Hader unser

Josef Hader ist der wichtigste Kabarettist Österreichs. Grade hat er ein neues Programm herausgebracht. Endlich. Und heute kommt er in „Silentium“ als Detektiv Brenner in die deutschen Kinos. Eine Begegnung

AUS WIEN PETER UNFRIED

Herr Hader, taz, die tageszeitung. Eine Frage: Ist das Leben sinnlos? Josef Hader: Wieso? Auf die Idee würd ich nicht kommen.

In das Kabarett „Kulisse“ fährt man mit der Tram. Nummer 43. Weil das im 17. Bezirk ist; schon fast ein bisschen außerhalb von Wien, da fährt keine U-Bahn hin. Also: Haltestelle Rosensteingasse, links in die selbige rein, zweihundert Meter durch den Schnee. Drinnen sitzen die Leute an langen Holztischen, und zwar schon länger. Bevor es losgeht, muss man nämlich zwei Seidel Bier getrunken und ein Schnitzel gegessen haben. Bis acht ist das erledigt, dann kommt Josef Hader. Das heißt: Er kommt nicht. Man hört ihn schimpfen. Aus dem Off. Über sein Publikum, das Kabarett, die bösen Gutmenschen, die linksliberalen Leitartikel-Wichtigtuer vom Standard, die Gastrolinken vom einflussreichen Wiener Stadtmagazin Falter. Nach zwanzig Minuten erscheint er dann doch auf der Bühne. Wird aber umgehend erschossen. Und dann noch von einem Skoda überfahren. Was letztlich richtig ist. Weil: So einen besserwisserischen, opportunistischen, zynischen, künstlerisch erledigten Kabarettisten braucht eh niemand. Kombiniere: keine reflektierende Omnikompetenz mehr, der Kabarettist ist als Spielfigur getestet und selbst als solche für überholt befunden. Dafür lässt er sechs arme Menschen auftreten. Denen Leben geschieht. Es wird Joschka Fischer und Claudia Roth freuen zu hören, dass der Sympathischste ein aus der Ukraine stammender Kleinkrimineller ist, der seine Frau auf den Strich schickt.

Hader spielt alle, den „Hader“, die Männer, die Frauen, dazu Klavier, singt Mozart, ist böse und hart, wird sentimental und zart. Wer kritische Würdigung aktueller gesellschaftlicher Ereignisse brauche, solle sich ein Wochenmagazin kaufen, sagt er am nächsten Tag. Er habe eine Geschichte gesucht. Indem Dinge passierten, solle eine eigene Wucht entstehen. Sagen wir so: Es ist sehr wuchtig. Gar nicht bloß österreichisch, sondern, tja, universal. Verdammt großartig.

Falls es jemand nicht weiß: Hader ist der erfolgreichste Kabarettist Österreichs. Er kommt gleich vor Gott, und konsequenterweise hat ihm der Falter ein „Hader Unser“ gebetet und dieses im Dezember uraufgeführteProgramm namens „Hader muss weg“ ein „Jahrzehntereignis“ genannt. Was schon mal stimmt, weil sein vorletztes richtig neues Programm 1994 rauskam. „Privat“ wurde zum meistgesehenen Kabarettprogramm im deutschsprachigen Raum. (Damit war er auch lange unterwegs.)

Selbstverständlich hat er sich stets gehörig am Kabarett abgearbeitet. Und selbstverständlich hat man ihn schon in den 90ern als Postkabarettisten, „Vernichter“ und „Zertrümmerer“ des Genres gefeiert. Nun aber sei Hader „auf dem Höhepunkt seiner geistigen, physischen und dialektalen Potenz“, schrieb das Nachrichtenmagazin Profil. Und: 17. Bezirk hin oder her, auch dort ist Hader selbstverständlich seit Wochen ausverkauft.

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Am nächsten Nachmittag im Café Rüdigerhof. Das ist im V. Bezirk. Zentrumsnah diesmal, Nähe Naschmarkt, falls den einer kennt. Am Nebentisch bringt die Bedienung zwei Zweigelt und erzählt der Frau eines Mittsechzigers, dass er „den Herrn Professor“ ja von früher kenne. Der Herr Professor sagt nichts dazu. Und Frau Professor sagt, sie sei besoffen und habe Kopfweh. Es ist halb vier. Hader kommt. Hat ein bisschen Verspätung. Er wohnt nicht in Wien, sondern kommt zur Arbeit aus dem Burgenland reingefahren. Über die Südschiene, das wird’s schon mal stauig. Hader ist 42 und nach allem, was man sehen, hören und lesen kann, geprägt von seiner oberösterreichischen Bauernsohn-Kindheit, der katholischen Kirche, „Flipper“ und der Friedensbewegung.

Reden wir mal ein bisschen über die 40-Jährigen und ihre eher abwartende Position in dieser Welt zwischen den 68ern, die die Welt verändern wollten. Und die 30-Jährigen, die schon im Kindergarten Anzug tragend Millionen am Neuen Markt verloren haben. Hader findet nur gute Worte. Über die 40-Jährigen. „Man hat ja fast das Gefühl“, sagt er, „man ist die einzige menschliche Generation.“

Zunächst mal einschränkend: „Ich bin ein starker Vertreter der Ansicht, dass man zum Überleben Vorurteile braucht.“ Und dann macht er sich über die 68er her, weil er sie als Vergleich braucht zur Menschlichkeit seiner Generation. Wie sie an der Uni standen und mit ihren Megafonen Leuten in die Ohren brüllten, die 30 Zentimeter entfernt standen, „das können teilweise keine Menschen geworden sein, denen der Mensch wichtig ist“. So „umgefallen“ sei von den Generationen, die er überblicke, sonst keine.

Jetzt darf man sich aber nicht vorstellen, dass er so was ex cathedra verkündet, gar nicht. Er macht Sprach- und Denkpausen, und hat er dann doch etwas rausgehauen, dann macht er auch noch Lachpause. Dieses „Bubenlächeln“ (Falter) ist in jeder Sekundärliteratur vermerkt.

„Hab ich jetzt die 68er besonders verurteilt?“ – „Ja, haben Sie.“

„Ich rede ja nur von einzelnen, besonders abfälligen Beispielen.“

Nur damit das klar ist: Er würde nie jemanden angreifen – nicht ohne ironischen Ton. Und sicher ist: Hader ist kein Besserwisser. Es war halt so, dass man ihn gefragt hat. Und er geantwortet. 68er tauchen übrigens in seinem Programm auch gar nicht mehr auf, das ist das Schöne und Zukunftsweisende. Die beiden Hauptfiguren, Cornelia und Werner, sind nach Haders Schätzung Anfang 30 (sie) und Mitte, Ende 30 (er). Zwei im weitesten Sinne linksliberale, unsympathische, moral- und idealfreie Menschen. Um es offen zu sagen: „Cornelia und Werner sind eigentlich Leute, die bei mir im Programm sitzen.“ Solche Leute dürfen „nicht Gelegenheit kriegen, über andere zu lachen“. Sondern sie müssen zur Strafe und Buße „über etwas lachen, über das sie nicht lachen wollen, eigentlich“. Dann findet Hader noch ein paar freundlich vorgetragene grundsätzliche Worte über das Kabarettpublikum und dass „konsequente Menschen“ nie auf die Idee kämen, ins Kabarett zu gehen. Nicht einmal er gehe ins Kabarett. Und er sei ja nun ganz und gar nicht konsequent.

Ein Geheimnis seines Erfolgs: Die Leute nehmen Hader nicht übel, dass er sich zum Wohle seiner Kunst an ihnen reibt. Und eigentlich wenig von ihnen hält. Beziehungsweise: von uns. Mit Werner und Cornelia, sagt Hader, „sind wir auch bei der Verlogenheit unserer Generation“. Weil wir unsere Weltanschauung und angebliche Liberalität und auch Auschwitz nur benutzen, um unsere miesen kleinen Egoziele voranzutreiben. Beispiel: Sagt so ein postideologischer Jungjournalist zum aufrecht linksliberalen Regisseur, dass sein Film vielleicht Gutes will, aber nichts taugt, erklärt der ihn einfach zum „Konservativen“. Fertig.

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Am heutigen Donnerstag läuft in Deutschland „Silentium“ an, nach „Komm, süßer Tod“ (2000) die zweite Verfilmung eines Romans von Wolf Haas. Hader spielt wieder den Privatdetektiv Brenner. Das ist ein abgefackter Anfangsfünfziger. Gut, er ist schon bei Haas schlecht drauf. Als Filmfigur hat Hader ihn sich komplett selbst erarbeitet. Er stellt sich das so vor: „Der Brenner, der ist noch älter wie wir, der ist ein 68er eigentlich. Man hat so das Gefühl, dass jetzt das Leben relativ vorbei ist, er hat nahezu nichts erreicht, aber er hat auch nicht gut gelebt, also er ist einfach beleidigt auf das Leben, weil er keine anderen Schuldigen findet als seine Mitmenschen, und dann ist er beleidigt auf die und auf sich auch ein bisschen.“

Falls das noch nicht klar sein sollte: Keiner von Haders Figuren hat jemals gute Laune. Überall nur Tod (wie sich das gehört für Wien), Depression, Zynismus, Vergeblichkeit und die Unmöglichkeit, irgendetwas im Leben einzulösen, was in der Theorie groß, gut und schön ist.

Mensch bleibt Wurm.

Zum Beispiel: Als Werner in „Hader muss weg“ diese ukrainische Prostituierte kennen lernt, und die – das kostet nicht mal extra – Mozart für ihn singt, da ist er ganz weg und projiziert Größtmögliches in sie – und damit in sich. Aber es geht sich nicht aus, und so ist er wieder ganz Mensch und lässt sich wenigstens einen blasen. Für sein Geld.

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Die meisten halten Hader für einen Zyniker, der bestimmt seit Jahren kurz vor dem Freitod stehen muss. Weit gefehlt. Es sei ein „inhaltlicher Kurzschluss“, vom Werk auf den Menschen zu schließen. Er sei „überhaupt nicht zynisch“. Er sei aber auch nicht, sage er einmal, „dauernd auf 180 Prozent lustig“. Lustig sein sei überhaupt „etwas Intimes“. Wenn er sorglos lustig ist, schaut er, dass niemand Fremdes dabei zusieht. Künstlerisch betrachtet sei es schlicht so: „Ich spüre, dass der Witz viel mehr Kraft hat, wenn er ein auswegloses Thema berührt.“ Ansonsten habe er auch wenig Grund, depressiv zu sein. Bitte, er sei ein „Superaufsteiger“. War ein „Bauernkind“ und ist jetzt ein „anerkannter Markenartikel im Kabarett-Supermarkt“ (maßlos untertrieben). Lebe in einer wattierten Welt. Werde hofiert, müsse sich keine Geldsorgen machen. Und wenn er als „Friedensbewegungsgenerationsüberbleiber“ mal wieder eine Benefizveranstaltung gemacht habe, gebe man ihm das schöne Gefühl, ein guter Mensch zu sein.

Jetzt kann es ja sein, dass es Ihnen trotzdem geht wie Johannes B. Kerner in seiner Dienstagsendung, und Sie interessieren sich einen Dreck für Josef Hader. Falls nicht: Das Beste an „Silentium“ ist dieses harte, verbrauchte, elendige, zynische, selbstmitleidige Gesicht von dem Brenner. Der Hader sieht aber viel weicher aus. Wieso eigentlich?

Noch mal anrufen. Herr Hader, alle Ihre Figuren sind brutalstmöglich vom Leben gezeichnet. Aber Sie selbst, auch wenn es Ihnen ganz gut geht, so gar nicht.

Tja, komisch, sagt Hader. Dabei kommt er als Falten-Brenner ohne große Maske aus. Vielleicht dass es so ist: „Die Dinge, die man im Leben erleidet, kann man auf der Bühne oder im Film rauslassen.“ Ein schwerer Satz. „Und dann ist das alles weg.“ Er fängt an zu lachen. Schon klingt es deutlich leichter. „Wie bei Dorian Gray.“ Jetzt lacht er volle Pulle. Und jetzt … Stille. Herr Hader, hallo? Hat er sich totgelacht? Das wär jetzt aber schade.