KIRSTEN FUCHS über KLEIDER
: Von der Verscheußlichung der Schönheit

Kürzlich wurde ich gefragt, ob ich mich denn auf offener Bühne zum Clown machen lassen würde. Na klar!

Ich hatte nie über ein Bühnenoutfit nachgedacht – bis ich letztens bei einem Kabarett-Abend auf der Bühne umgestylt wurde. Ich wurde vorher gefragt, ob ich dafür offen sei und ob ich dann in dem neuen Outfit meine Geschichten vorlese, weil das total witzig sei.

„Na klar!“, habe ich gesagt. Ich weiß gar nicht, warum bei mir das „Na klar!“ immer so locker sitzt. Blamieren? Na, klar! Scheiße aussehen? Na klar! Ich denk immer nicht daran, dass es ein „Nein“ gibt. Ich wollte ja auch kein Spielverderber sein, innerhalb des lustigen Reigens der Spaßmacher.

Natürlich war der Sinn an der Aktion, dass ich danach nicht besser aussehe, sondern albern. Der Kollege, der mich als Objekt für seinen Auftritt benötigte, spielte die Rolle eines Stylingberaters, der um mich herumtänzelte und dabei Sätze sagte wie: „Apricot ist das neue Schwarz ist das neue Grau ist das dunkle Weiß“ oder: „Schulterpolster bei Frauen wecken das Anlehnungsbedürfnis bei Männern“.

Die Schulterpolster in der kurzen Jacke, die ich angezogen bekam, waren enorm. Es war eine silbern glänzende Jacke. Über die flugzeuglandeplatzgroßen Schulterpolster hinaus gingen noch Puffärmel. Ich hatte also einen Superman-Oberkörper aus Alupapier. Noch ein Tuch um den Kopf? Na klar! Das Publikum beömmelte sich, hohe Jauchzer und tiefe Pruster. Ich musste nur stillstehen. Kuck an, dachte ich bei mir, du denkst dir die wildesten Geschichten aus und verstellst deine Stimme beim Vorlesen, aber so geht es auch! Einfach blöd aussehn! Ich kenne ja auch billige Tricks für meine Geschichten: schlüpfrig sein, selbstmitleidig, zynisch, böse, aber nichts davon war nötig, wenn ich diese Jacke trug. Ich war mir sicher, die Jacke ist mein Durchbruch, ich muss sie haben. Der Kollege, der meinen Stylingberater spielte und selber recht schräg aussah, malte mir noch einen roten Mund, sagte immer wieder, dass ich toll aussehe, toll, toll. „Sie sieht doch toll aus, oder?“ Jubelnder Applaus! Dann verbeugte sich der Stylingberater. Er hatte seinen Auftritt perfekt erledigt, die Herzen gewonnen, die Gesichter zum Strahlen gebracht, nun war ich dran. Mir war es egal, wie ich aussah, weil ich mich ja nicht sah. Aber irgendwie kam ich aus der Rolle nicht raus: die schüchterne Frau, die zu einem Stylingberater geht und verscheußelt wird. Dabei musste ich jetzt eigentlich meinen Job erledigen: die selbstbewusste Frau, die was vorliest. Kleider machen auch Künstler. Als ich versuchte, meine Geschichte anzumoderieren, kicherte das Publikum immer noch über meine Erscheinung. Jede meiner kleinsten Bewegungen wurde von den Schulterpolstern in ein wahres Gezappel vergrößert. Im Zirkus gibt es ja immer den lustigen und den traurigen Clown, und nachdem der lustige Clown von der Bühne verschwunden war, stand ich nun da mit meinem rot angemaltem Mund. Ich begann zu lesen.

Die silberne Jacke reflektierte das Scheinwerferlicht und blendete mich von unten, wobei wiederum die Schulterpolster riesige Schatten auf das Blatt Papier in meinen Händen warfen. Ich zitterte – war mir lange nicht passiert. Ich schwitze – war mir lange nicht passiert. Danach klopfte mir der Kollege, mein Stylingberater, lachend auf die Schulter, fand meine Geschichte großartig, lobte mich und bedankte sich noch mal, dass ich so offen war. Toll habe ich mitgemacht, toll, toll.

Was ein gutes Bühnenoutfit ist, zeigte an dem Abend der Komiker Olaf Schubert, der in seinem Rhombenpullunder in Kindergröße extrascheiße aussah und dabei skurrile Satzkleckerburgen baute. Natürlich hat er die „geschickt geschnittenen Herren-Obertrikotagen“ nicht nötig, wie er sie in breitem Sächsisch nennt, aber es unterstreicht seine Sprachverirrungen wunderbar.

In meinem Kopf dachte sich etwas zu Ende: Ich habe auch mein Bühnenoutfit, Jeans und Rolli, damit tu ich harmlos. „Willst du die Jacke behalten? Als Erinnerung?“, fragte mich später mein Kollege, der Stylingberater. Und bevor ich dankend ablehnen konnte, hatte ich schon wieder gesagt: „Na klar!“

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