Altes schwindet, Neues kommt

Im Januar wurde Clärchens Ballhaus geschlossen, nach 91 Jahren Tanz in der Auguststraße. Im März wird es neu eröffnet. Als hippe Location, fürchten die einen. Als Ballhaus mit Stil, sagt der Betreiber

VON ALEXANDRA RAETZER

Ein Karton mit alten Vasen und Plastikblumen steht auf dem Bürgersteig vor „Clärchens Ballhaus“. Eine Frau kommt vorbei, nimmt die Blumen und steckt sie an den windschiefen Zaun. Seit Wochen kippen Mitarbeiter einer Entrümpelungsfirma Schutt in die Container vor der Auguststraße 24/25 in Mitte. Im Januar, 91 Jahre nach seiner Eröffnung, wurde Clärchens Ballhaus geschlossen. Der neue Hausbesitzer hatte den Betreibern gekündigt. Altes verschwindet, Neues kommt. Am 11. März will ein neuer Pächter das Ballhaus wiedereröffnen – „im alten Stil“.

„Wollen und werden sind zwei verschiedene Dinge“, meint Christa Stark. Seit 1981 wohnt die 63-Jährige zusammen mit ihrem Mann Hans nur ein paar Häuser von Ballhaus entfernt. „Generationsübergreifend“ habe das Clärchen gewirkt, erzählt die ehemalige Reichsbahn-Oberrätin. Junge und Alte verband die Suche nach einem (Tanz-)Partner, andere schätzten die schrulligen Besonderheiten des traditionsreichen Etablissements. Die Tänzer prägten jahrzehntelang das Straßenbild: „Da kam die fünfzigjährige Tochter mit ihrer siebzigjährigen Mutter, beide mit weißer Bluse und dunkelblauem Rock, die guten Schuhe in einer Tasche“, erinnert sich Stark schmunzelnd. Die Schuhe wechselten die Ballhaus-Besucher nicht selten in der Stark’schen Toreinfahrt, auch Liebespärchen fanden sich hier gelegentlich zu fortgeschrittener Stunde ein. „Die Toilettenfrauen verkauften Kondome und bürsteten den Männern die Schuppen von den Schultern“, sagt Stark. Das Ganze habe „etwas Soziales“ gehabt. „Dieses Heimelige, nur scheinbar Verruchte – so etwas gibt es heute nicht mehr. In Clärchens Ballhaus wurde diese Atmosphäre konserviert.“

Schon 1987 war diese Atmosphäre in der Spandauer Vorstadt bedroht. „Kurz vor der Wende gab es in der DDR die Absicht, alles abzureißen und neue Häuser zu bauen, wie man sie in der Linienstraße sehen kann“, erzählt Hans Stark. Er und seine Frau engagierten sich in der „Bürgerinitiative Spandauer Vorstadt“. Mit Erfolg: 1993 wurde das Viertel zum Sanierungsgebiet erklärt. Die alten Häuser durften bleiben. Die meisten der alten Bewohner aber zogen fort. Altes verschwindet, Neues kommt.

Fast alle Häuser in der Auguststraße zeigen deutlich Spuren der Vergangenheit – der jüngsten Vergangenheit der letzten 15 Jahre. Die Fassaden leuchten gelb, ocker, frisch. Anonymer sei es geworden, meint Christa Stark. Die Sanierung habe aber auch „eine neue Lebensqualität“ mit sich gebracht. In jedem zweiten Ladenlokal befindet sich eine Galerie, teure Boutiquen präsentieren modische Accessoires und Sportschuhe wie Pretiosen.

Am 13. September 1913 hatte Clara Habermann das Tanzlokal gegründet. 1967 übernahm ihre Stieftochter Elfriede Wolff den Familienbetrieb und übergab ihn 1990 an Stefan und Monika Wolff. Das Gebäude wurde nach der Wende an Clärchens leibliche Tochter übertragen und nach deren Tod 2003 verkauft. Der neue Eigentümer will das Gebäude nun sanieren.

„Im Clärchen fühlte sich ein bestimmtes Publikum heimisch. Das wird nicht in ein neues Etablissement kommen“, ist sich Christa Stark sicher. Das Ehepaar Stark selbst war vor gut 15 Jahren zum letzten Mal bei „Clärchen“.

Christian Schulz lebt seit 15 Jahren in der Spandauer Vorstadt. Schon 1989 kam er aus München nach Berlin. „Ich kenne die Probleme hier“, sagt der heute 35-Jährige. Und er ist „echt sauer über Leute, die etwas prognostizieren, was noch gar nicht passiert ist“. Schulz ist Geschäftsführer der „Hexenkessel und Strand GmbH“. Der gehört die „Strandbar Mitte“ im Monbijoupark. Und weil die sich zum hippen Knaller entwickelte, gehört der GmbH auch noch die Kopie „Oststrand“ an der East Side Gallery. Und künftig führt sie auch „Clärchens Ballhaus“. Die Vermutung liegt nah, dass daraus die nächste hippe Location wird.

„Wir wollen dort wieder eine echte Ballhauskultur“, entgegnet Schulz. Die habe es „in den letzten Jahren nicht mehr gegeben“. Der letzte Besitzer habe das Ballhaus verkommen lassen. „Zwölf Container voll Schutt sind ein klarer Beleg dafür“, meint Schulz: „Wir haben sauber gemacht, frisch gestrichen und einen Pizzaofen eingebaut“. Altes verschwindet, Neues kommt.

Schulz weiß, was es heißt, ein altes Haus wieder fit zu machen. Er kommt aus der Hausbesetzerszene. Im zweiten Hinterhof eines ehemals besetzten Hauses ist auch das Hexenkessel-Theater einst entstanden. Es machte sich mit Shakespeare-Inszenierungen einen Namen, seit ein paar Jahren allsommerlich und open air im Monbijoupark. Die Strandbar direkt daneben sei gegründet worden, um das Theater zu finanzieren, erzählt Schulz. Mittlerweile sei er „einer der größten Arbeitgeber in der Spandauer Vorstadt mit über 100 Mitarbeitern im Sommer“.

Schulz sagt Sätze wie: „Wir sind kulturelle Menschen“ und: „Wir inszenieren unsere Stadt“, und sein Auftreten ist das eines Menschen, der von sich selbst in hohem Maße überzeugt ist – und vom Ballhaus: „Wir begreifen das als zu hütendes und zu pflegendes Objekt. So, wie wir das Anfang der 90er bei den Hausbesetzungen auch gesehen haben. Da ging es ja auch nicht darum, etwas kaputt zu machen, sondern darum, ein Haus wieder mit Leben zu füllen.“