Utopie des Ankommens

Die dritte Staffel von Edgar Reitz’ „Heimat“ erzählt Weltgeschichte, indem sie sie verlässt.Übrig bleiben so ruhelose Träumer in romantisch verklärter Landschaft (20.15 Uhr, ARD)

VON RÜDIGER SUCHSLAND

„Chronik einer Zeitenwende“ heißt der Abschluss von Edgar Reitz’ „Heimat“-Trilogie, die jetzt gekürzt ins Fernsehen kommt. Sie handelt von den 90er-Jahren, vom plötzlichen Herausgerissensein aus der Saturiertheit der 80er und der Flucht in neue Nischen. Aber immer wieder stört die neue Zeit.

„Heimat 3“ ist auch und vor allem ein Film über Enttäuschungen, über Hoffnungen, die sich nicht erfüllen. Auch in seiner Form spiegelt das Resultat die Unruhe und Zerrissenheit, vor allem die schwer definierbare Richtungslosigkeit, die aus der Distanz vielleicht tatsächlich einmal als Signatur der Epoche in Erinnerung bleiben könnte. „Heimat 1 + 2“ erzählten weitaus klarer die Geschichte eines bestimmten Ortes und Milieus – der oft geglückte Versuch einer Alltagsgeschichte mit den Mitteln des Fernsehens.

Hermann und Clarissa, Hauptfiguren von „Heimat 2“, treffen sich zu Beginn von „Heimat 3“ nach langer Trennung unverhofft wieder. Es ist der Abend des 9. November 1989, und die gesellschaftliche geht mit einer privaten Wiedervereinigung einher – „das ist alles nur für uns“. Gleich nach diesem fast kolportageartigen Auftakt reisen beide am nächsten Tag aus dem geschichtstrunkenen Berlin ab in Hermanns Geburtsort Schabbach im Hunsrück.

Es kann kein Zufall sein: Der Chronist Reitz erzählt von der Weltgeschichte, indem er sie verlässt. Eine Flucht vor der neuen Unübersichtlichkeit der Verhältnisse aufs linksrheinische Ufer. Zum Rückzugsort wird ein verfallenes Haus, das einst der Dichterin Karoline von Günderode gehört haben soll, und nun durch schnell angeheuerte ostdeutsche Billigarbeiter renoviert wird. Viele Motive der Romantik durchziehen „Heimat 3“: Sehnsucht nach Idylle, Weltflucht, Rhein- und Loreleymythen, Versöhnung mit der Familie, direkte Verweise auf Hölderlin, Eichendorff, Schubert. Unruhig mäandert die Handlung, ohne ein eindeutiges Zentrum zu finden. Am prägnantesten wird es noch in den Folgen 3 bis 5, die vom Schicksal der Familie Hermanns erzählen. Doch selbst hier wird alles umgewälzt, fransen Identitäten aus. Was Philosophen als modernes Nomadentum mal feiern, mal ängstlich beschwören, zeigt sich im Alltag. Die Figuren sind Ruhelose, Wanderer, Träumer: Die Ostdeutschen, die bald in Schabbach heinzelmännchengleich überall zu sein scheinen, sich mit alten Techniken nützlich machen. Russlanddeutsche, die lernen müssen, dass auch ihr neues Land nie wirklich Heimat wird. Bis zu einem gewissen Grad bleiben sie Kulissen für die Familienstory.

Aber war es so? Man spürt die Hast, merkt, dass hier mehr erzählt werden müsste, damit sich das Gefühl des Verweilens einstellte, das den Sog der früheren Folgen ausmachte.

In Inhalt, Atmosphäre und Tonfall ist „Heimat 3“ ein Märchen. Die Bilder sind oft exzellent in ihrem Sinn für die Landschaft, fürs Atemholen, für die Kunst des Langsamen. Reitz kann ohne Worte viel erzählen. Er hat Sinn für Träume, einen treffenden Blick für manche Milieus. Weniger treffend dagegen das arg holzschnitthafte Bild des Kapitalismus: Wo ein Manager plötzlich schluchzt „Ich bin der Firmenvernichter. Das ist mein Job. Das amerikanische System“, fühlt man sich in einen Reinecker-Film („Derrick“) versetzt. Und in die Moralsphäre einer Daily-Soap, wenn ein Ehebruch postwendend bestraft wird: durch Unfall mit Todesfolge oder Krebs. Fremd bleibt einem ausgerechnet Hauptfigur Hermann. Vielleicht liegt es am steifen, kaum variablen Spiel von Henry Arnold, vielleicht daran, dass Hermann zunehmend vom Suchenden zum saturierten Patriarchen und Bescheidwisser mutiert – ängstlich, schweigsam und unfähig zu streiten. Ein heimgekehrter Taugenichts, der am Rheinufer seinen Nachsommer lebt.

Zum Glück ist da am Ende noch Lulu, Hermanns Tochter, deren traurig-einsamem Blick das letzte Bild gehört – und die Hoffnung auf ein Weitererzählen, eine neue zweite Heimat voller Aufbruch. Denn wenn Freiheit nur noch als „Irrtum“ erscheint, der Familien zerstört hat, wenn jede Suche, jedes Himmelsstürmerische ins Scheitern mündet, alle nur noch vom „Ankommen“ reden, nicht vom Aufbrechen, dann ist das Fazit bruchloser Kulturpessimismus, zu viel der Altersweisheit. Doch erst dieses Ende ist der eigentliche Heimatverlust. Im Kino hieß es schon immer doppelsinnig: „There’s no place like home.“