Vorhang auf: Umstrittene Ethik

Heute hält der umstrittene australische Wissenschaftler Peter Singer eine Vorlesung an der Düsseldorfer Uni. KollegInnen werfen ihm vor, behinderten Menschen das Lebensrecht abzusprechen

von ANNIKA JOERES

Heute wird der australische Philospoh Peter Singer zwei Stunden lang an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität seine Thesen vertreten. Im Rahmen einer Ringvorlesung spricht er zum Thema „Animals and Ethics“. Zahlreiche WissenschaftlerInnen aus dem Ruhrgebiet und Düsseldorf wenden sich in einem offenen Brief gegen seinen Auftritt.

Singer, Veganer und Tierrechtler, vertritt in seinem Ende der 1970er Jahre erschienenen Buch „Praktische Ethik“, die These, dass jedes leidende Lebewesen ein Recht auf Unversehrtheit hat und das Recht auf Leben von der Fähigkeit abhängt, sich seiner Zukunft bewusst zu sein und sie zu planen. Da Säuglingen, schwer kranken und schwer behinderten Menschen die zweite, nicht aber die erste Fähigkeit fehle, befürwortet Singer Euthanasie und späte Schwangerschaftsabbrüche. „Ist ein Wesen nicht fähig, Glück zu erfahren, dann gibt es nichts zu berücksichtigen“, schreibt er.

„Singers Thesen sind menschenverachtend“, sagt die Sonderpädagogin Heike Ehrig von der Düsseldorfer Fachhochschule. Behinderte seien für ihn keine lebenswerten Menschen. „Nach Singer definiert nicht mehr das Individuum selbst, was es lebenswert findet, sondern die Gesellschaft misst seinen Nutzen.“ Das sei gerade in der aktuellen Diskussion um Lebensrecht und Sterbehilfe höchst brisant. „Die Diskussionsfreiheit endet dort, wo Lebensrecht verneint wird“, sagt Ehrig.

„Ein Schwein hat nach Singer eine höhere Menschenwürde als ein behinderter Mensch“, sagt der Dortmunder Philosophieprofessor Franco Rest. Rest ist Begründer der bundesdeutschen Hospizbewegung und einer der größten Gegner von Singer. Natürlich sei es lobenswert, dass Singer sich für die Tierrechte einsetzt, aber er rechne deren Wert gegen den Wert des Menschen hoch. „Die Würde des Tieres ist anzuerkennen, ohne die Würde des Menschen in Frage stellen zu müssen“, sagt Rest. Es sei fatal, wie Singer Menschen nach ihrem Glückswert und ihrer Nützlichkeit zu berechnen. „Singer bereitet Teilen der Gesellschaft und der Industrie den Weg, Menschen mit Behinderungen, mit Alzheimer und im Wach-Koma aus Kostengründen nicht mehr zu therapieren.“

Auch Erika Feyerabend hat den offenen Brief unterschrieben. Die Soziologin arbeitet für das Essener Projekt „BioSkop“, einem Forum zur „Beoabachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien.“ „Singer hat den Wertekanon umgedreht: Nach ihm muss jeder erst beweisen, dass er ein Existenzrecht hat, nicht umgekehrt.“ Seine Logik helfe denjenigen, die „kostenträchtige“ Menschen ohnehin loswerden wollten.

Die UnterzeichnerInnen des offenen Briefes plädieren nicht dafür, Singer einfach auszuladen. Aber sie fordern eine breite Diskussionsveranstaltung zu seinen Thesen, auf der auch die Gegenthesen Raum erhalten.