Dem Teppich die Geschichte einweben

POLITISCHES TANZTHEATER Modjgan Hashemians Tanzstück „Move in Patterns“ erzählt von weiblichen Schicksalen im Iran – und reagiert auf die Aktualität

Am Anfang machen die Bilder Mut, am Ende lassen sie einen verzweifeln. Videoaufnahmen von demonstrierenden Frauen aus dem Iran 1979, selbstbewusst, laut und lachend – sind dem Tanzstück „Move in Patterns“ vorangestellt. Ein Handyvideo, das am 19. Juni via YouTube aus dem Iran gesendet wurde, wird dem Stück dann auch noch als Epilog angehängt. Es ist eine Aufnahme bei Nacht. Zu sehen ist kaum etwas, außer ein paar Stadtlichtern. Zu hören ist ein Meer an- und abschwellender Rufe „Allahu akhbar“. Eine Frau spricht mit brüchiger Stimme ein Gedicht auf Farsi: „Wo ist dieser Ort, an dem wir nur mit unserem Schweigen unsere Stimmen in die Welt tragen können?“

Oft verfallen darstellende Künstler, wollen sie politische Ereignisse inszenieren, in Pathos und Kitsch. Man sitzt mit diesem unangenehmen Gefühl der erzwungenen Betroffenheit auf dem Stuhl und wagt nicht zu atmen. Doch was anderes als Trauer, Verzweiflung und Erschütterung lässt sich in diesen Tagen empfinden, wenn die Ereignisse im Iran thematisiert werden? Die Choreografin Modjgan Hashemian hat alles richtig gemacht. Ihr Stück „Move in Patterns“, das am Donnerstag Premiere im Ballhaus Naunynstraße hatte, ist das Gegenteil von großem Pathos und lautem Poltern. Von der Aktualität der Ereignisse eingeholt, kann sie aber nicht anders, als am Ende ihrer leisen und puristischen Inszenierung, dieses herzzerreißende Video zu zeigen.

Das Thema des Stücks ist die Situation der Frauen im Iran 1979. Und ein wichtiges Thema im Iran der vergangenen zwei Wochen sind auch die Frauen. Es sind die Bilder von Frauen, die das Kopftuch zur Vermummung nutzen, in ihren Händen mit Steinen bewaffnet, die uns deutlich machen, wer in diesem Land die entschiedensten Gegner der Ajatollahs sind.

Das Stück handelt von der Erinnerung an die ersten Tage der Islamischen Revolution. Noch ein kleines Kind, lebt Hashemian damals mit ihrer Familie in Teheran. Von heute auf morgen wird sie gezwungen, das Kopftuch zu tragen, wenn sie zur Schule oder zum Spielen auf die Straße geht. Eingeschlossen in ihrem Kinderzimmer, wirft sie das Kopftuch ab und tanzt die Muster des Teppichs nach, erzählt Hashemian.

Im Zentrum der Bühne hat sie nun eine quadratische Fläche ausgeleuchtet, um die und auf der die Tänzerinnen und Tänzer den Kampf der Frauen im Iran aufführen. Die Fäden, die die Frauen und Männer auf dieser leeren Fläche zu einem Teppich knüpfen, werden zu den Fäden, die ihre gemeinsame Geschichte spinnen. Die Männer und Frauen, die sich streiten und lieben, werden im Laufe der Arbeit am Teppich zu Todfeinden. Ihrem gemeinsamen Produkt weben sie diese Geschichte ein. Der Teppich wird diese Geschichte nicht wieder los. Die Männer können ihn noch so oft zusammenrollen und verstecken, die Erinnerung an die Frauen, die an diesem Teppich mitgewebt haben und die von den Männern umgebracht wurden, bleibt für immer in den Fasern haften. Bilder von lachenden und toten Frauen sowie Luftaufnahmen von den Straßennetzen Teherans lässt die Choreografin auf den Teppich projizieren.

Fäden und Netze sind vielleicht nicht gerade überraschende Symbole für die Verflochtenheit von Individuum und Gesellschaft. Doch in den vergangenen zwei Wochen wurde ein Netz gerade für die Iraner von existenzieller Bedeutung, das Internet.

DORIS AKRAP

Weitere Vorstellungen: 27. bis 30. Juni 2009, 20 Uhr im Ballhaus Naunynstraße, Naunynstraße 27, Kreuzberg