Schulen, Schlampen, Schinkenbrote

taz-Serie „Islam in Berlin“ (Teil 12): Der Religionsunterricht der Islamischen Föderation verschlechtert das Schulklima, wird vielerorts beklagt. Die umstrittene Organisation verstärkt Probleme, auf die die Schulen bislang zu wenig reagiert haben

von SABINE AM ORDE

Das Meinungsbild ist eindeutig. Der Islam verändert den Schulalltag stark. So urteilt fast die Hälfte der rund 120 TeilnehmerInnen, die sich auf Einladung des Integrationsbeauftragten versammelt haben. Die meisten von ihnen sind Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen, Muslime und Nichtmuslime. Leute, die wissen, wovon sie sprechen.

Und natürlich haben sie Recht: 36.000 Kinder und Jugendliche aus dem islamischen Kulturkreis besuchen die Berliner Schulen, an manchen Grund- und Hauptschulen der westlichen Innenstadtbezirke stellen sie die überwiegende Mehrheit. Sie bringen Religion und Tradition ihrer Familien ebenso mit wie häufig die beklagten mangelnden Deutschkenntnisse und die geringe Unterstützung aus dem Elternhaus. Auf das eine wie das andere hat die Schule bislang nicht ausreichend reagiert.

Dabei mehren sich die Klagen über muslimische Kinder und ihre Eltern – nicht erst, seit mit dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh Muslim-Bashing an der Tagesordnung ist. Sondern seit sich die umstrittene Islamische Föderation mit ihrem Religionsunterricht an den Grundschulen immer mehr ausbreitet. Von einer Verschlechterung des Schulklimas ist vielerorts die Rede.

Schimpfende Mädchen

Es geht um Abmeldungen von Mädchen beim Sexualkunde- und beim Sportunterricht. Um Klassenfahrten, die mangels Beteiligung ausfallen. Um Kinder, die sich während des Ramadan vor Hunger nicht konzentrieren können. Um kopftuchtragende Mädchen, die andere als Schlampen beschimpfen. Und um deutsche Schüler, die keine Schinkenbrote mehr mit in die Schule nehmen wollen, weil das unter Klassenkameraden als unrein gilt. Wie oft so etwas vorkommt, weiß man nicht. Aussagekräftige Zahlen fehlen. Aber es werden immer mehr Beispiele genannt. „Bei uns werden solche Fälle häufiger gemeldet als früher“, sagt Rita Hermanns, die Sprecherin der Schulverwaltung.

Bevor die Islamische Föderation kam, war für den Islam an Schulen wenig Platz. Zwar wird dort neben Weihnachten inzwischen auch das Zuckerfest begangen, doch wenn christliche Kinder zum Religionsunterricht gingen, wurden muslimische nach Hause geschickt. Über den Islam konnten sie nur beim Koranunterricht in der Moschee etwas lernen. Ein weiterer Schritt in Richtung der viel kritisierten Parallelgesellschaft? Die Schule hätte ein Ort sein können, der das verhindert.

Das änderte sich erst im Jahr 2000 – gegen den Willen der Bildungsverwaltung. Damals klagte sich die Föderation, die inzwischen mit richterlichem Segen als Tarnorganisation der fundamentalistischen Milli Görüs bezeichnet werden darf, durch alle Instanzen. Seitdem darf sie in Berlin islamischen Religionsunterricht anbieten – und macht das nach eigenen Angaben an 37 Grundschulen mit mehr als 4.000 SchülerInnen. Und die Nachfrage bleibt: Über die Hälfte der türkischstämmigen Eltern würde ihre schulpflichtigen Kinder in den Unterricht der Föderation schicken, ergab 2002 eine Umfrage im Auftrag der damaligen Ausländerbeauftragten Barbara John. Trotz aller Vorwürfe, die es da schon gab. Das dürfte vor allem an den mangelnden Alternativen liegen. Andere Türken wollten damals vor der Anmeldung längst wissen, ob es an der Schule viele sehr religiöse Familien gibt – um ihr Kind dann woanders hinzuschicken.

Eine, die den Unterricht der Islamischen Föderation klar und lautstark beklagt, ist Astrid-Sabine Busse. Seit 13 Jahren leitet sie die Neuköllner Grundschule in der Köllnischen Heide, seit anderthalb Jahren lehrt die Islamische Föderation hier Religion – mit inzwischen 95 SchülerInnen. Busse spricht von einer „schleichenden Islamisierung“ der Kinder, die von der Föderation gefördert werde: „Der Lehrer agitiert ungemein.“ Zunehmend würden sich Eltern beschweren, dass sie bei Hausbesuchen unter Druck gesetzt würden, ihr Kind zum Unterricht zu schicken. Dass den Kindern erzählt würde, wer im Ramadan esse, lande in der Hölle. Dass anständige Mädchen keinen Nagellack benutzen, sondern Kopftuch tragen. „Das läuft unserer Erziehung genau entgegen“, sagt Busse. Wenn Kindern in der Schule ganz andere Werte als außerhalb vermittelt werden, sei es für sie sehr schwierig, damit umzugehen, hat auch Müslüm Bostanci, Erzieher in der Kreuzberger Fichtelgebirgsgrundschule, beobachtet: „Sie entwickeln quasi zwei Persönlichkeiten.“

Besonders aufgeregt haben Schulleiterin Busse die Zeugnisse der Föderation. „Es gibt zwei Arten von Menschen“, heißt es da, „die einen sind unsere Geschwister im Glauben, mit den anderen sind wir durch das Menschsein verbunden.“ Sind nicht alle Menschen gleich? Bildungssenator Klaus Böger (SPD) hat diese Formulierung scharf kritisiert. Doch eine „verfassungswidrige Abwertung der Nichtglaubensgenossen“ kann er nicht darin sehen. Die allein aber würde ihm eine Handhabe gegen die Föderation bieten. Böger beklagt mangelnde Deutsch- und Pädagogikkenntnisse bei den Lehrern der Föderation, das hätten unangemeldete Unterrichtsbesuche der Schulaufsicht gezeigt. „Systematische Verstöße gegen das Grundgesetz“ konnte sie nicht feststellen.

Das kann man auch nicht beim Schulbesuch. Es ist kurz nach acht, in der dritten Klasse der Spandauer Lynar-Grundschule hat der islamische Religionsunterricht begonnen. Sieben Jungen und ein Mädchen packen Brote und Getränke aus, trotz Ramadan darf gefrühstückt werden. Dann wird mit Hilfe eines Tafelbildes der Tagesablauf im Fastenmonat wiederholt. Später geht es um die Kadirnacht, in der Gott Mohammed zum ersten Mal erschien. Der Lehrer fragt die Kinder, was sie darüber wissen, ergänzt ihre Bruchstücke zu einer Geschichte. Schließlich wird dazu ein Klebebild gebastelt, dann ist die Doppelstunde um. Pädagogisch nicht besonders innovativ, aber harmlos wirkt das.

Natürlich waren es Vorzeigestunden mit dem Vorzeigelehrer der Föderation: Burhan Kesici spricht perfekt deutsch, ist höflich, eloquent, zudem der Verwaltungsratsvorsitzende der Organisation – und nur einer von 22 Lehrern. Er verkauft die Positionen der Föderation nach außen. In seinem Büro in der Kreuzberger Boppstraße weist er alle Kritik am Religionsunterricht zurück, hat für jeden Vorwurf eine Erklärung, dreht jede Beschuldigung um. So werden die „zwei Arten Menschen“ auf dem Zeugnis laut Kesici falsch interpretiert. Tatsächlich gehe es um Respekt vor allen Menschen. Die Aufregung darum zeige aber, „wie wenig Verständnis es hier für die Muslime gibt“.

Klare Abgrenzung

Wird also alles gut, wenn die Islamische Föderation wieder aus den Schulen verschwindet – wie es der Bildungssenator plant (siehe Spalte)? So einfach ist es nicht, da sind sich zahlreiche GrundschulleiterInnen einig. „Die Probleme gab es früher und die wird es auch nachher geben“, sagt Annette Spieler, Leiterin der Fichtelgebirgsgrundschule. Die Föderation verstärke diese Probleme nur. Und dann spricht sie über mangelnde Deutschkenntnisse der Kinder, soziale Probleme der Familien und dass dies – verquickt mit Religion und Tradition – die Schulen vor beinahe unlösbare Probleme stellt.

Ruth Weber will das nicht hinnehmen. An der Peter-Petersen-Grundschule in Neukölln hat sich die Schulleiterin auf den Weg gemacht. Mithilfe von Unterstützung – und klarer Abgrenzung. Abmeldung vom Sexualkundeunterricht? Fehlen bei der Klassenfahrt oder der Weihnachtsfeier? „Das lassen wir nicht zu“, sagt die Schulleiterin rigoros. Bei der Anmeldung müssen alle Eltern das Schulprogramm unterzeichnen, in dem diese Aktivitäten festgeschrieben sind. Und daran müssen sie sich auch halten. „Wer das nicht tut, muss sich eine andere Schule suchen“, sagt Weber und meint das auch so. Dabei scheut sie keinen Konflikt. Als eine Schülerin ganz kurz vor der Klassenfahrt erkrankte, setzte Weber die Schulärztin auf das Mädchen an. Das war kerngesund – und wurde zur Klassenfahrt nachgebracht. „Wichtig ist, dass man Regeln gemeinsam erarbeitet und sie dann konsequent anwendet“, sagt Weber. „Da wünsche ich mir mehr Klarheit an anderen Schulen.“ Bislang wurden bei ihr nur zwei SchülerInnen abgemeldet.

Weber hat die Unterstützung des Kollegiums und von weiten Teilen der Eltern, auch der muslimischen. Denn auch diese schätzen das Konzept der „Lebensgemeinschaftsschule“. Die geht von der aktuellen Situation der Kinder aus und macht keinen Unterschied zwischen Christen, Muslimen und Atheisten. Auch an der Peter-Petersen-Schule unterrichtet inzwischen die Islamische Föderation. Viele Probleme gibt es hier bislang nicht.