„Ich würde es wieder tun“

INTERVIEW WILLIAM TOTOK

taz: Herr Gheorghiu, Sie gehörten zu den drei Soldaten, die das Ehepaar Ceaușescu exekutiert haben. Dazu wurde Ihre aus Fallschirmjägern gebildeten Gruppe eigens in die Kaserne von Târgoviște geholt, in der die Ceaușescus festgehalten wurden. Warum hat man Sie geholt, wo doch schon genügend Soldaten dort waren?

Octavian Gheorghiu: Man sagte uns, dass General Stanculescu, einer der Organisatoren des Prozesses, kein Vertrauen in die dort anwesenden Soldaten habe und uns deshalb hingerufen hatte. Es war absurd. Man befand sich in einer Militäreinheit zusammen mit den Kameraden derselben Waffengattung, und nun hatte der General kein Vertrauen zu ihnen. Es war wie ein schlechter Witz, zu wissen, dass sich hinter deinem Rücken das Ehepaar Ceaușescu befindet. In solch einer Nähe, in der wir Durchschnittsrumänen sie nie hatten sehen, geschweige denn fühlen können.

Wer bestimmte die Zusammensetzung des Erschießungskommandos?

Herr Stanculescu hatte drei Männer ernannt, Ionel Boeru, Dorin Cârlan und mich, und uns in den Kasernenhof in die Nähe jener Mauer beordert, an der das Urteil vollstreckt werden sollte. Stanculescu befahl uns, niemandem etwas von der bevorstehenden Erschießung zu sagen. Wir verstanden sofort. Kurz darauf öffneten Soldaten den Panzerspähwagen, aus dem Nicolae und Elena Ceaușescu ausstiegen. Wir konnten es nicht glauben. Unsere Bestürzung war riesig. Das überzeugte uns von der Ernsthaftigkeit der Lage. Wir führten sie danach zum Dienstzimmer des Kommandanten, wo sie vom Arzt untersucht wurden.

Was fühlten Sie, als die Ceaușescus vor Ihnen standen?

Ich bekam eine Gänsehaut. Elf meiner Kollegen waren bei der Bewachung des Fernsehgebäudes in Bukarest in den vorangegangenen Tagen gestorben. Es gab Tote auf den Straßen. In uns hatte sich ein unbändiger Zorn angestaut. Ich war froh, dass wir sie gefangen hatten und die Revolution nun zu Ende geführt werden konnte.

Hatten Sie Angst?

Wenn man keine Angst hat, ist es schlimmer. Wenn man Angst hat, hat man größeren Mut. Wir haben unsere Angst unterdrückt. Wir führten die Ceaușescus in den Gerichtssaal, in dem sich einige Herrn befanden, darunter auch Stanculescu. Dorin Cârlan und ich hatten die Aufgabe, jedweder Person den Eintritt zu verwehren. Im Notfall sollten wir schießen. Mein Kollege Boeru hatte den Befehl, im Falle eines Angriffes auf die Kaserne, das Ehepaar Ceaușescu auszuschalten.

Haben Sie während des Prozesses daran gedacht, dass Ceaușescu auch der Oberbefehlshaber der Armee ist?

Nein, ich hatte ihn niemals als Vorgesetzten oder als Präsidenten anerkannt. Ich war der Meinung, dass sein Regime verschwinden müsse.

Was geschah nach dem Prozess?

Man brachte uns Hanfschnüre, um die Ceaușescus zu fesseln. Ich wollte Elena Ceaușescu die Hände binden. Sie wehrte sich. Erregt wiederholte sie: „Ihr seid meine Kinder.“ Ich wandte sanfte Gewalt an und band ihre Hände am Rücken zusammen.

Was heißt „sanfte Gewalt“?

Ich habe ihr mit Gewalt die Hände auf den Rücken gedreht. Ein anderer hat ihren Mann gefesselt. Ich musste die Hilfe eines weiteren Kollegen in Anspruch nehmen, weil ich sie allein nicht fesseln konnte. Während dieser Prozedur wiederholten sie ständig, dass sie arm seien und nichts besäßen. Wir mussten sie praktisch wegtragen. Ich fasste sie an einem Arm und mein Kollege an dem anderen. Als wir sie zu der Mauer schleiften, schrie sie immerfort: „Meine Kinder, was wollt ihr tun?“ Die beiden haben erst dort begriffen, dass sie erschossen werden. Ceaușescu begann die Internationale zu singen und rief eine Losung. Wir drei, die zur Vollstreckung bestimmt worden waren, ließen sie neben der Mauer stehen. Was nun geschah, war sehr chaotisch. Wir gingen einige Schritte zurück und begannen – ohne Feuerbefehl – mit den Maschinenpistolen aus der Hüfte zu schießen. Jeder sollte die dreißig Patronen seines Magazins leer schießen. Ich bin der Meinung, dass Ceaușescu mit Würde gestorben ist. Er hatte keine Angst vor dem Tod.

Was geschah danach?

Nachdem wir das Feuer eingestellt hatten, rief mein Kollege Boeru den Richtern zu, dass er dies für das Vaterland getan habe und für seine gefallenen Kameraden. Im Kasernenhof befanden sich viele bewaffnete Soldaten.

Waren diese Zeugen der Vorgänge?

Ja, aber sie wussten nicht genau, was da wirklich vorging. Wir hingegen hatten Angst, von ihnen erschossen zu werden.

Was taten Sie, nachdem die beiden gestorben waren?

Zusammen mit dem Arzt näherten wir uns den Leichen und stellten fest, dass sie tot waren. Wir berührten sie nicht. Elena Ceaușescu hatte auch Einschüsse im Kopf. Mit Hilfe der Soldaten wurden sie in Zeltplanen eingehüllt und zu den zwei bereitstehenden Hubschraubern getragen. Als ich mich umsah, konnte ich feststellen, dass alle Umherstehenden von den Ereignissen sehr betroffen waren.

Was empfanden Sie neben den Leichen?

Als Soldat war es meine Aufgabe, Menschen zu töten. Ich fühlte damals keinerlei Mitleid.

Änderte sich das?

Ja, jetzt tut es mir Leid.

Später berichteten Zeitungen, die Ceaușescus seien geschlagen oder gefoltert worden.

Das Ehepaar Ceaușescu war die ganze Zeit über in jener Militäreinheit aus Târgoviște untergebracht. Niemand hat ihnen Leid zugefügt. Sie wiesen keine Spuren von Misshandlungen auf und schienen auch nicht hungrig oder müde zu sein. In Wirklichkeit waren sie nur verschreckt.

War die Anspannung nach der Hinrichtung verflogen?

Nein, im Gegenteil. Zusammen mit den Gerichtsmitgliedern und den eingewickelten Leichen flogen wir ab, ohne zu wissen wohin. Wir landeten schließlich auf dem Bukarester Ghencea-Stadion. Nach längerem Warten übergaben wir die Leichen einem Offizier aus der nahe gelegenen Infanterieeinheit.

War der Zorn dann verraucht?

Nein, denn er war nicht nur gegen die Ceaușescus gerichtet, sondern gegen ein ganzes Regime, mit seinen Parteimitgliedern und Ministern. Allmählich wich meine Wut der Angst. Ich wusste nicht, was mit uns geschehen würde und was für Folgen die Erschießung haben könnte. Wir fürchteten uns vor Rache von Ceaușescus Anhängern.

Wieso haben Sie lange nicht über diese Vorkommnisse gesprochen?

Eigentlich wollten wir über diese Sachen nicht sprechen. Viele bedauerten es, dass die Ceaușescus getötet worden waren. Von uns wurde gesagt, wir seien Verbrecher. Ich war sehr verwirrt und war nicht sicher, ob ich richtig oder falsch gehandelt hatte. Heute behaupte ich aber, dass der 25. Dezember 1989 ein wichtiger Tag in der Geschichte Rumäniens war, weil damals das kommunistische Regime beseitigt wurde. Wir haben Gutes für unser Land getan, heute kann man wieder frei sprechen. Wir gehören jetzt zu Europa.

Haben Sie noch Kontakte zu Ihren beiden Kollegen, die die Hinrichtung mitvollzogen haben?

Damals standen wir uns sehr nahe, aber die Ereignisse haben uns entzweit.

Wieso?

Meine Kameraden haben oft versucht, die Ereignisse nicht wahrheitsgemäß wiederzugeben. Wahrscheinlich haben sie auch heute noch Angst vor Repressalien. Boeru bezeichnet sich außerdem als alleinigen Vollstrecker, was so nicht stimmt. Dafür gibt es genügend Zeugen.

Wie würden Sie heute handeln, wenn Sie vor der gleichen Entscheidung stünden?

Ich würde wieder dasselbe tun wie damals. Ich habe es für mein Land getan, für meine Freunde, für uns alle, für das rumänische Volk.

Sind Sie mit der Entwicklung in Rumänien zufrieden?

Unsere Träume von damals wurden nicht hundertprozentig erfüllt. Wir haben jetzt die Freiheit, aber die Bevölkerung leidet unter den alltäglichen Anstrengungen.