Über den Rhythmus zur Sprache finden

Diverse Städte erproben ein neues Programm zum frühen Deutschlernen. Zuwandererkinder finden über Klatschen und Spielen zur Sprache. In den Kindergärten Berliner Problembezirke erzielen Rhythmusübungen erste Erfolge – eine schnelle Antwort auf Sprachprobleme ist der Versuch noch nicht

Sprachwissenschaftler Penner: „Es reicht nicht, die Kinder in der Sprache zu baden – wir müssen sie gezielt fördern“

VON SABINE AM ORDE

Es scheint Spaß zu machen. „Schraube, Schräubchen“, rufen die Kinder, die auf Wolldecken im Kreis sitzen, begeistert durch die Turnhalle der Kindertagesstätte. Sie klatschen und drehen abwechselnd die Hände. „Fatah, du bist dran“, sagt die Erzieherin. Sie schiebt zwei neue Bilder in die Mitte, auf der eine große und eine kleine Schleife zu sehen sind. „Groß – klein, Schleife – Schleifchen“, sagt Fatah sofort. Gemeinsam wiederholen Aylin, Nadim, Zeynap und die anderen Kinder die Begriffe.

Was wie ein Spiel wirkt, ist ein ausgetüfteltes Programm zur Sprachförderung in Kindertagesstätten. „Bei der Betonung wird geklatscht, wenn das Wort ausklingt, machen wir diese Drehbewegung“, erklärt Regina Herzog-Stolterfoht das Spiel. „Das wird häufig wiederholt, so lernen die Kinder den Wortrhythmus“, sagt die Erzieherin.

Rhythmus ist der Dreh- und Angelpunkt aller Sprachentwicklung. So sieht es zumindest der Schweizer Sprachwissenschaftler Zvi Penner, der sich die Klatschübungen mit den Bilderkärtchen ausgedacht hat.

Penners Programm ist einer der Hoffnungsschimmer in der frühkindlichen Spracherziehung. Es wird in diversen Städten getestet, in Berlin in sechs Kindertagesstätten mit einem Migrantenanteil von rund 90 Prozent. „Penners Programm ist kostengünstig und zeigt in kurzer Zeit phänomenale Ergebnisse.“ So preist die grüne Stadträtin Elisabeth Ziemer die Ergebnisse des Modellprojekts. Billig und gut, in Berlin klingt das wie ein Sechser im Lotto: Die Stadt ist bankrott – und hat massive Sprachprobleme bei seinen Grundschulkindern.

Die Ergebnisse des neuen Sprachprogramms klingen beeindruckend. Insgesamt 600 Kinder, meist Vierjährige, durchliefen nach dem Aufbaukurs Tests. Sie sollten zeigen, wie gut sie den Plural bilden, Fragen verstehen und Artikel anwenden können – aus Sicht Penners entscheidende Fertigkeiten beim Spracherwerb. Die Ergebnisse für die Kinder nichtdeutscher Muttersprache: Sie bildeten zu Beginn des Programms in 36 Prozent der Fälle den Plural richtig, danach waren es 65 Prozent. Beim Frageverständnis stieg die Erfolgsquote von 82 auf 92 Prozent, bei der Artikelanwendung von 43 auf 54 Prozent.

Bei einer Vergleichsgruppe mit Kindern ähnlicher sozialer Herkunft, die keine spezielle Förderung erhielten, war der Lernzuwachs im selben Zeitraum weitaus niedriger. Schlimmer noch: Beim Frageverständnis und bei der Artikelverwendung verschlechterte sich das Ergebnis sogar. „Es reicht nicht, wenn wir diese Kinder in der Sprache baden“, sagt der Schweizer Penner – und kritisiert damit den in der Kitaszene gerne verwendeten Begriff des Sprachbads für Zuwanderer. „Kinder mit Sprachentwicklungsproblemen“, sagte dagegen Penner, „müssen gezielt gefördert werden.“

In seiner Rhythmusübung trainieren die Kinder täglich eine Viertelstunde. Das übernimmt eine speziell fortgebildete Erzieherin. Die zweite Erzieherin betreut den Rest der Kita-Gruppe. Zusätzliches Personal ist nicht notwendig – daher ist das Programm so kostengünstig.

Mit Hilfe von den speziell entwickelten Memorykarten und mit Computerspielen wird den Kindern zunächst spielerisch der Wortrhythmus beigebracht. „Wenn man den Rhythmus raus hat“, so die Philosophie, „dann weiß man, wie man mit den Worten umgehen muss – zum Beispiel bei Verkleinerungen oder der Pluralbildung.“ Wichtig ist, die Kinder nicht zu korrigieren, sondern ihren Spaß am Sprechen und das Spiel mit der Sprache zu fördern. Irgendwann geht es um Satzstruktur und Artikel, später kommt Grammatik hinzu. Gelernt wird auch das durch Wiederholen.

Das Programm, gemeinsam mit der Uniklinik Charité und der Universität Potsdam entwickelt, erproben auch Ravensburg und Offenbach – mit ähnlich guten Ergebnissen. Zürich setzt bereits flächendeckend Penners Sprachförderprogramm ein, das sich an deutsche und nichtdeutsche Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen richtet.

Dass Berlin dringenden Förderbedarf hat, ist von allen Seiten anerkannt. Die Pisa-Studie hat das Thema aufgebracht. Die Berliner Sprachstandsmessung „Bärenstark“ hat den Förderbedarf unter den Vorschulkindern präzisiert – mit einem dramatischen Ergebnis: Fast die Hälfte der Berliner Vorschulkinder spricht so schlecht Deutsch, dass sie Förderung benötigen. Bei den Kindern nichtdeutscher Muttersprache sind es sogar 80 Prozent.

Berlins Bildungssenator Klaus Böger (SPD), der bei jeder Gelegenheit von einer „Herkulesaufgabe“ spricht, hat Reformen auf den Weg gebracht: Er hat ein Bildungsprogramm für die Kindertagesstätten erarbeiten lassen, in dem Sprache ein zentrales Element darstellt. In den Kitas lässt er Materialien wie Sprachlerntagebücher und Sprachförderkoffer verteilen. Das Problem: „Zehn Jahre kann es dauern, bis sich die Maßnahmen flächendeckend durchsetzen“, schätzt die Erziehungswissenschaftlerin Christa Preissing, die das Bildungsprogramm miterarbeitet hat.

„Bislang ist das alles Stückwerk“, kritisiert Dirk Steinmetz, der Leiter der Kindertagesstätte von Fatih, Nadim und den anderen. Sie liegt in der Kurfürstenstraße im Norden Schönebergs, einem der sozialen Brennpunkte der Hauptstadt. In der Kita sind 98 Prozent der Kinder nichtdeutscher Herkunft. Der Sprachförderkoffer, den Böger der Kita bescherte, steht ungenutzt in der Ecke. „Das ist für viele unserer Kinder viel zu anspruchsvoll“, sagt Steinmetz.

Auch Penners Rhythmus-Sprachprogramm aber ist kein Wundermittel, das die Situation über Nacht verbessern würde. Regina Herzog-Stolterfoht hat die Deutschkenntnisse von Fatih und den anderen Kindern getestet. Vier Monate lang sind sie bislang in Penners Programm, aber nur zwei von neun könnten ohne gezielte Sprachförderung dem Unterricht der ersten Klasse folgen. „So schnell schlägt das nicht durch“, sagt die Erzieherin. „Was wir brauchen, ist ein langer Atem – und mehr Personal.“

Doch genau das fehlt. Zahlreiche Berliner Modellprojekte – in städtischen Einrichtungen, aber auch in denen der Arbeiterwohlfahrt – haben längst gezeigt, dass Sprachförderung in Kindertagesstätten erfolgreich sein kann – wenn sie konsequent und in kleinen Gruppen stattfindet. Breitenwirkung hat bislang keines der Projekte erzielt, weil für den flächendeckenden Einsatz das Geld fehlte. Berliner Stadträtinnen um Elisabeth Ziemer fordern nun, dass Penners Sprachübungen nicht das gleiche Schicksal widerfahren darf. Sie wollen, dass der Modellversuch schnell ausgeweitet wird – auf alle Kinder mit Förderbedarf.

Namen der Kinder geändert