Mädchen, das weder zum Tanzen ausgeht noch Alkohol trinkt. Damit macht es sich die Tochter des Berliner Radiotalkers und Videoschnipslers Jürgen Kuttner, die immerhin seit 2001 bei Viva Sendungen wie „Interaktiv“ moderierte, bevor sie ihre eigene Show bekam, ein bisschen einfach. Damit weist sie jegliche Verantwortung von sich. Vielleicht glaubt sie, dass sie nur so authentisch bleiben und ihre Moderatorinnenrolle als ihr ganz eigenes Ding gestalten kann. Sie gibt sich unablässig kratzbürstig und überschwänglich zugleich, ist Riot Grrrl in dritter Generation und sagt gleichzeitig, dass sie findet, Jungs und Mädchen hätten heute die gleichen Chancen, trägt den fünfzackigen Stern auf Arm und Sendungslogo und will doch völlig apolitisch sein. Wie sehr Sarah Kuttner mit ihren kontinuierlichen Meinungsfurzen aber auch versucht, erstens immer nur sie selbst und zweitens aber auch bitte nicht greifbar zu werden: Für ihr Publikum ist sie längst ein wenn auch nicht unumstrittenes Vorbild.

Sie musste es fast zwangsläufig werden, ist Sarah Kuttner doch als Einzige übrig geblieben, um im gruselig verstümmelten deutschen Musikfernsehen Jungs und Mädchen mit langen Ponies und Gitarren eine Bühne zu bieten. Charlotte Roche und „Fast Forward“, einstige Herrscher über das Lager der Independent-Musik, mussten mit der Viacom-Übernahme des Senders Viva und der kastrationsartigen Programmreform zum Jahreswechsel abdanken. „Kuttner – Die Show“ ist seit August 2004 zum Fernsehrefugium für Noch- nicht-so-sehr-Mainstream-Stars geworden, die sich zwischen all den gepimpten Autos, dismissten Machos und gecharteten Klingeltönen auf ihrem Weg zum Abnehmer winden. Und das, obwohl die Kuttner-Show kein wirkliches Musikformat ist. Fünf Minuten der einstündigen Sendung sind für einen musikalischen Liveauftritt, weitere zehn Minuten für einen Talkgast reserviert, der allerdings nur manchmal auch noch was mit Musik zu tun hat. Es talkt sowieso eher die Moderatorin und lässt dem Gast, genau wie Komoderator Jörg Pilawa letztes Jahr beim nationalen Vorentscheid des Grand Prix, einen Redeanteil von höchstens 30 Prozent.

Dass gerade Sarah Kuttner zum neuen Aushängeschild der Indie-Szene werden konnte, ist eigentlich ein Wunder. Klar, sie findet „Britpopindierock“ gut, wie auf ihrer Website zu lesen ist. House-Musik dagegen findet sie zum Kotzen. Aber eigentlich hat sie keine Ahnung von Musik. Sie hört nur die Platten, die ihre Redakteure ihr ans Herz legen.

Musik gehört gefühlt

In keinem Interview hat sie jemals Fragen nach dem Einsatz des Schlagzeugs in Song X oder der Vertracktheit des Basslaufs in Lied Y gestellt. Musik gehört für „Frollein Kuttner“ nicht analysiert, sondern gefühlt – und dann für gut oder schlecht befunden. In die Show eingeladen wird nur Gutes. Das wird dann abgefeiert und bejubelt – und noch mal in die Sendung geladen. In nur sieben Monaten Showgeschichte hat Sarah Kuttner es geschafft, dreimal Virginia Jetzt! einzubestellen, doppelt gemoppelt traten Tele, Juli, Slut, Teitur, Bloc Party, Cake, Wir sind Helden, Mia und Adam Green in Erscheinung. Nicht dass Redundanz im Musik-TV etwas Besonderes wäre. Aber Sarah Kuttner leistet sich die Befriedigung ihres eigenen Geschmacks mit einem Narzissmus, der die Wiederholung nicht als Gefahr für die Quote sieht, sondern nur als immer wieder geführten Beweis, dass das Gutgefundene einfach gut zu finden ist.

Ob MTV/Viva-Chefin Catherine Mühlemann als quotenversessene Programmglattbüglerin diese manchmal wundervoll autonome, manchmal aber eben allzu postpubertäre Selbstbehauptungsorgie langfristig im Programm haben will, ist fraglich. Zunächst wird ein Vertrag über 140 Sendungen Kuttner bei Viva noch bis in den Sommer bringen. Für das Danach steht der WDR Gewehr bei Fuß: Im Februar wurde eine Pilotsendung mit ihr produziert, „in Richtung junges Kulturformat“. Über Details wird geschwiegen, „Gespräche werden geführt“. Noch darf Sarah Kuttner ihre Suppenkasperwunschwelt Wirklichkeit werden lassen. Beim Öffentlich-Rechtlichen wird sie nicht mehr nur „Ich will“ und „Ich finde“ krähen können und ihre schwarz-weiße Welt hoffentlich grau schattieren müssen. Dann darf sie liebend gerne ab und an etwas entdecken, was laut gebrüllte Gutfinderei wirklich brauchen kann.