Im Labyrinth des Größenwahns

In den Privatgemächern baut Mihai Oroveanu ein Kunstmuseum auf. „Es ist fantastisch, den Presslufthammer in Ceaușescus Kitsch zu bohren“

AUS BUKAREST KENO VERSECK

Mariana Celac kann viele Geschichten über Bukarest erzählen. In manchen Straßen weiß sie zu jedem Haus etwas zu berichten. Sie hat ein enzyklopädisches Wissen über ihre Heimatstadt angesammelt. Die bekannte rumänische Architektin steht auf dem Platz der Einheit, mitten im Herzen von Bukarest, und schaut sich um. Ihr fällt keine Geschichte ein. Sie steht vor einer beinahe leeren Fläche.

Ende der Siebzigerjahre ließ der Diktator Nicolae Ceaușescu große Teile der Bukarester Altstadt abreißen. Ein riesiger Palast wurde gebaut und ein fünf Kilometer langer Boulevard angelegt, der sich auf halber Strecke zum Platz der Einheit ausweitet. Bis heute, 15 Jahre nach dem Sturz Ceaușescus, ist er noch immer ein fast leeres Areal. Ringsum hellgraue Neubauten, überfrachtet mit Stuck, Säulen, Erkern und Türmchen, und dreispurige Straßen, auf denen die Verkehrsteilnehmer sich mit ihren Autos ineinander verkeilen. „Der Boulevard schneidet eine 100 Meter breite Schneise durch Bukarest“, sagt Mariana Celac. „Die Stadt hätte das nicht gebraucht. Aber so wollte es die zufällige Laune des Diktators.“

Die 66-jährige Architektin hat die Zerstörung Bukarests in allen Einzelheiten erlebt. Mehr als ein Jahrzehnt protestierte sie mit offenen Briefen und Interviews in ausländischen Fernsehsendern gegen die so genannte Systematisierung von Bukarest. Sie wurde dafür auf immer schäbigere Verwaltungsposten abgeschoben und rund um die Uhr von der Geheimpolizei Securitate bewacht.

Sie mag nicht davon erzählen. Sie möchte keinen Heiligenschein der Dissidenz tragen. Sie sagt lapidar: „Ich bin nicht jemand, der denkt: Was hätte alles aus mir werden können, wenn die Verhältnisse anders gewesen wären.“

Vom Platz der Einheit spaziert Mariana Celac auf Ceaușescus Palast zu. Zwei Kilometer auf dem Boulevard der Einheit, dessen monotone Überfrachtung sich jetzt langsam auflöst. Manche Bewohner haben thermopenverglaste Wintergärten an die Fassade bauen lassen, Banken ihre Zentralen mit schwarzem Marmor und getöntem Spiegelglas verkleidet. „So wollen wir überstürzt Anschluss an die westliche Zivilisation finden“, sagt Mariana Celac belustigt.

Direkt vor dem Palast Ceaușescus liegt ein weiterer riesiger Platz, eine Aufmarschfläche für Paraden. Die Architektin steht da und schaut auf den Palast, der sich auf einem weiten Hügel ausbreitet.

Er ist nach dem Pentagon das zweitgrößte Gebäude der Welt und heute Sitz des Parlaments. Seine Grundfläche beträgt 65.000 Quadratmeter. In den Bau würden der Berliner Reichstag, der Kölner Dom und das Münchener Olympiastadion zusammengenommen hineinpassen, wahlweise auch die Cheopspyramide. Der Palast ist gigantisch. Er ist, wie die Bauten auf dem Boulevard, überfrachtet mit dekorativen Elementen. Deshalb wirkt er nicht monumental, sondern plump.

Mariana Celac könnte mit wenigen Worten ein vernichtendes Urteil fällen über diese Architektur. Aber sie sagt etwas Versöhnliches: „Schön, logisch, gut gebaut oder nicht, der Palast und der Boulevard existieren. Das Leben muss diese Vergangenheit verarbeiten.“

In einer riesigen Halle des Palastes kreischt lange und schrill eine Alarmanlage. Es ist die Halle vor dem Plenarsaal des Parlaments: Die Abgeordneten werden zur Sitzung gerufen.

Mona Muscă steht in der nackten marmornen Halle. Die 55-jährige Philologin ist eine prominente Politikerin in Rumänien, sie sitzt für die National-Liberale Partei im Parlament und kümmert sich viel um Bürgerrechte und Sozialpolitik. Gleich muss sie in den Plenarsaal, sie ist nicht begeistert. „Die Akustik im Plenarsaal ist so schlecht, dass man nichts hört“, sagt sie entnervt, „die Redner sind so weit weg, dass man sie nur wie im Nebel sieht, und die Sitzungsleiter, die einem das Wort erteilen, sehen einen nicht. Man muss immer schnell nach vorn rennen, wie in der Schule: Ich, Frau Lehrerin, ich bin dran!“

Mona Muscă ist eine schlanke, sportliche Frau, und das ist ihr Glück als Abgeordnete in diesem Parlamentspalast. Zwischen dem Büro ihrer Fraktion, dem Plenarsaal und den Räumen der Parlamentskommissionen läuft sie jeden Tag mehrere Kilometer hin und her. Sie erinnert sich an eine Zeit, als sie zwei Gesetzesprojekte in zwei Parlamentskommissionen liegen hatte. Die Tagungsräume der Kommissionen waren an entgegengesetzten Enden des Palastes. „Ich habe drei Kilo abgenommen. Das tut mir natürlich nicht leid, aber es war sehr anstrengend. Ehrlich, ich habe schon oft Gesetze einfach deshalb durchgebracht, weil ich besser laufen kann als andere.“

Als Mona Muscă 1996 zum ersten Mal ins Parlament gewählt wurde, besorgte sie sich einen Plan des Gebäudes. Es dauerte trotzdem Monate, bis sie sich nicht mehr verirrte. Der Palast mit seinen hunderte Meter langen Galerien und kathedralenartigen Sälen ist nicht nur gigantisch, er ist auch angelegt wie ein Labyrinth. Nicht von jedem Eingang aus kommt man in alle Flügel des Gebäudes, die Fahrstühle sind in Nischen versteckt, nicht jeder hält auch in jeder Etage, manche Treppen enden an Mauern, Hinweisschilder gibt es kaum.

Anca Petrescu weiß manchmal selbst nicht, wie sie an welchen Ort des Palastes kommt. Obwohl sie ihn entworfen hat. Sie war die Chefarchitektin des Diktators im „Haus des Volkes“, und sie ist noch immer Chefarchitektin des Parlamentspalastes. Er ist ihr Lebenswerk.

Die 50-Jährige steht in einer großen, leeren, halbdunklen Halle ihres Baus. Sie lächelt, aber ihre Augen blicken tief misstrauisch. Sie möchte nicht mehr verteufelt werden für 27 Jahre Arbeit, sie hatte es schwer genug unter Ceaușescu. „Der Bauherr wollte jede Woche wissen, wie alle möglichen Säle und Räume aussehen werden“, sagt sie. „Deshalb mussten wir ständig Zeichnungen und Modelle anfertigen. Es war eine außerordentliche psychische Belastung, ständig mit dem Staatschef zu reden.“

Sie nennt den Diktator nicht beim Namen, kein einziges Mal. Überhaupt hat sie Angst. Sie sagt, sie wolle nicht, das sie gesehen werde, sie habe keine Genehmigung überall umherzulaufen. Deshalb hat sie diese einsame Marmorgruft als Ort für ein Gespräch gewählt.

Sie war 23 Jahre alt und gerade mit dem Studium fertig, als sie den Wettbewerb für den Palastbau gewann. Manche Kollegen sagen über sie, Ceaușescu habe sie nur ausgewählt, weil sie eine junge, unerfahrene Handlangerin gewesen sei. Gegen solche öffentliche Behauptungen hat sie kürzlich geklagt. „Mein Projekt war das Beste“, sagt sie. „Es versammelte viele staatliche Institutionen in einem Gebäude. Das war dem Bauherrn sehr wichtig.“ Sie sagt das voller unschuldigem Stolz. Sie begreift nicht, warum sie ihre Verleumdungsklage verloren hat.

Als die Innenstadt von Bukarest abgerissen wurde, waren die Anwohner verzweifelt, sie wollten nicht umgesiedelt werden. Viele Menschen, meist Ältere, begingen Selbstmord. Jahrelang wurde viel Geld und Material in den Bau des Palastes und des neuen Bukarester Stadtzentrums gepumpt, während die Menschen mit Stromsperren, abgestellten Heizungen und Lebensmittelrationierungen lebten.

„Das ist schon so lange her, ich erinnere mich gar nicht mehr daran“, sagt Anca Petrescu charmant lächelnd. „Ich richte den Blick nach vorn.“

Auf der Rückseite des Palastes stehen Kräne und Baumaschinen, Arbeiter laden Stahlträger ab. Hier, in einem bisher leeren Teil des Gebäudes, entsteht das Museum für moderne Kunst. Die Arbeiten sind zum Teil abgeschlossen, in einigen Sälen gibt es bereits Ausstellungen. Der Leiter des Museums ist Mihai Oroveanu, eine der originellsten Figuren in ganz Bukarest. Der korpulente 58-Jährige hat eigentlich Kunstgeschichte studiert, aber er war schon vieles in seinem Leben: Bauarbeiter, Bohemekneipenbetreiber, Fotograf, Hammerwerfer in der Leichtathletik-Nationalmannschaft und Schauspieler in Kriminalfilmen. Vor zwei Jahren fragte die Regierung ihn, ob er in ungenutzten Sälen des Ceaușescu-Palastes ein Museum für moderne Kunst einrichten wolle. Er nahm an.

„Es gibt viele Leute, die das skandalös fanden“, sagt er. „Natürlich habe ich keinerlei Sympathie für diesen Palast. Aber ich habe versucht, pragmatisch zu sein und nicht sentimental.“

Das Museum wurde in Ceaușescus ehemaligen Privatgemächern eingerichtet, unter anderem in einem 300 Quadratmeter großen Schlafzimmer des Diktators. Inzwischen ist alles umgebaut. Hohe Säle wurden durch großflächige Emporen aufgelockert, die Steinfassade des Palastes teilweise aufgerissen und durch eine Glasfassade ersetzt. Es ist ein lichter, elegant-einfacher Bau – und das erste Museum für moderne Kunst in Bukarest überhaupt. Zurzeit sind unter anderem Werke zeitgenössischer rumänischer Künstler zu sehen, die sich mit dem Palast selbst auseinander setzen. Zum Beispiel: Ein Nachbau des Palastes aus Schachteln der Zigarettenmarke „Karpaten“. Der ironische Titel des kleinen Bauwerks: „Draculaland“.

Vor dem Museum will Oroveanu einen Park mit Skulpturen, weitere Ausstellungssäle, ein Café und ein Freilichttheater bauen lassen. Er hofft, dass sein Museum bald zu einer der großen Attraktionen Bukarests wird. Sieht so aus, was Mariana Celac die „Verarbeitung der Vergangenheit durch das Leben“ nennt? Oroveanu winkt ab. Nein, so hochstilisierte Überlegungen stellt er nicht an.

„Es ist eine fantastische Sache, dass ich den Presslufthammer in den Kitsch Ceaușescus bohren konnte“, sagt er. „Ja, ich habe selbst mit dem Presslufthammer gearbeitet, es ist ein großes Vergnügen. In einem bestimmten Abschnitt der Bauarbeiten waren hier so viele Presslufthämmer, dass nicht einmal mehr das Parlament arbeiten konnte. Alles hat gezittert.“

Oroveanu freut sich diebisch, er lacht aufrichtig schadenfroh. Lange dröhnt sein Lachen durch den Ausstellungssaal.

„Mit dem Presslufthammer durch das ‚Haus des Volkes‘ zu laufen“, sagt er grinsend, „die Möglichkeit hat wirklich nicht jeder.“