Im Wissen, dass er rechts ist „und auch gefährlich“

Im Prozess um den Dreifachmord von Overath ergehen heute die Urteile. Während der Hauptangeklagte, ein 46-jähriger Neonazi, mit der Höchststrafe rechnen muss, hofft seine junge Komplizin auf Gnade. Die Brutalität des Mörders schockierte im Oktober 2003 selbst hartgesottene Polizeifahnder

Von Christian Wiermer

„Ich habe nicht geahnt, dass so etwas passieren konnte“, sagte Jennifer D. noch am Dienstag vergangener Woche. Der 20-Jährigen bleibt die Hoffnung, dass die Strategie ihrer Verteidiger aufgeht: Entweder „nur“ eine Verurteilung wegen Beihilfe zum Totschlag und Raubes mit Todesfolge oder gar Freispruch. Die Staatsanwaltschaft bleibt indes hart: Zehn Jahre soll Jennifer D. ins Gefängnis – nach Jugendrecht die Höchststrafe für die zur Tatzeit 19-Jährige. Heute will das Kölner Landgericht im Prozess um den Dreifachmord von Overath sein Urteil sprechen.

Die Rolle der Mitangeklagten ist zwar weiter ungewiss. Klar ist jedoch, dass der Angeklagte Thomas Adolf am 7. Oktober 2003 in eine Overather Anwaltskanzlei eindrang und einen Familienvater, dessen Ehefrau sowie die Tochter tötete. Der 46-Jährige dürfte lebenslänglich bekommen, vermutlich mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Sechseinhalb Monate haben die Richter versucht, Ablauf und Hintergründe des Verbrechens zu klären. Dabei dürfte an der Täterschaft Adolfs nie ein Zweifel bestanden haben. Der vor Gericht betont selbstbewusst auftretende Rechtsextremist hatte die Morde vor Prozessbeginn zugegeben, auch wenn er anschließend vor der Strafkammer seine Angaben zum Motiv gleich mehrfach änderte.

Söldner und V-Mann

Was immer bei der heutigen Urteilsverkündung herauskommen wird – der Fall ist nicht gerade alltäglich, er beleuchtet die Geschichte eines außergewöhnlichen Rechtsextremen. Eines Mannes, der als Söldner in Afrika arbeitete und als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig gewesen sein soll. Eines Mannes, der für die RAF ein Rathaus in die Luft sprengen wollte, als er 19 war und noch nicht rechts oder vielleicht doch. Und es geht um eine junge Frau, die sich diesem Mann unterwirft.

Nach der Schule macht Jennifer D. eine Ausbildung bei der örtlichen Tankstelle. Hin und wieder kommt auch Thomas Adolf vorbei, er holt sich Nussecken. Manchmal soll er sich dort, auf der Toilette, auch seinen Schädel rasiert haben. Jennifer D. lernt Thomas Adolf kennen. Sie weiß, dass er rechts ist „und auch gefährlich“. Aber Jennifer ist auch ein bisschen rechts, so wie man es als Mädchen sein kann in den kleinen Orten bei Köln, wo Braune Zulauf haben.

Für eine Zeit sieht Jennifer D. den 26 Jahre älteren Thomas Adolf nicht wieder. Ihr Vater sagt: „Jeder muss sein eigenes Geld verdienen.“ Es ist der 12. September 2003. Jennifer D. sitzt bei Lidl an der Kasse. Sie verdient ihr eigenes Geld, hat einen Freund. Er ist auch rechts. An diesem Abend trifft Jennifer wieder auf Thomas Adolf. Ihr Freund ist auch dabei. Die drei verstehen sich gut, besonders Jennifer und Thomas. Sie verlieben sich.

Der Freund ist eifersüchtig. Aber Thomas Adolf und Jennifer D. scheren sich nicht darum. Sie fahren nach Frankreich, um Soldatenfriedhöfe anzugucken. Das langweilt Jennifer. Dann hält Adolf es für eine gute Idee, in den Osten zu fahren, nach Cottbus, Erfurt, Guben und Leipzig. Er will Kameraden besuchen, doch die sind mittlerweile im Gefängnis. Das Geld geht aus. Jennifer D. und Thomas Adolf streiten.

Gemeinsam fahren sie zurück nach Nordrhein-Westfalen. Es ist der 7. Oktober, ein stürmischer Herbsttag. Um 15.36 Uhr schreibt Jennifer einer Arbeitskollegin bei Lidl eine SMS: „Komme nicht. Stehe im Stau.“ Dann schaltet sie das Handy aus. Es war eine Lüge. Das Liebespaar ist jetzt in Overath.

Pumpgun in der Tasche

Thomas Adolf hat eine Pumpgun dabei. Er steckt sie in eine Tasche, reicht sie an Jennifer D. weiter. Dann gehen sie zu dem Haus an der Hauptstraße unweit des Rathauses, Nummer 60. Unten ist ein Friseursalon, und in der ersten Etage hat Hartmut Nickel seine Anwaltskanzlei, seit 27 Jahren schon. Der 61-jährige hat eine 26-jährige Tochter, Alja. Sie absolvierte gerade ihr erstes Jura-Examen. Hartmut Nickels Frau Mechtild (53) engagiert sich im sozialen Bereich. Ihrem Mann hilft sie gelegentlich in seiner Anwaltskanzlei, gerade wenn es um Familiensachen geht. Das macht sie auch an diesem 7. Oktober. Tochter Alja ist auch da. Es ist jetzt kurz nach vier Uhr am Nachmittag.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme spielte sich das Drama von Overath wie folgt ab: Thomas Adolf und seine junge Geliebte Jennifer D. klingeln. Mechtild Nickel öffnet die Tür. Thomas Adolf behauptet, einen Termin zu haben. Mechtild Nickel zweifelt, aber sie schaut zur Sicherheit noch mal nach. Sie will höflich sein.

Dann geht es ganz schnell: Thomas Adolf zückt die Pumpgun, trifft Mechtild Nickel rechts im Oberkörper. Sie ist sofort tot. Tochter Alja und Mann Hartmut eilen herbei. Kurze Zeit später klingelt es an der Tür. Thomas Adolf ist nervös, will aber cool bleiben. Er schlägt seinen Hemdkragen um, denn der ist mit SS-Runen bestickt, das soll jetzt keiner sehen.

Eine Nachbarin hatte einen Knall gehört. Sie fragt, ob alles in Ordnung sei. „Alles in Ordnung“, sagt Thomas Adolf und lächelt. Unterdessen versucht Jennifer D., die beiden Opfer mit Kabelbindern zu fesseln. Bei Alja Nickel klappt es, aber ihr Vater wehrt sich. Thomas Adolf kommt zu Hilfe. Dann entschuldigt er sich bei Anwalt Nickel: Die Jennifer würde noch lernen, sagt er. Um 16.25 schießt er Alja Nickel in den Hinterkopf und Hartmut Nickel in die rechte Schläfe. Lässig verlässt das Pärchen die Kanzlei. Sie nehmen ein wenig Bargeld mit.

Als die Bluttat am anderen Tag in der Zeitung steht, prahlt Thomas Adolf im kleinen Kreise, dass er das gewesen sei. Eine Woche später werden Thomas und Jennifer festgenommen. Den Hinweis haben Freunde des Pärchens der Polizei gegeben.