Von der Musik zur Mode

Martin Brem gründete vor drei Jahren Sai So, ein kleines Berliner Modelabel, das speziell japanisch inspirierte Bekleidung und Accessoires im „Luxussegment“ herstellt. Der Kimono ist sein Rohstoff

VON JANA SITTNICK

Bei Sai So macht man Kimonomode und trinkt Ingwerwasser aus geblümten Tassen. Das klingt streng nach Folklore, ist es aber nicht. Dagegen verwahrt sich Martin Brem, der Sai-So-Chef. Seine Teile sind modern, da „reconstructed“, also aus einem alten Kontext herausgelöst und neu zusammengesetzt. Sai So ist Japanisch und bedeutet genau das: wieder (neu) zusammensetzen, traditionelle Systeme öffnen, eine Essenz – in diesem Falle die Essenz der ästhetischen Aussage – herauslösen und in neue Bezüge setzen, zitieren, patchworken in bester Popmanier.

Martin Brem gründete vor drei Jahren Sai So, ein kleines Berliner Modelabel, das japanisch inspirierte Bekleidung und Accessoires im „Luxussegment“ herstellt. Zurzeit arbeitet der 45-Jährige viel, denn das Fashion-Wochenende steht ins Haus, die große Leistungsschau der Modebranche mit gleich vier Fachmessen in Berlin und 30.000 Spezialisten aus aller Welt.

Brem präsentiert seine Sai-So-Kollektion auf der „Premium-Messe“. Hinter dem schönen Schein, der unbedingt dazugehört, geht es hier vor allem um Shakehands und Präsenz, um Marketing und Kundenakquise. Wenn die Einkäufer einzelner Boutiquen oder größerer Ketten herumgehen und nach Innovationen suchen, ist es wichtig, aufzufallen, um das Geschäft für die nächste Saison zu sichern. Das bedeutet: im richtigen Fokus sein, da sein, gut sein und Glück haben.

Brems Geschichte ist, in gewissem Sinn, eine Glücksgeschichte von einem Quereinsteiger, der aus der Musik zur Mode kam. Es ist aber auch eine Geschichte von Schönheit und Schmerz, die sich ganz anders erzählt als jene, die beim Kleinjungentraum beginnt, über die Designakademie und Auslandslehrjahre in London oder Mailand verläuft, um dann zielgerade im eigenen Studio zu enden. Brem hat nie Mode studiert und ist zum Design gekommen, da war er schon knapp vierzig. Karriere hat er in der Musikindustrie gemacht, als Marketingspezialist bei Sony Records.

Mitte der 90er-Jahre übernahm der Österreicher den Posten des Vice Marketing President und ging von München nach London. Seine damalige Frau, „japanophil“, wie Brem sagt, brachte ihn zum Stoff. „Sie hat einen kaputten Kimono auseinander geschnitten und sich daraus einen Schal genäht.“ Das Teil sei so schön und eigenwillig gewesen, dass fremde Leute auf der Straße die Trägerin darauf angesprochen hätten.

Und so ging es weiter, man sammelte gebrauchte Kimonos, nähte weitere Stücke, abends, nach der Arbeit. Irgendwann schlug der Marketingmann in Brem durch. „Ich hatte zwar keine Ahnung vom Schneidern, aber ich konnte spüren, dass da was ganz Besonderes in diesen Stoffen war: Emotionen. Und das wollte ich größer machen.“

Im Jahr 2000 gingen die Brems zurück nach Deutschland, Martin Brem arbeitete bei der Columbia Berlin. Ein Jahr später starb seine Frau unerwartet an Herzschlag. Das riss Brem aus seinem bisherigen Leben. Er nahm sich ein Jahr Auszeit. „Ich hatte zwei Kinder, um die ich mich nun allein kümmern musste, das ging nicht mit dem Job. Brem will heute nicht mehr viel dazu sagen. „Damit muss mal Schluss sein.“ Eins nur sei wichtig für die Geschichte: Dass er mit den Kimonos weitergemacht habe. Sicher sei es Trauerarbeit gewesen, aber auch ein Neuanfang. „Da waren knapp tausend Kimonos, und ich überlegte, was man damit machen kann.“

Brem traf zwei Textildesignerinnen und ließ in ihrer Kreuzberger Werkstatt einen Rock, ein Top, und einen Schal nähen. Das zeigte er auf deutschen Modemessen, und die erste Edelboutique, das Quartier 206, biss an. „Da verlor ich meine Skepsis, packte meine Modelle in einen Koffer und klapperte die Modemagazine ab.“

Brem gründete vor drei Jahren Sai So, ein kleines Berliner Modelabel, das japanisch inspirierte Bekleidung und Accessoires im „Luxussegment« herstellt. Er fuhr 2003 zur Pariser Modemesse und nach Mailand. Kunden aus Holland und aus New York bestellten bei ihm. Plötzlich war er mit der Sai-So-Kollektion international im Geschäft. 2004 vervierfachten sich die Umsätze im Vergleich zum Vorjahr, Brem musste expandieren, gründete eine GmbH, schrieb einen Businessplan und Briefe an die Bank.

„Die Bank hat mich ganz schön lange warten lassen“, meint Brem. Erst im Januar wurden die für Oktober 2004 zugesagten Gelder freigegeben. „Eigentlich wären wir im Oktober nicht mehr liquide gewesen, um unsere Außenstände zu bezahlen und vorzufinanzieren, aber das unerwartet gute Weihnachtsgeschäft hat uns gerettet.“ Sai So kooperiert mit dem Chefdesigner von Strenesse und beschäftigt auch junge unbekannte Designer. Zur Endfertigung schickt Brem seine Modelle an Schnittmeister und Näherinnen in Berlin. Darauf ist er stolz. „Wir arbeiten in Netzwerken und lassen alles in Berlin produzieren, und so soll es auch bleiben.“

Der Kimono, das traditionelle japanische Frauengewand, fasziniert Brem wegen seiner kunstfertigen Verarbeitung. In aufwändiger Handarbeit brachten Kimonokünstler früher die Muster und Farben stufenweise auf den Stoff auf, banden die Fläche quadratzentimeterweise mit Fäden ab, um ganz bestimmte Muster zu erhalten, und stickten extra Goldfäden ein. Vierzehn Tage war ein Künstler mit der Anfertigung eines Kimonos beschäftigt. Heraus kam ein kleines Wunderwerk an Farben und Formen, das auch westliches Publikum beeindruckt. Martin Brem hat heute in ganz Japan seine „Agenten“ sitzen, die gebrauchte Kimonos für ihn einkaufen. „Der Kimono ist mein Rohstoff“, sagt der Designer, „der muss täglich eingekauft werden.“

Sai So residiert in einer großzügigen Doppeletage in Mitte. Durch die riesigen Schaufenster sieht man ein Bett mit einer Kimonoflickendecke. Auf einem Monitor läuft ein Video, in dem dünne Mädchen schicke Hosenanzüge tragen. An ihren Beinen blitzt das Japanmuster auf.

Sai So Showroom, Torstraße 140, Mitte www.sai-so.com