Alle Farben schwarz

„Ich schreibe Bücher über Menschen, die diese nie lesen werden“: Eine Begegnung mit dem amerikanischen Schriftsteller Denis Johnson, der sich mit seinen durchweg düsteren Büchern den Ruf eines literarischen Einzelkämpfers erworben hat

VON PETER HENNING

Angeblich hasst er Interviews. Doch aus der Ruhe bringen lässt er sich nicht. Denis Johnson sitzt lässig auf der Couch seines Kölner Hotelzimmers, schlürft kalten, abgestandenen Kaffee und beantwortet Fragen wie einer, der sich seiner Sache sicher ist. Ein hintersinnig schmunzelnder Buddha in Menschengestalt, der an die eigene Mission glaubt. „Weil mein Leben inzwischen viel besser ist, als ich mir früher hätte erträumen können“, wie er sagt. „Mein Werk wird geschätzt, niemand redet mir in meine Arbeit rein und ich habe Spaß. Fast jeden Morgen bete ich, lese Psalmen und denke an Gott. Kurz gesagt: Ich bin ein glücklicher Mensch.“

Soeben ist seine Novelle „Train Dreams“ erschienen – und Johnson spricht über dieses kleine Buch wie über einen guten Freund, „weil es auf seine Weise geschlossener und insgesamt weniger düster ist als all meine großen, verrückteren Romane“. Das gerade mal 112-seitige Stück blendet an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück und erzählt die Geschichte des eigenbrötlerischen Glückssuchers Robert Grainier, der als Tagelöhner quer durch Amerika vagabundiert, um sich als Brückenbauarbeiter zu verdingen. Grainier hat Frau und Kind, und um beide durchzubringen, ist ihm kein Weg zu weit. „Dies war Grainiers erster Sommer im Wald, und die Robinson-Brücke war die erste von mehreren Eisenbahnbrücken, an deren Bau oder Reparatur er sich beteiligte.“

Es ist die Zeit der legendären Earp-Brüder, die in Tombstone und anderswo den Westen Amerikas unsicher machen. Jahrelang pilgert Grainier durch Amerikas Weiten, bis es ihn – und wie könnte es anders bei Johnson sein – alsbald gehörig aus der Bahn werfen wird. Denn als der Tagelöhner im Sommer des Jahres 1920 mit vierhundert Dollar in der Tasche nach Spokane heimkehrt, findet er sich schlagartig entwurzelt – und um Frau und Kind beraubt, die wie ungezählte andere bei einem Großfeuer, das ganze Landstriche ausradiert hat, ums Leben gekommen sind. „Soviel Asche, soviel atemberaubender Rauch – schon Meilen bevor er sein Zuhause erreicht hatte, wusste er, dass nichts davon geblieben sein konnte, und ging dennoch weiter, weinte um seine Frau und seine Tochter und rief wieder und wieder ‚Kate! Gladys!‘ “.

Genau hier, in dieser für seinen Helden vorstellbar schmerzhaftesten Stillstandssituation, greift Johnson seinen Lesern nun nicht schamlos an die Herzen, wie das viele andere Autoren tun würden, sondern hält seine Geschichte erstaunlich nüchtern in der Balance. Was folgt, sind Erinnerungen eines für immer Entwurzelten und um seine Zukunft Beraubten an sein vergangenes Leben; Visionen und Tagträume eines früh Erschütterten, der fortan die Menschen meidet und Einsamkeit und Stille sucht. Bis er 1968 „im Schlaf aus dem Leben schied“, und „für den Rest des Herbstes und den ganzen Winter hindurch tot in seiner Hütte“ lag.

So liest sich „Train Dreams“ unterm Strich wie ein kurzer, schlechter Traum, aus dem es seinem Protagonisten nicht gestattet ist zu erwachen. „Ich habe sogar versucht, unter Drogen zu schreiben“, erläutert Denis Johnson die Grundstimmung seiner düsteren Romane, „aber dadurch wurden meine Bücher auch nicht anders. Schwarz ist eben meine Lieblingsfarbe.“

Gleichwohl blickt der 1949 als Sohn eines Besatzungsoffiziers in München geborene Johnson, der große Teile seiner Kindheit in Manila verbrachte, inzwischen beinahe amüsiert auf seine Säufer- und Drogenkarriere zurück. „Vor achtzehn Jahren hab ich das letzte Mal was genommen“, sagt er. „An meine Schulzeit mag ich gar nicht denken. Ich war ein schwieriger Junge. Ich nahm damals alles, was ich kriegen konnte, Acid, Shit, Magic Mushrooms oder bunte Wunderpillen, wenn sie nur dafür sorgten, dass ich eine Weile auf einem anderen Planeten sein konnte. Danach habe ich jahrelang getrunken und mit den Helden meiner Bücher gelebt.“

Doch als er seinerzeit einen Vorschuss von satten 100.000 Dollar für die anstehende Verfilmung seines Romans „Engel“ binnen kurzem verjubelte, zog seine Ehefrau die Notbremse. „Seitdem lässt sie mir ein tägliches Taschengeld von 50 Dollar zukommen, und das ist auch gut so. Denn ich bin ein Mensch, der nicht wirklich für sich selbst sorgen kann. Ich war lange Zeit hochneurotisch und völlig in meine Arbeit verstrickt. Soziale Kontakte mied ich wie die Pest, mit roten Ampeln und Menschenmassen, die sich grölend durch irgendwelche Shopping Malls kämpfen, wollte ich nichts zu tun haben. Irgendwann beschloss ich dann, ein anderes, spirituelleres Leben zu führen.“ So publiziert er weiter seine als Romane getarnten Bankrotterklärungen: finstere, zwischen Schauerroman und Hard-boiled-Fiction oszillierende Prosawerke, die von Verheißung, Verdammnis und Wahn künden und von denen er sagt: „Ich schreibe Bücher über Leute, die diese nie lesen werden, doch das hat wohl mit meiner Vergangenheit zu tun. Und weil ich nicht vergessen habe, wie das damals war, versuche ich denen, mit denen ich mich lange gemeinsam durchs Leben schlug, rückblickend eine Stimme zu geben. Das mag sentimental klingen, wenn ich sage, ich hab die Typen gemocht. Aber es ist wahr. Denn in ihrem Unglück erscheinen sie mir noch heute authentischer als die meisten so genannten Normalos, denen ich später begegnet bin.“

Regelmäßig zieht Denis Johnson die Bewunderung des literarischen Amerika auf sich. Philip Roth etwa sieht in seinen Romanen „eine Prosa von erstaunlicher Kraft und Schönheit“, und der für seine Verliererstorys bekannte Kurzgeschichtenautor Tobias Wolff gar „eine Kunst vom Range eines Bosch oder Breughel“. „Ich bin ein Writers-Writer“, sagt Johnson dazu ohne Groll. „Meine Breitenwirkung ist zwar eher gering, doch dafür darf ich die meiner Meinung nach wahren Leser meine treuesten Leser nennen: Schriftsteller, Verrückte, Seher, Ausgeflippte.“

Mit Romanen wie „Wiederbelebung eines Gehängten“, „Fiskadoro“ und „Schon tot“, der schwarzen Romanze „Engel“ sowie der düster-makabren, von Alison Maclean 1999 verfilmten Story-Sammlung „Jesus’ Son“ erschrieb sich Denis Johnson den Ruf eines literarischen Einzelkämpfers irgendwo zwischen Cormac McCarthy und Malcolm Lowry. Bücher, die sich allesamt in der Beschwörung „jener trunkenen Wahnsinnswelt“ namens Amerika ergehen – und deren Personal sich rekrutiert aus Trinkern, Koksern und spirituellen Spinnern, die nichts mehr zu verlieren haben und von denen es in „Jesus’ Son“ einmal heißt: „Wir hatten dieses Gefühl von Hilflosigkeit und Schicksal. Wir würden in Handschellen sterben. Ich wusste, dass ich auf dieser Welt war, weil ich es an keinem anderen Ort aushalten konnte.“

„Weshalb sollten meine Bücher gut ausgehen?“, fragt Johnson rhetorisch im Gespräch. „Das Leben geht doch auch nicht gut aus. Wir altern, unsere Freunde sterben, und am Ende müssen wir selbst daran glauben. Was, bitte schön, ist daran positiv?“

Denis Johnson ist Amerikas schwärzester Romantiker. Eben hat er drei Theaterstücke beendet, „kleine schmutzige Geschichten“, wie er sagt, in denen er wollüstig abermals das umkreist, was ihm ohnehin als einzige Gewissheit gilt: der Untergang des Menschen, der „früher oder später kommen wird“. Da ist er sicher. Und er lacht.

Denis Johnson: „Train Dreams“. Novelle. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Marebuch Verlag, Hamburg 2004, 112 Seiten, 18 €