The Schavan

Operation Ministerpräsidentin: Warum die anerkannte Bildungspolitikerin Annette Schavan gegen Günther Oettinger und das konservative CDU-Milieu in Baden-Württemberg keine Chance hatte

VON JAN FEDDERSEN

Es ist ein Lehrstück gewesen – und es wird eines bleiben: dass erstens eine anerkannte Bildungspolitikerin mit allerdings nur rheinischem Hintergrund in Baden-Württemberg wenigstens eine Mitgliederbefragung durchzuführen beansprucht, um den designierten Nachfolger von Ministerpräsident Erwin Teufel herauszufordern. Und dass sie zweitens sehr deutlich den Zuspruch für eine Nominierung durch ihre Partei verfehlte. Sieger wurde, fast zu konventionell, um wahr zu sein, Günther Oettinger, CDU-Fraktionschef, mehr noch, der Mann, der in seiner Partei wohl schon deshalb majoritäre Zustimmung erhielt, weil er als einer der Ihren gilt. In Kungelrunden gewiss auch erwiesen, in der Kunst der taktischen Absprachen und strategischen Finessen. Am wichtigsten aber ist, dass Oettinger den Geist und die Geschichte seiner Partei zu atmen scheint, der baden-württembergischen Partei selbstverständlich.

Oettinger, der Antitraum

Er repräsentiert nach allem, was gewusst werden kann, nicht die urbanen Szenen von Stuttgart, Mannheim, Tübingen oder Freiburg, er ist nicht der Mann, der dort die Herzen aufschloss, weil ihm doch ein gewisser Feinsinn fehlte, vielleicht auch das Talent zur habituellen Ambivalenz und überhaupt zum überraschenden Gedanken. Oettinger ist die Schwäbische Alb, der Schwarzwald, ist die Provinz – und somit ein würdiger Vertreter jenes Bundeslandes, das seine Liberalität in die Metropolen delegiert und ansonsten auf Kehrwoche hält.

Oettinger, das verdient die nähere Skizze, ist der Antitraum zu einem Ländle ohne Provinzialität. Eine Phantasie, die freilich nur jenseits dieser Milieus gehegt wird. In Baden-Württemberg abseits der Städte hält man auf Ehrpusseligkeit, auf Honoratiorenhaftigkeit und den Vorsatz zur Gemächlichkeit. Allzu viel Moderne tut nicht Not. Der Gewinner konnte das „Badener Lied“ anstimmen und versteht sich auch sonst auf landsmannschaftliche Folklore. Ein Alphatier mit Macht und ein Wolf, dem sich die Herde anvertrauen will – obendrein nachfühlbar aus dem eigenen Stall: Wir können alles, aber kein Hochdeutsch. Ein Tribun mit Wiedererkennungswert und hohem Idolfaktor. Zähes Ausharren auf dem Posten des Kronprinzen der Macht zahlt sich doch aus, in Baden-Württemberg offenbar gewiss.

Gegen so einen konnte Annette Schavan fast nur verlieren. Aus dem Rheinland ins Ländle gegangen, eine „Reingeschmeckte“, keine „von uns“, wie es nie formuliert würde, aber die meisten empfunden haben mögen. Ihre Aura ist nicht umsonst mit dem Namen „Äbtissin“ umrissen worden, ihr rhetorischer Stil von einer gewissen Art, die man nicht in der Landesmutter erkennen will, nur in der Lehrerin. Dass sie ledig und kinderlos ist, war außerdem nicht förderlich. Geliefert war sie mit ihrer Anwartschaft nicht deshalb singulär, sondern weil sie das Gemurmel, vom anderen Ufer sein zu können – um gerade in dieser Zeitung schon aus Gründen des Erhalts von Frivolität das böse L-Wort zu meiden –, nicht aushielt und die Unterstellung nährte, jene „Neigung“ (Schavan) käme tatsächlich einem Rufmord gleich.

Schavan, das Risiko

Das hat sie in der Haltung – so wurde es auf einer Regionalkonferenz beobachtet – nervös gemacht: SiegerInnen dürfen immer Lampenfieber haben, sind jedoch nie dies: unruhig, ungelassen, fahrig in ihrer Körpersprache. Schavan hatte das Pech, in Zeiten zu leben, in denen man immerhin so souverän ist, zu fragen, was eben gefragt wurde. Früher, zu Zeiten Bernhard Vogels, als der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz war, war dies jenseits aller Vorstellungskraft: ein Mann, unverheiratet, keine Kinder …

Man will es wissen, und das ist schön so. Dass Schavan die Insinuationen wie viele Medien (vor allem die ja stets, was die persönlichen Dinge anbetrifft, recht neugierige Bild-Zeitung) für „rufmörderisch“ hielt, hat ihr keine Sympathien eingebracht: Sie wusste vielleicht, dass auf der Planche urbaner Lebensstile nichts zu gewinnen ist – aber allein schon durch das Gerede nur alles zu verlieren.

Dass die Niederlage Schavans der Union nicht gerade die städtischen, andere Lebensstile tolerierenden Szenen zutreibt – wie es das strategische Anliegen Angela Merkels ist –, ist offenkundig. Der CDU Baden-Württemberg musste dies gleichgültig sein: Im Ländle werden Wahlen gewonnen, wird Macht bewahrt und stabilisiert. Die Kultusministerin war für die konservative Zukunft zwischen Bodensee und Odenwald ein allzu großes Risiko.