Versammlungsrechtler über direkte Aktionen: "Nazi-Demos blockieren ist Selbsthilfe"

Der Leipziger Versammlungsrechtler Christoph Enders hält nichts davon, Blockaden gegen Nazi-Märsche zu erlauben. Die in der Verfassung verankerte Versammlungsfreiheit gelte auch für Rechte.

Eindeutig kein Straftatbestand: Menschenkette gegen Nazi-Demo am Sonntag am Dresdner Elbufer. Bild: dapd

taz: Herr Enders, in Dresden rufen linke Gruppen zur Blockade rechtsextremistischer Demonstrationen auf. Wer hat das Grundgesetz auf seiner Seite?

Christoph Enders: Grundsätzlich gilt die Versammlungsfreiheit für beide Seiten. Die rechten Demonstranten können sich genauso auf das Grundgesetz berufen wie linke Gegendemonstranten - sofern sie sich an gewisse Regeln halten.

Welche Regeln?

Erstens: Das Grundgesetz schützt nur "friedliche" Demonstrationen. Zweitens: Eine Versammlung ist nur geschützt, so lange sie am öffentlichen Diskurs teilnimmt. Wenn sie dagegen in einer Art Selbsthilfe ihre Ziele einfach durchsetzen will, ist der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit verlassen. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2001 entschieden.

Was heißt das für Sitzblockaden gegen Nazi-Märsche?

Die erste Bedingung ist erfüllt: Sitzblockaden sind nicht gewalttätig, sondern friedliche Versammlungen. Problematisch ist der zweite Punkt: Wer sich auf die Demoroute der Rechten setzt, um die Versammlung am Abmarsch zu hindern, greift zur Selbsthilfe. Das ist nicht der Sinn der Demonstrationsfreiheit.

Aber eine Blockade ist doch auch ein Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs.

Natürlich prägt jede Handlung irgendwie auch das politische Klima. Entscheidend ist aber der Zweck der Blockade. Sie ist hier nicht als symbolischer Akt gedacht, sondern zielt auf Verhinderung. Die rechte Demo soll nicht später losgehen oder eine andere Route nehmen, sie soll überhaupt nicht marschieren können.

Christoph Enders, 53, Leipziger Professor für Öffentliches Recht, legte jüngst einen Musterentwurf eines Versammlungsgesetzes vor

Welche Folgen hat das?

Die Polizei muss den Abmarsch der rechten Demonstration ermöglichen und eventuelle Blockaden der Gegner auflösen. Wie das Verwaltungsgericht Dresden neulich festgestellt hat, muss die Polizei die beiden Lager sogar räumlich deutlich trennen, damit es erst gar nicht zu Blockaden auf der Route kommen kann.

Haben Gegendemonstranten nicht das Recht, in Sicht- und Hörweite der Nazis zu demonstrieren?

Im Prinzip ja. Aber wenn die Stadt konkrete Anzeichen hat, dass die Gegendemonstrationen Ausgangspunkt für Blockaden sein sollen, kann sie auch solchen Veranstaltungen einen räumlich entfernten Platz zuweisen.

Ist die Teilnahme an Blockaden gegen rechte Demos sogar strafbar?

Ja. Eine bloße Sitzblockade ist zwar keine Nötigung nach dem Strafgesetzbuch. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Aber nach dem sächsischen Versammlungsgesetz sind "grobe Störungen" von Demonstrationen verboten, die in der Absicht erfolgen, diese zu verhindern. Angedroht wird Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Haft.

Kann die Polizei dabei ein Auge zudrücken?

Die Störung einer Demonstration ist eine Straftat. Nach dem Legalitätsprinzip muss die Polizei eingreifen.

Warum wird es dem Widerstand gegen rechte Tendenzen so schwer gemacht?

Weil die Demonstrationsfreiheit in unserer Verfassungsordnung einen besonders hohen Rang hat. Wenn nur die Gruppen demonstrieren dürften, die zum Mainstream gehören, bräuchte man die Garantie der Versammlungsfreiheit nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.