Kalkbrenner macht Frontunterhaltung: "Fette Beats" für Soldaten in Afghanistan

Der Berliner Techno-DJ Paul Kalkbrenner spielte in Afghanistan vor deutschen Soldaten. Will die Bundeswehr damit Normalität demonstrieren?

Tarnanzüge und Knicklichter: Die deutschen Soldaten in Afghanistan tanzten zu Techno von Kalkbrenner. Bild: bundeswehr

Der kurzhaarige Mann wirkt leicht zerstreut, wie er dauerlächelnd an der Kamera vorbeiblickt. Er steht in einer Halle mit Sandboden an seinem Mischpult, spricht ausweichend vom "Gerede über den Einsatz", äußert die Hoffnung, "dass alle bald und hoffentlich gesund wieder nach Hause kommen".

Der Mann heißt Paul Kalkbrenner, ist gegenwärtig Deutschlands erfolgreichster Technoproduzent und hat soeben im afghanischen Camp Marmal einen Auftritt vor Bundeswehrsoldaten absolviert, die in ihren Tarnanzügen ausgelassen zu seiner Musik tanzten und "Knicklichter" schwenkten. Obwohl er im Jahr "ungefähr 300.000 Meilen" im Flieger zurücklege, sei die Reise nach Afghanistan doch "exciting" gewesen.

Andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit

Kalkbrenners Fronteinsatz wurde vom Einsatz-Kamera-Trupp der Bundeswehr dokumentiert und als Videobeitrag ins Netz gestellt. Andere Formen der Öffentlichkeitsarbeit oder Stellungnahmen, etwa von Kalkbrenners Management oder Label aus, gibt es bisher keine, in den klassischen Medien kam das Thema praktisch nicht vor. Die Kommentare in Blogs und Internetforen hingegen reichen von Unterstützung bis zu scharfer Ablehnung.

"Bisher dachte man als Technoliebhaber immer, die Musik und der DJ und der Bass und die Beats könnten aufgrund einer gewissen Sperrigkeit, aufgrund des speziellen musikalischen Zuschnitts, nicht für solche Zwecke missbraucht werden", so der Kommentar eines Bloggers, der das Bundeswehrvideo auf seine Seite "alrightokee.de" gestellt hat.

Sein doch arg enttäuschtes Fazit: "Paul Kalkbrenner ist Handelsreisender eines Sounds, der heute als musikalische Allzweckwaffe ebenso Abi-Partys wie Bundeswehrcamps beschallen kann. Techno ist Pop, und Pop zieht überall hin. Auch in den Krieg."

Jede Musik ist eine Allzweckwaffe

Aber, wo ist das Problem dieses Bloggers? Glaubt der Autor allen Ernstes, bestimmte Musikformen könnten aufgrund ästhetischer Kriterien von politischer Vereinnahmung ausgeschlossen sein? Dem muss dann doch widersprochen werden. Jede Musik ist so gesehen Allzweckwaffe, je nach dem, in welchem Kontext sie eingesetzt wird. Daher macht es auch keinen Unterschied, ob man von Techno oder Pop spricht. Beide sind schlicht und einfach Musik und lassen sich als solche nahezu beliebig instrumentieren. Und Musik kann, wie spätestens seit Guantánamo bekannt, sogar als Waffe zu Folterzwecken missbraucht werden.

Die eigentliche Frage lautet: Was ist davon zu halten, wenn ein geschätzter Musiker aus Deutschland freiwillig in Afghanistan vor Einsatzkräften der Bundeswehr spielt?

Zunächst einmal darf man vermuten, dass die Bundeswehr Auftritte wie den Kalkbrenners nicht ausschließlich zur Aufmunterung der Soldaten inszeniert.

Die armeeeigene Berichterstattung erweckt vielmehr den Eindruck, dass mit der Verwendung "cooler" Codes wie dem Titel "Fette Beats" zudem nach außen hin - also für eine Bevölkerung, die den Einsatz mehrheitlich ablehnt - Normalität demonstriert werden soll. Cooler wird der Einsatz dadurch aber noch lange nicht.

Techno-Musiker mit klarer Position

Damit ist noch nichts zu der Frage gesagt, ob es legitim ist, dass Soldaten an der Front im Auftrag des Staats unterhalten werden. Nur wenn man den Einsatz politisch prinzipiell ablehnt, ist es nachvollziehbar, dass man den Einheiten am Hindukusch den Wunsch nach Zerstreuung streitig machen will. Entscheidend ist, ob man sich der politischen Haltung, die Künstler wie Kalkbrenner mit ihrem Engagement bekunden, anschließen will oder nicht, und weniger eine Neubewertung seiner Ästhetik.

Denn obwohl beim Betrachten des Bundeswehrvideos der Eindruck entstehen könnte, der Musiker sei ohne klare Position in das Kriegsgebiet aufgebrochen und finde die Sache in erster Linie "exciting", muss er sich doch vorher zumindest überlegt haben, ob er da auch wirklich hinfahren will.

Kalkbrenner selbst gibt gegenwärtig keine Interviews, sodass über seine Motive nur gemutmaßt werden kann. "Armselig, dieser Typ aus Leipzig", urteilt etwa ein User der Online-Community der Wochenzeitung Der Freitag über den Truppenbesuch Kalkbrenners. Eine Begründung wird dabei gar nicht eigens für nötig befunden.

Doch macht man es sich mit einer Verdammung jeglicher künstlerischen Unterstützung des Afghanistaneinsatzes zu einfach. Ob der militärische Einsatz die erhoffte Stabilisierung des Landes bringen kann und sich die Taliban tatsächlich irgendwann besiegen lassen, bleibt zwar ungewiss. Dass aber bei einem sofortigen Rückzug die (nicht gerade als Musikliebhaber bekannten) Taliban wieder an die Macht kommen würden, dürfte höchst wahrscheinlich sein.

Dass es unter Militärs und Zivilisten in jedem Fall weitere Tote geben wird, ist unstrittig. In einer so unsicheren Situation nach Afghanistan zu reisen, verdient daher allemal Respekt.

Kalkbrenners Entscheidung signalisiert den Soldaten Unterstützung in einer unsicheren Situation. Auch wenn ein Großteil der Deutschen mit ihnen am liebsten nichts zu tun hätte und die Frage nach dem Sinn des dortigen Einsatzes, nicht gelöst ist.

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