Keine Scheherazade sein

Die ägyptische Literaturwissenschaftlerin, Schriftstellerin und Tänzerin Nora Amin arbeitet sich in ihren Performances und Texten an den Klischeebildern von arabischen Frauen ab. Jetzt lehrt sie als Gastprofessorin an der FU. Ein Porträt

VON JAN-HENRIK WULF

„Man kann nicht kontrollieren, wie die Menschen einen wahrnehmen“, sagt Nora Amin, „auf der Bühne gestatte ich mir, den Akt des Tanzens zu genießen, traditionelle Bewegungen zu machen, die ich immer machen wollte, aber mir immer verboten habe.“ Als Solo-Performerin war die 34-jährige Ägypterin Anfang des Jahres an der Schaubühne zu sehen. Und als Samuel-Fischer-Gastprofessorin an der FU möchte sie den Studenten der allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft die neuere ägyptische Literatur nahe bringen. Unter anderem ihre eigenen Romane und Kurzgeschichten, die in Ägypten zu Bestsellern wurden, bislang aber nicht auf Deutsch erschienen sind.

Amin gehört zu einer Schriftstellergeneration, der es seit Mitte der Neunzigerjahre um autobiografische Themen und das Schreiben als Prozess geht: „Das kann man überall in der Welt lesen – ein fantastischer Weg, um Ähnlichkeiten und Gedankengänge zu finden, die nicht unbedingt historisch, politisch oder traditionell sind, sondern von Arbeitslosigkeit, vom Zweifel an der Wirklichkeit, am Glauben und an den eigenen Prinzipien handeln. Ich glaube, die deutschen Studenten haben ganz ähnliche Themen.“

Aufgewachsen ist Nora Amin in einem westlich orientierten Elternhaus. Sie besuchte die französische Schule in Kairo, nahm Tanzunterricht und entdeckte irgendwann, dass sie in einer Parallelwelt lebte, in der Werte galten, die in der ägyptischen Gesellschaft ansonsten kaum zu finden waren: „Es war, als ließen sich die Grenzen der sozialen Schicht durchbrechen, in der ich aufgewachsen war. Plötzlich wurde ich eine Frau und bewegte mich außerhalb meiner Kindheit. Ich hasste, was mir begegnete: Männer halten in ihren Autos neben dir und bieten dir Geld an. Das hat mich darin beeinflusst, wie ich die Außenwelt, die Straße, die Männer wahrnehme.“

Auch in den intellektuellen Zirkeln ihrer Eltern ging es oft um Ungerechtigkeit, Hunger und Gewalt. So begann Nora Amin erst einmal, französische Literatur und Theaterwissenschaft zu studieren, zugleich machte sie Tanz und Literatur zu ihrer persönlichen Gegenwelt. Die Entscheidung, Schauspielerin zu werden, führte zum Bruch mit dem Vater, der sich einen ehrenhafteren und besser bezahlten Beruf für die Tochter wünschte. Mit 23 hat sie geheiratet. Und fand sich kurz darauf in der für ägyptische Verhältnisse ungewöhnlichen Situation wieder, als geschiedene Frau und allein erziehende Mutter ihren Lebensunterhalt selbst verdienen zu müssen.

Sie nahm mehrere Jobs an, lehrte an der Kunstakademie in Kairo, übersetzte Marguerite Duras und Augosto Boal ins Arabische, trat abends an der Oper auf, schrieb nach Mitternacht Zeitungsartikel und eigene Texte: „Es war mein Wille, wirtschaftlich und sozial zu überleben, zu beweisen, dass ich würdig bin, durch meine Leistung einen Platz in dieser Gesellschaft einzunehmen.“ Besonders zugesetzt haben ihr damals die Doppelmoral und die privaten Nachstellungen der Nachbarsfrauen: „Du wirst aus Wohnungen rausgeschmissen, als Prostituierte verdächtigt, die Leute fragen, warum du nicht zu deinem Mann oder zur Familie zurückgehst.“

Als Folge setzt sich Nora Amin in ihren Schriften und ihrem Tanztheater vor allem mit matriarchalen Machtstrukturen auseinander: „Es sind die Frauen, die die Tradition der Unterdrückung von Generation zu Generation an ihre Töchter weitergeben. Was sie mit den Töchtern machen, ist eine Projektion ihres eigenen Versagens und Scheiterns, eine Art Teufelskreis.“

Doch auch im Ausland machte Nora Amin die Erfahrung, dass es ohne abwertende Zuschreibungen offenbar nicht geht. Im Washingtoner Kennedy-Center für Bühnenkunst, wo sie ein Theaterfestival organisierte und Kurse in Kulturmanagement gab, habe man sie zuweilen mit der Toilettenfrau verwechselt. Aus solchen Erfahrungen ging die Solo-Performance „Arab“ hervor, mit der sie auch an der Schaubühne zu sehen war: „ ‚Arab‘ handelt von den Schichten und Masken meiner Lebensgeschichte. Manchmal halten mich die Leute für das Klischee der orientalischen Frau – die verschleierte, ungebildete Analphabetin, die Scheherazade.“

Das Identitätsspiel um Fremdzuschreibung, Selbstbehauptung und gesellschaftlichen Status ist ihr eigentliches Thema. So geht es in dieser Performance um die Situation der Emigrantin, die bei null anfängt und sich fragt, was sie über sich wissen muss und was die anderen über sie wissen. „Ich versuche, mein inneres Selbst zu finden, und entdecke dabei andere Schichten, die nicht körperlich sind – nicht das Bild des anderen, sondern das Tabu zwischen mir und meinem Selbst.“ Das kann ein aus schlechten Erfahrungen und Illusionen herrührender Schmerz der Vergangenheit sein.

„Arab“ ist auch ein ironisches Spiel mit kulturellen Metaphern, bis hin zu Anspielungen auf orientalischen Bauchtanz: „In ‚Arab‘ versuche ich, meine eigene Angst zu überwinden, ein rotes Kleid zu tragen, was mich wie ein leichtes Mädchen aussehen lassen würde – schließlich habe ich mich immer davor gefürchtet, dass das Publikum mich als Frau ansehen würde.“

Dass sie in Ägypten schreiben, auf die Bühne gehen und ihre Arbeit zeigen konnte, so liberal und kritisch wie sie ist, sieht sie selbst als Zeichen dafür, dass die Verhältnisse sich dort ändern: „Als Menschen wollen wir alle Zeit wegschieben, weil wir eine feste Wahrheit brauchen. Aber im Leben geht es um Verwandlungen, und man muss sich anstrengen, um die Dinge überhaupt wahrzunehmen. Identität besteht aus verschiedenen Schichten, die nicht einmal miteinander in Harmonie stehen müssen.“

Doch nach Ägypten wird Nora Amin vorerst nicht zurückkehren. Im Auftrag der deutschen Sektion des Internationalen Theater-Instituts der Unesco wird sie in den kommenden drei Jahren in Khartum ein Zentrum für Theater in Konfliktzonen aufbauen.