Dem Dom Konkurrenz zu machen, ist eine Anmaßung

Das geplante LVR-Hochhaus ist mit seinen 103 Metern bei aller architektonischen Qualität in Deutz völlig deplatziert. Auch die brillantesten Hochhauskonzepte US-amerikanischer Großstädte sind nicht auf Europa übertragbar. Ein Plädoyer gegen eine Baukultur als Meterware

Köln hatte ein einfaches „Hohe-Häuser-Konzept“. Die Seele der Stadt ist der Rhein und zum Rheinufer wurde die Schaufront entwickelt. Als die Kirchen woanders längst Westturmfronten besaßen, baute man in Köln noch Türme am Chor wie in Groß St. Martin. Die Domtürme selbst sollten bei ihrer Höhe von 155 Metern auch aus der zweiten Reihe wirken. Als der Dom 1880 vollendet war, fiel die Stadtmauer und die Stadt konnte sich erweitern. Seitdem sind die Domtürme Mittelpunkt der Stadt.

Zögernd wagte man sich an weitere hohe Häuser. Der 70 Meter hohe Messeturm, 1928 fertig gestellt, akzentuiert die Messefront und verweist auf Backsteingotik. So auch das 65 Meter hohe Hansahochhaus (1924) am Ring. Dieses zu seiner Zeit höchste Geschäftshaus Europas definierte einen Respektabstand zum Dom. Gerling wagte sich 1951 mit 56 Metern noch innerhalb der Ringe an diese Höhe, der Mediaturm (2001), überschreitet sie mit seinen 150 Metern. Durch gestaffelte Kontur, helle Fassade und fern vom Dom stört er nicht.

Deutz aber ist nah. Also sind Hochhäuser heikel. Die Firsthöhe des Domchores beträgt 61,10 Meter. Alles, was sich darüber hinauswagt, muss mit den Domtürmen konkurrieren, kann deren Wirkung nur beeinträchtigen. 60 Meter hohe Hochhäuser können nicht schlank und gleichzeitig rentabel sein. Bei den New Yorker World Trade Towers (1970, 415 Meter) betrug das Verhältnis von Seitenlänge und Höhe 1:9, was dem der Domtürme entspricht. Hochhäuser in Deutz werden entweder zu hoch oder unangemessen breit.

In Chicago begann 1871 mit der Erfindung von Stahlskelett und Aufzügen der Hochhausbau. Amerikas Städte besitzen keine Denkmäler, historische Schichten oder stadträumliche Figurationen. Man baut ständig neu, die Skyline ist das Balkendiagramm der Bodenspekulation, je teurer der Grund, umso höher. Es gibt hinreißende Wolkenkratzer und städtische Kultur in ihrem Schatten – trotz des simplen Systems. Das ist nicht ins „alte Europa“ übertragbar. Frankfurt wirkt imposant aus der Ferne, aber zwischen den Türmen zerkrümelt sich die gewachsene Stadt. Berlin hat am Potsdamer Platz einen halbherzigen Schritt gewagt. Der Daimler-Turm staffelt sich bei nur 90 Meter Höhe mühselig ab. Das ist „fake“: falscher Maßstab zu pseudomonolithischer Backsteinfassade. Noch ist in Europa keine US-Skyline gelungen, weshalb muss man es in Deutz versuchen?

Deutz ist gebeutelt genug. Die Garnison am „feindlichen Ufer“, mit römischen Resten und Straßen auf barockem Festungsstern wurde 1891 mit Neu St. Heribert beglückt, genauso übertrieben wie 1970 das Lufthansahaus. Was diesem Konglomerat an architektonischer Disziplin fehlt, besitzt das Stadthaus zu viel. Eine Baumasse dieser Höhe und monströser Gradlinigkeit kann sich in kein Stadtgefüge einbinden oder neues definieren.

Und jetzt noch die Hochhäuser am ICE-Bahnhof. Selbst bei 100 Meter Höhe werden das platte Schreiben sein, den Blick auf den Dom verstellend. Man kann mit 60 Metern Höhe Baustrukturen entwickeln, die das Messe-Umfeld verdichten, flexibel auf Nachfrage im Verwaltungs- und Hotelbau reagieren und Wohnen ermöglichen. Der geplante LVR-Turm ist mit 103 Metern zu hoch – und bei aller architektonischer Qualität deplatziert. Seine autonome Rundung und die Stellung in der Domachse machen ihn zum Pendant der Kathedrale. Diese Konkurrenz ist überflüssig, anmaßend, irreparabel.CORD MACHENS