Nonnen auf der Flucht

Mit Erlaubnis des Papstes haben mehr als 70 Nonnen gleichzeitig den Orden der Thuiner Franziskanerinnen verlassen. Ein nahezu einzigartiger Vorgang in der jüngeren Kirchengeschichte. Folgten sie dem Ruf der dubiosen Christusgemeinschaft? Im Bistum Osnabrück herrscht Ratlosigkeit

Von Heiko Ostendorf

Ein Ort, ein Kloster: Thuine bei Meppen ist seit 1869 Sitz eines Franziskanerinnen-Ordens. Und bis vor kurzem hatte der allenfalls durch die Eröffnung von Filialen in fernen Ländern auf sich aufmerksam gemacht. In Papua-Neuguinea, in Japan und sogar in Albanien gibt es Thuiner Franziskanerinnen. Und alle folgen den Weisungen des Mutterhauses im katholischen Emsland. Das aber wurde jetzt zum Schauplatz einer der größten Nonnen-Revolten in der jüngeren Kirchengeschichte. Gemeinsam mit der im Mai vergangenen Jahres abgewählten Generaloberin Carmen Droste haben mehr als 70 Schwestern den Orden verlassen. Nur weshalb?

In Thuine erhält man darüber keine Auskunft: Generalvikarin Engratia Brinkmann verweist auf die Schwestern. Doch die sind, seit sie die Klostermauern hinter sich gelassen haben, in alle Winde verstreut. In Kevelaer haben einige Unterschlupf gefunden, andere in Fulda. Die meisten sind ins Münsterland gezogen. Merkwürdig: Am Telefon melden sie sich noch mit Ordensnamen: Dabei hatte der Vatikan die Dispens, also die Befreiung von den klösterlichen Pflichten, schon vor mehr als zwei Monaten erteilt – freilich ohne das an die große Glocke zu hängen. Auf die Frage, warum sie den Austritt aus dem Orden beantragt hat, antwortet die Ex-Nonne schlicht: „Ich möchte dazu nichts sagen.“ Was mag nur in dem Kloster im Emsland vorgefallen sein?

Pastor Reinhard Trimpe hatte engen Kontakt zu den Schwestern. Von Spannungen im Orden habe er etwas mitbekommen, räumt der Gemeinde-Pfarrer aus Wietmarschen-Lohne ein. Die große Fluchtbewegung aber habe ihn überrascht: „Diese Schwestern“, sagt er, „nahmen ihr Ordensgelübde sehr ernst. Ernster vielleicht als…“, da bricht er ab. Es kann ja sein, dass ihm gerade bloß kein Vergleich einfällt. Da erzählt er doch lieber etwas Nettes über seine ehemalige Gemeindereferentin, die ebenso wie die beiden Krankenschwestern der Sozialstation zu den abtrünnigen Nonnen gehört. „Eine ganz hervorragende, blitzgescheite Frau“ nennt er sie. Im Gemeindeleben allerdings hätten sich die drei rar gemacht, anders als ihre Vorgängerinnen. „Wir wollen lieber beten“, hätten sie gesagt. Auffällig fand Trimpe das nicht.

Trotzdem legt es eine Spur ins Zentrum des Problems, zumindest wie es Stimmen aus der Osnabrücker Bistums-Leitung beschreiben: Die ausgetretenen 70 Schwestern hätten, so heißt es, einen Hang zum kontemplativen Leben gehabt, eine starke, ja sogar übermäßige Spiritualität. Sie hätten sogar versucht, innerhalb des päpstlichen Ordens eine eigene Gemeinschaft zu gründen – was der Vatikan verbot. Der Thuiner Orden nämlich konzentriert sich seit jeher auf soziale Belange. Sie habe „die erbarmende Liebe Jesu zu den Armen und Kranken so tief in ihr eigenes Herz aufgenommen“, heißt es in der offiziellen Lebensbeschreibung der Kloster-Gründerin Schwester Maria Anselma, „dass sie selbst ganz davon erfüllt war.“ In dieser Tradition betreiben die Thuiner Franziskanerinnen Krankenhäuser, Schulen, Behinderten-Einrichtungen und Kindergärten. Der falsche Orden für Menschen, die Zurückgezogenheit suchen.

Nur warum war die Wahl jener Frauen, die sich lieber um Christus als um die Menschen kümmern wollten, seinerzeit auf das Kloster in Thuine gefallen? Mitverantwortlich ist Schwester Stephanie Bensmann. Eine „sehr charismatische Persönlichkeit“, heißt es, wenn man nach der Frau fragt, die lange im Bistum Osnabrück für das freiwillige soziale Jahr zuständig war. Mittlerweile wurde die charismatische Persönlichkeit aus dem Thuiner Orden ausgeschlossen. Zuvor aber hatte sie ein Team gebildet mit einem nicht minder mitreißenden Gottesmann: Andreas Hartong war damals Kaplan in Georgsmarienhütte bei Osnabrück – und zuständig für die Jugendarbeit. Die beiden scharten eine Gruppe junger Menschen um sich und veranstalteten für sie, oft auch im Kloster, Extra-Treffen und Exerzitien.

Wahre Indoktrinationsmeetings müssen das gewesen sein, traut man den Schilderungen von Teilnehmern. Zunächst seien „die Beziehungen zu den Eltern hinterfragt“ worden, „weil angeblich Eltern ihre Kinder immer festhalten wollen“. Deshalb würden sie den Blick dafür verlieren, was gut und was schlecht für ihre Kinder ist. Und deshalb sollte man ihnen nur das Nötigste über die Erbauungsveranstaltungen erzählen.

Auch andere soziale Kontakte seien nach und nach torpediert worden. Die stereotype Begründung: Die fraglichen Personen seien nicht gut für die eigene geistige Entwicklung. Als einzig verbleibender sozialer Kontakt sei die Gemeinschaft zum Druckmittel avanciert: „Man hatte dann entweder die ganze Gruppe hinter sich oder gegen sich.“ Den Mitgliedern sei im Wesentlichen vermittelt worden, sie seien schlecht, die Welt ebenso und die Menschen ohnehin. Das rechte Leben: demütig sein, ins Kloster eintreten. „Dem, der zu laut anders dachte, wurde empfohlen, gut zu beten“, so der Aussteigerbericht, „damit das weggeht.“

Die meisten der aus dem Thuiner Orden ausgetretenen Nonnen hatten ihre geistlichen Wurzeln in der von Schwester Stephanie und Hartong geschulten Gruppe. Hartong ist mittlerweile Pfarrer. Und seine Gruppe hat sogar einen Namen bekommen: Christusgemeinschaft nennt sie sich. Die Pressearbeit hat ein gewisser Matthias Beering übernommen, im zivilen Leben Polizist, der allerdings nur spärlich Informationen preisgibt: Weder kann er eine Mitgliederzahl benennen, noch will er etwas von Kontakten zu den Kloster-Aussteigerinnen wissen. Einen Laienorden wollten die dem Vernehmen nach gründen. Doch das gilt kirchenrechtlich als ausgeschlossen. Nicht verwehrt werden kann ihnen indes, im Münsterland einen Verein zu gründen. Reiner Zufall, dass dort auch die Christusgemeinschaft regelmäßige Treffen abhält.

„Die Gruppe“, so Osnabrücks Generalvikar Theo Paul, „gibt von ihrer Struktur und dem, was in ihr vorgeht, nichts preis.“ Tatsächlich verfügt die Christusgemeinschaft sogar über eine Homepage: Erkennbar ist dort ein Schwerpunkt auf Jugendarbeit, man gibt sich papsttreu. Und man hat auch einen Link zum Osnabrücker Bistum installiert, obwohl das doch so skeptisch auf die Aktivitäten blickt. Und ein wenig ratlos: „Wir können ihnen“, bekennt Paul, „nichts nachweisen.“