Dioxinvergiftung: hartnäckig und kaum behandelbar

Dioxine können Chlorakne, Verdauungsstörungen und Nervenschäden bewirken. Sie sind berüchtigt: vom Vietnamkrieg bis zur Seveso-Katastrophe

BERLIN taz ■ Genau genommen gibt es „das Dioxin“ nicht. Als Dioxin wird nämlich im Sprachgebrauch eine ganze Stoffgruppe in der organischen Chlorchemie bezeichnet, deren Grundstruktur aus zwei Benzolringen besteht, die über zwei Sauerstoffatome verbunden sind. Bekannt sind rund 200 Dioxine von unterschiedlicher Giftigkeit.

Im Allgemeinen entstehen Dioxine bei Verbrennungsprozessen: wenn organische Verbindungen in Gegenwart von Halogenverbindungen, speziell Chlor oder Brom, oxidieren. Das kann auch bei natürlichen Prozessen eintreten – etwa bei Waldbränden oder Gewittern. Eine Entstehungsquelle war bis Anfang der 1990er-Jahre der Verkehr. Erst eine Verordnung stoppte dies 1992: Fortan war es verboten, Kraftstoffen Chlor- oder Bromverbindungen beizumischen.

Einmal in die Umwelt gelangt, bauen sich Dioxine nur äußerst langsam ab. Sie sind sehr fettlöslich, weshalb sie sich auch im Gewebe von Menschen und Tieren anreichern. 90 bis 95 Prozent der Belastung kommen dabei über die Nahrung in den Körper.

Nicht erst seit der beim ukrainischen Politiker Wiktor Juschtschenko festgestellten Vergiftung sorgen Dioxine für Schlagzeilen: Ende der 60er-Jahre setzten die USA das dioxinhaltige Entlaubungsmittel Agent Orange im Vietnamkrieg ein, was für viele Menschen furchtbare gesundheitliche Folgen hatte. Berüchtigt wurden Dioxine schließlich 1976: Nach der Reaktorkatastrophe beim Pflanzenschutzmittelhersteller Icmesa im italienischen Seveso vergiften sie einen ganzen Landstrich vor den Toren Mailands. In Deutschland ein Begriff ist der „Sportplatzskandal“: Eine Marburger Firma vermarktete bis 1968 über 400.000 Tonnen dioxinhaltige Abfälle der Kupfergewinnung unter dem Namen Kieselrot. Der Sportplatzbelag überschritt den Grenzwert bis zu 10.000fach.

Wie giftig Dioxine sind, hängt von der Anzahl und Stellung der Chloratome ab. So starben beim Seveso-Unfall zwar Vögel und Kleintiere, nicht aber Menschen. Bei denen wurde „lediglich“ Chlorakne festgestellt, jene Deformierung der Haut, die nach akuter Dioxinvergiftung auftreten kann – und nun bei Juschtschenko zu beobachten ist. Chlorakne ist eine hartnäckige, schwer behandelbare und unter Umständen lebenslang anhaltende Talgdrüsenentzündung.

Neben diesem Hautverfall kann das giftigste Dioxin – Tetrachlordibenzo-p-Dioxin – beim Menschen Verdauungs-, Nerven- und Enzymfunktionsstörungen auslösen. Auch Muskel- und Gelenkschmerzen sind die Folge einer Vergiftung. Ob Dioxine Krebs auslösen können, ist nicht abschließend gesichert.

Welches Dioxin Juschtschenko im Körper hat, ist unklar. Fest steht, dass bislang keine spezifische Therapie von Dioxinvergiftungen bekannt ist. Es gibt auch noch kein Mittel, das die lange Verweildauer im Körper mindert – der Patient muss mit Halbwertzeiten von fünf bis zehn Jahren rechnen. Allenfalls die Symptome gelten als behandelbar: Fasten, der Einsatz von Paraffinöl und anderen Präparaten könnten die Dioxinausscheidung beschleunigen. Könnten, sagen die Ärzte. Sicher sind sie sich aber nicht. NICK REIMER