Kolumne Jungswelten, Mädchenwelten: Dissidenz pflegen

Wir sehen deutschen Spitzenfußball: Turbine Potsdam gegen FCR Duisburg im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion. Und Ö. denkt nur an Tore.

Ö. nölt. Die weite Anfahrt. Das nasskalte Wetter. Vor allem: diese unmögliche Uhrzeit. Das Spiel zwischen dem Tabellenführer der Frauen-Bundesliga, Turbine Potsdam, und dem Dritten, dem FCR Duisburg, hat noch nicht angefangen, da hat Ö., einst Verteidigerin beim TuS Eichholz-Remmighausen, in Gedanken bereits ihre Brandschrift formuliert, mit der sie vor der WM die Öffentlichkeit wachrütteln will: "Was im Frauenfußball alles schiefläuft - Elf Thesen von Ö." Erstens: "Sonntags um elf geht gar nicht."

Das Karl-Liebknecht-Stadion, wo der deutsche Meister und Champions-League-Sieger seine Heimspiele austrägt, hat sich nicht bloß im Namen viel DDR-Charme erhalten. Von der Mitte der Tribüne sind Gesänge und Trommeln zu hören. Wir setzen uns zu den Potsdamer Ultras und stellen überrascht fest, dass die Lautesten von ihnen Männer im Rentenalter sind. Ö. gefällt's.

Turbine beginnt stürmisch, aber der FCR steht gut organisiert in der Abwehr und spielt immer wieder gefährliche Konter. Es ist ein kämpferisches, eingedenk der Platzverhältnisse sogar gutes Spiel. Nur Ö. sieht das anders: "Jetzt könnte mal ein Tor fallen." Immerhin von Fatmire Bajramaj ist sie angetan, außer ihr und Duisburgs Star Inka Grings kennt Ö. ohnehin niemanden.

Ü. ist Redakteur im Schwerpunkt-Ressort der taz.

Merkwürdig nur: Die Spielerinnen scheinen sich mit Frauenfußball auch nicht besser auszukennen. Zumindest versuchen die einen, jeden Ball zu Grings zu bringen, während bei den anderen alles über Bajramaj läuft. Die gefällt mir mit ihrer Ballbehandlung und ihrer Präsenz auch sehr gut, ich entscheide mich aber aus Liebe zur Dissidenz, heute dem FCR die Daumen zu drücken.

Irgendwann mache ich den obligatorischen Frauen-Abseits-Witz. Ö. versteht den Metawitz nicht und ist empört - und empfindet umso mehr Genugtuung, als Turbine kurz vor Schluss das Siegtor erzielt. Danach hat sie es plötzlich eilig. Sie will nach Hause. Bügeln.

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Von Juli 2007 bis April 2015 bei der taz. Autor und Besonderer Redakteur für Aufgaben (Sonderprojekte, Seite Eins u.a.). Kurt-Tucholsky-Preis für literarische Publizistik 2011. „Journalist des Jahres“ (Sonderpreis) 2014 mit „Hate Poetry“. Autor des Buches „Taksim ist überall“ (Edition Nautilus, 2014). Wechselte danach zur Tageszeitung Die Welt.

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