Im Dienst ergraut

Frau Prof. Ursula Nienhaus vom Frauenforschungs-, Bildungs- und Informationszentrum in Berlin

VON GABRIELE GOETTLE

Ursula Nienhaus, Prof. Dr. phil., Leiterin d. Archiv- u. Informationsbereichs d. FFBIZ (Frauenforschungs-, Bildungs- u. Informationszentrum) in Berlin u. Privatdozentin f. neue Geschichte a. Historischen Seminar der Universität Hannover. 1951–1955 Volksschule i. Hadern/NRW, 55–66 Gymnasium i. Aspel/Hadern, 66–72 Studium: Deutsch/Geschichte, Pädagogik/Philosophie a. d. Universitäten Köln, Bonn, Tübingen. 1972 1. Staatsexamen (Titel d. Arbeit: Michael Bakunin. Seine Haltung gegenüber Russland). 1972–73 USA, Stanford University Cal. (Archiv f. d. frühe Sowjetunion). 1974–75 Aufbaustudium i. Tübingen, Russisch u. Soziologie. 1976 Dissertation i. sowj. Geschichte (Revolution u. Bürokratie, Staatsverwaltung und Staatskontrolle in Sowjetrussland 1917–1924). 1976–79 wiss. Assistentin a. d. TU Berlin u. Kontakte z. Frauenbewegung. 1978 Gründungsmitglied d. FFBIZ, zus. mit Barbara Duden, Gisela Bock, Claudia Bernadoni u. vielen anderen Frauen (seitdem kontinuierlich wiss. Mitarbeiterin, Schwerpunkte: Forschung, Bildungsveranstaltungen, Archivierung v. Sammlungen u. Nachlässen, Praktikantinnenausbildung), daneben bis 1992 wiss. Mitarbeit u. a. am Landesarchiv Berlin. 1993 Habilitation („Vater Staat und seine Gehilfinnen“. Die Deutsche Post i. Spannungsfeld von Sozialpolitik u. Betriebskalkül. – Eine Fallstudie am Beispiel weiblicher Beschäftigten 1864-1945). Gastprofessuren u. a. an d. FU Berlin, Uni-Innsbruck, Humboldt-Universität Berlin. Seit 1994 Privatdozentin f. neue Geschichte/ Gender studies a. d. Univ. Hannover, Veröffentlichungen v. Büchern u. zahlreichen Schriften zu ihrem zentralen Thema. Ursula Nienhaus wurde 1946 i. Hadern/Rees als Tochter eines Arbeiters u. einer Landarbeiterin und Hausfrau geboren, sie ist ledig und hat keine Kinder.

BEFREIT DIE SOZIALISTISCHEN EMINENZEN VON IHREN BÜRGERLICHEN SCHWÄNZEN. Das war der polemische Schlachtruf, mit dem 1968 die neue westdeutsche Frauenbewegung – zur Überraschung der SDS-Genossen – aus dem Hintergrund bescheidener Zuarbeit hervortrat, um ihre Praxis und Theorie selbst in die Hände zu nehmen. Nach dem „Frankfurter Weiberrat“ gründete sich 1969 in Westberlin der „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“, und danach ging es Zug um Zug; Kinderladenbewegung; Kampf gegen den Abtreibungsparagrafen 218 und Entstehung von Frauenzentren in allen größeren Städten; im allgemeinen Entwicklungsschub entstand eine rasch anwachsende, sich politisierende Lesbenbewegung; 1975 eröffneten lesbische Frauen Berlins erste Frauenbuchläden Labrys und Lilith; 1967 wurde das erste Berliner Frauenhaus für geschlagene Frauen aufgemacht und im gleichen Jahr fand die erste „Berliner Sommeruniversität für Frauen“ statt, auf der unter großem Andrang die Forschungsergebnisse der neuen Frauenbewegung vorgestellt und diskutiert wurden (Frauenforschung genoss damals an unseren Universitäten noch keine wissenschaftliche Anerkennung, die musste erst erkämpft werden); 1977 tagte in Berlin die erste gemeinsame Konferenz der traditionellen Frauenverbände und autonomen Frauengruppen, aus dem Tohuwabohu gründete sich 1978 das FFBIZ als freie Einrichtung der neuen Frauenbewegung und programmatisches Selbsthilfeprojekt. Es hat mit Müh und Not die Frauenbewegung überlebt und bewahrt als ihr erstes und bestandsgrößtes Archiv die Belege ihrer Existenz.

Seit kurzem residiert das FFBIZ in Prenzlauer Berg, Eldenaerstraße 35, auf dem Gelände des alten „Centralen Vieh- und Schlachthofes“. Im Gebäude eines ehemaligen Rinderstalls teilen sich die Heinrich-Böll-Stiftung mit ihrem Archiv „Grünes Gedächtnis“ und das FFBIZ die Räumlichkeiten auf dem ehemaligen Heuboden. Hier verbringt Frau Prof. Ursula Nienhaus einen großen Teil ihrer Zeit. Zum Gespräch kommt sie zu uns, ausnahmsweise, denn ich habe mir eine Knieverletzung zugezogen und kann kaum auftreten. Sie bringt ein Blech mit frisch gebackenem Pflaumenkuchen mit, wirkt überaus sanftmütig und bescheiden, sodass der eiserne Wille, der sie zu leiten scheint, auf Anhieb gar nicht zu sehen ist.

Sie erzählt: „Die Konferenz der traditionellen Frauenverbände und autonomen Frauengruppen, in deren Folge wir uns gegründet haben, hatte übrigens damit zu tun, dass die Bundesrepublik Deutschland 1976 in Westeuropa als der zurückgebliebenste Staat galt, was die Frauen anging – und heute ja auch beinahe wieder ist –, weshalb die EG, und zwar die Sozialkommission, zwei Feministinnen nach Berlin schickte, um zu eruieren, woran das eigentlich lag. Irgendwann sind sie dann auch ins Frauenzentrum gekommen, nachdem sie beim deutschen Frauenrat gelandet waren. Um zu sehen, was vorhanden war, kam es dann zu dieser ersten gemeinsamen Konferenz der unterschiedlichsten Gruppierungen und Verbände 1977. Dort erfuhren wir, dass es noch einen Rest des Archivs der Helene Lange [Frauenrechtlerin 1848–1930, Anm. G. G.] gab, das buchstäblich unter dem Bett und auf dem Dachboden bei einer älteren Frau lagerte. Wir haben uns dann sehr bemüht, für dieses Archiv eine Lösung zu finden, das Archiv zu retten, was uns dann letztlich doch nicht so recht gelungen ist. Durch unser aller Aktivitäten gelang es aber immerhin, es im Landesarchiv unterzubringen. Und in diesem Zusammenhang ist uns damals dann auch aufgefallen, dass wir selber ständig Dokumente produzieren und dass es schon x Ordner mit Flugblättern und sonst was gab, die im Frauenzentrum aufbewahrt wurden. Nach der 1. Sommer-Universität der Frauen war ja klar, und das war dort auch öffentlich artikuliert worden, dass es notwendig ist, eine Frauenbibliothek und ein Frauenarchiv zu errichten. Labrys, der erste lesbische bzw. Frauenbuchladen, war übrigens als Frauenarchiv gegründet worden, das hatten wir alle vergessen, das ist uns erst wieder in unserem eigenen Archiv dann klar geworden, anhand des Materials.

Jedenfalls hatten wir damals dann diese große Veranstaltung im Frauenzentrum 1978, das war schon in der Stresemannstraße, nicht mehr in der Hornstraße, und es war die Zeit der Kleingruppen, es waren furchtbar viele gekommen, und das ließ sich irgendwie nicht handhaben. Wir wollten die Gruppen dann einteilen, danach, wer mehr an Weiterbildung oder an Forschung und Wissenschaft oder wer mehr an Bibliothek und Archiv interessiert ist. Aber die Frauen haben sich geweigert, sich einteilen zu lassen, sie fanden, alles müsse zusammenhängend gesehen werden. Dann haben sich Gisela Bock, Barbara Duden, Ursula Westphal-Georgi und ich in der WG von Barbara Duden in der Bregenzer Straße nächtens zusammengesetzt, um aus dem, was die Frauen artikuliert hatten, ein Konzept zu machen für das Archivprojekt. Das ist dann noch x-mal basisdemokratisch überarbeitet worden. Barbara Martin, die immer noch in der Stadtbibliothek arbeitet seit damals, die hat den Teil über den Informationsbereich geschrieben. Wir waren damals wirklich die Avantgarde, wir sprachen nicht von Bibliothek oder Archiv, wir sprachen von Information, das war damals der modernste Begriff in einer Zeit, wo an Computer und Internet noch lange nicht zu denken war. Also, man konnte schon sehr deutlich sehen, wir wollten etwas Fortschrittliches, ein Forschungs-, Bildungs- und Informationszentrum für Frauen, und wir haben uns auch bemüht, in unserer Vorgehensweise zur Durchsetzung des Projekts etwas modernere Schritte zu wagen. Das TU-Informationsblatt hat damals unser Konzept abgedruckt, und wir sind auch gleich damit an die politischen Parteien gegangen – denn im Frühjahr waren die Wahlen in Berlin –, und diese Aktion hat dazu geführt, dass wir beinahe aus dem Frauenzentrum ausgeschlossen worden sind. Denn wir waren die erste Gruppe aus dem Frauenzentrum, die eine öffentliche Bezahlung aus Steuermitteln für die gesellschaftlich notwendige Arbeit in diesem FFBIZ eingefordert hat. Eine solche Forderung nach der so genannten Staatsknete galt als schmählich und korrupt. Da aber viele von uns so genannte Arbeiter- und Hausfrauentöchter waren, wussten wir durch unsere Erfahrungen mit der Erwerbsarbeit sehr viel besser als manche der bürgerlichen Feministinnen – die vielfach heute auch gar keine Feministinnen mehr sind –, dass man ohne einen Verdienst oder eine Erbschaft oder eine Geldspende oder wie auch immer ein solches Zentrum nicht würde gründen oder gar betreiben können. Dabei hatten wir ausdrücklich nicht ‚Staatsknete‘ verlangt, sondern einen gerechten Anteil aus den Steuermitteln, dem gesellschaftlichen Reichtum, der von den Leuten in den Büros und Fabriken usw. erarbeitet wird, das muss ich ja nicht erzählen.

Wir bekamen dann, trotz Wahlkampfs, nicht die Unterstützung der SPD. Die hatte sich ja schon zuvor geweigert, an der Berliner Frauenkonferenz teilzunehmen, deshalb, weil Kommunistinnen aus dem Frauenzentrum auch teilnahmen. Wenn ihr euch erinnert, 1977 war Anarchismus, Lesbischsein und Kommunismus für die SPD ein rotes Tuch, alles ein und dasselbe. Es hieß: ‚Geht doch rüber in den Osten!‘ Ich versuche mich an all das zu erinnern, damit man begreift, was das für ein komisches Projekt war … Wir hatten von Anfang an den Wunsch, dass möglichst viele kontroverse Ansichten vertreten werden sollten, auch parteipolitische Richtlinien, und der Konfliktaustragung einen besonderen Stellenwert beigemessen. Es gab ja schon dieses Harmoniegedusel in der Frauenbewegung, diese Sucht nach Einigkeit und Nichtbeachtung der Macht- und Hierarchieverhältnisse, das wurde ja eher geleugnet als aktiv angegangen. Und wir hatten dann ja im FFBIZ Amerikanerinnen und Deutsche, Jüdinnen und Nichtjüdinnen, koreanische Krankenschwestern, Japanerinnen – die hatten ja mit uns eine ähnliche Faschismusgeschichte –, die waren teils als Krankenschwestern, teils als Studentinnen da, aber wir hatten keine Türkin. Die Türkinnen waren zu diesem Zeitpunkt alle Fabrikarbeiterinnen, und das FFBIZ hatte in seinen ganzen Anfangsjahren nie eine Arbeiterin. Aber insgesamt waren da eben Lesben und Heteros und Frauen der unterschiedlichsten Richtungen und Berufe, die haben fast alle das FFBIZ mitgegründet, Bildungsveranstaltungen gemacht usw. Oft war es außerordentlich ungemütlich, es gab Krawall, Konflikte, Auseinandersetzungen, das Frauenprojekt war ziemlich unbeliebt, aber wir haben versucht, das Beste daraus zu machen, es blieb uns ja gar nichts anderes übrig.

Übrigens hat uns dann die FDP unterstützt, die hatte damals noch nicht so sehr mit den Rechten zu tun, sondern mehr mit der Humanistischen Union, mit dem Kampf gegen den § 218 und mit der Ausbildungsförderung, aber natürlich hatte sie auch schon eine korrupte Politik … Die CDU wollte gar nichts an Frauensachen unterstützen. Die Grünen gab es ja noch nicht, bzw. die Frauen, die dann die Alternative Liste gründeten – die waren alle, ohne es zu wissen, Leninistinnen, und es wäre besser gewesen, sie hätten gewusst, dass sie ein leninistisches Konzept von einer Avantgardepartei vertraten! Das war merkwürdig, weil wir ja die ganzen linken Splittergruppen und Organisationen schon hinter uns gelassen hatten. Na ja, so war das ungefähr 1980, und unser Projekt wuchs so rasch, dass wir uns genötigt sahen, in Charlottenburg, in der Danckelmannstraße, Hausbesetzerinnen zu werden. Da waren wir dann etwas weiter, mussten aber alles selbst sanieren, haben Asbestrohre abgesäbelt, Fußböden gemacht, es gab nur Kohleöfen und im Winter war es schrecklich kalt – und ich hatte vergessen zu sagen, dass wir Mittel aus Steuergeldern bereits durchgesetzt hatten, sie nun aber wieder verloren, weil wir ja Hausbesetzerinnen waren. Wir haben alles unfinanziert gemacht, sämtliche Arbeiten. Und dann hatten wir zur Finanzierung des Projektes die so genannten Selbstverpflichtungen eingeführt, das bedeutete, alle, die einen Job oder irgendein Einkommen hatten, verpflichteten sich, monatlich soundso viel von ihrem Gehalt abzugeben. Bereits während des Wahlkampfjahrs hatten wir auch mit dem ersten Forschungsprojekt begonnen und alles selbst gemacht, bis auf den Druck. Es war eine Analyse des Erwerbsarbeitsmarkts in Berlin, in seiner Abhängigkeit von der neuen Familiengesetzgebung. Ihr erinnert euch vielleicht, 1976 erst wurde den Frauen endgültig die Möglichkeit per Gesetz zugebilligt, erwerbstätig zu sein, ohne die Zustimmung des Ehemanns. Ja, das klingt nach 19. Jahrhundert! Dafür konnten wir tatsächlich einen Druckkostenzuschuss durchsetzen und haben das erste Mal Mittel gehabt.

Mit der Zeit ging es dann mit den Finanzen ein klein wenig aufwärts, sodass wir davon schließlich eine bezahlte Stelle einrichten konnten, aber die hauptsächliche Arbeit, die Bildungsveranstaltungen und alles, wurde natürlich weiterhin ohne jede Bezahlung von uns geleistet. Dazu muss ich noch anmerken, dass es zwei wesentliche Reduktionen unserer anfangs großen Gruppe gab: Die erste fand statt durch die Vereinnahmung der großen Parteien im Wahljahr 79, die zweite Reduktion ergab sich aus unserem illegalen Status als Besetzerinnen. Dann waren wir nur noch so 50 bis 60, und davon sind bis heute noch ungefähr 45 immerhin geblieben, nach 26 Jahren! Das war weiter kein Problem, denn es war ja unser Konzept von Anfang an, dezentral zu bleiben, klein zu bleiben, wir wollten nie eine deutsche, wir wollten immer eine Berliner Einrichtung sein. Es gab ja dann auch viele neue Gründungen, und in Kassel gründete sich ungefähr fünf Jahre nach uns dann das ‚Archiv der deutschen Frauenbewegung‘, mit dem wir kooperativ zusammenarbeiten. Ebenso mit dem Internationalen Archiv der Frauenbewegung in Amsterdam, die ja unter dem deutschen Faschismus einen Großteil ihrer Sammlung verloren hatten und anfangs sehr große Probleme mit uns Deutschen hatten. Das Thema hat natürlich auch für uns eine zentrale Rolle gespielt. Zu unseren Bildungsveranstaltungen gehörte von Anfang an die Beschäftigung mit der Frauenbewegung in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus. Dazu muss man sich vergegenwärtigen, dass das damals noch kein Thema war in der Öffentlichkeit.

Doch dann hatten wir das Problem, umziehen zu müssen. Die Hausbesetzerbewegung in Charlottenburg hatte erreicht, dass es für den gesamten Block eine Instandsetzung gab. Dazu mussten wir unsere Räume verlassen. Das Plenum hatte schon entschieden, dass wir einen Container anmieten, da kamen wir durch allerhand Zufälle und einer verwechselten Telefonnummer in Kontakt mit der Städtischen Bibliothek, die gerade dabei war, ihre Räume zu verlassen, und zufällig erfuhren wir von einer alten Bibliotheksangestellten auch noch, dass es mit diesem Haus was Besonderes auf sich hatte. Was genau, das wusste sie nicht, es sei aber immer voll mit Frauengeschichte gewesen. Eine andere Frau, eine Bibliothekarin, die in den USA zum Thema Kinderbibliotheken in Deutschland forschte, fand zufällig heraus, dass in diesem Haus, Danckelmannstraße 47, im Jahre 1908 die erste Zweigstelle der ersten deutschen Volksbibliothek und Lesehalle eingerichtet wurde. Das fand sie in Amerika heraus! Es war vergessene Geschichte. Der Bezirk wusste davon auch nichts mehr. Das war alles 1986, Westberlin und Ostberlin rüsteten sich parallel zur 750-Jahr-Feier, die 1987 stattfand. Und da haben wir – konkurrierend mit einem Kinderarzt und dem Jugendstadtrat usw. – doch tatsächlich den Mietvertrag für diese Räume bekommen. Und nur deshalb, weil wir die Geschichte des Hauses gebracht hatten, da reinpassten und das Ganze sich gut in diesen 750-Jahr-Feierlichkeiten unterbringen ließ vom Kiez. Das Problem war aber die hohe Miete, das sollten 5.000 Mark sein, im Gegensatz zu den 800 Mark, die wir für die alten Räume gezahlt haben. Wir verhandelten dann mit der SPD, mit Wolfgang Nagel, und haben eine Reduktion auf 3.500 Mark erreicht. Das war für uns kaum weniger schlimm, denn wir waren ja immer arm. Und wir erlaubten uns auch noch den Luxus, dass alle Beschlüsse durch Konsens gefasst wurden – das ist heute noch so –, also endlose Marathonsitzungen, zermürbend, bis weit nach Mitternacht. Jedenfalls, das Plenum war dagegen, ließ sich dann aber durch die Mietreduktion umstimmen und durch Gaby und ihren Bausparvertrag, den ihre faschistischen Eltern für sie abgeschlossen hatten.

So kamen wir von der Danckelmannstraße 15 in die Danckelmannstraße 47, was eine wirkliche Verbesserung war. Und daraus ist dann ein neues Forschungsprojekt entstanden – die erste Geschichte der Bibliothekarinnen in Deutschland, das wurde veröffentlicht in Kooperation mit den Amerikanerinnen. Zwischenzeitlich gab’s dann noch die Forschungen für die historischen Stadtrundgänge, die wir veranstalten. Also, wir haben uns sehr bemüht, das mit der Bildung, der Forschung und dem Informationsbereich auch tatsächlich zur Verfügung zu stellen und zu koordinieren, und das ist exakt bis 1995 der Fall geblieben. Wir haben ja nur Finanzierungen durchsetzen können für das, was die Senatsverwaltung dann „Förderung des Archivs“ genannt hat, und das ist heute noch so. Von der bis 1995 durchgesetzten Finanzierung bekommen wir heute noch ein Drittel. Aber trotz aller Probleme haben wir nie daran gedacht aufzugeben, die Sache war es wert. Die Frauen haben ihr eigenes Geld reingegeben, auch ich, es gab Jahre, wo ich bis auf Miete und Nahrung alles Geld, was ich verdient habe, hergab, um das FFBIZ zu retten.

Seit 1991 habe ich dann die Stelle übernommen, die wir vorher immer an Frauen von draußen vergeben hatten, aber es wollte dann niemand diese schlecht bezahlte Stelle mehr antreten. Heute zeigt sich das ja erst in seiner unglaublichen Härte, was es heißt, als Geringverdienerin durchs Leben gegangen zu sein. Frauen wie ich, die viel und ohne ökonomische Rücksichtnahme sozusagen gearbeitet haben, dürfen sich auf ein paar hundert Euro Rentenanspruch einstellen.“ Sie lacht und sagt: „Euch wird es ja nicht anders gehen. Aber das ist der Preis. Wir als FFBIZ haben uns ja immer als linkes Projekt verstanden und haben uns schwer getan mit Unterwerfungen, trotzdem haben wir aus dem Topf, der ursprünglich im Senat von Fink gegründet war, nach und nach das Geld bekommen, sowohl für die Miete als auch für die Stelle. Später sogar für eine zweite Stelle. Aber wir haben viele Jahre lang ABM abgelehnt, weil wir ja immer für feste Stellen im öffentlichen Dienst gekämpft haben. Als die Gewerkschaften schon längst ABM-Kräfte eingestellt hatten, haben wir das immer noch bekämpft.

Aber letztendlich, muss ich jetzt resümierend sagen, haben wir immer mehr und immer größere Konzessionen machen müssen, um das Projekt zu retten. Fakt ist aber auch gleichzeitig, dass wir dabei immer mehr Dokumente der Frauenbewegung gerettet haben. Dazu waren die Kompromisse eben nötig! Und so war unsere ausweglos scheinende Lage im vorigen Jahr auch nur durch einen solchen abzuwenden. Also wir haben nicht darauf gewartet, dass die Senatsverwaltung uns unsere Schließung mitteilt – wie inzwischen bei sehr vielen anderen Frauenprojekten geschehen. Als das angedroht wurde, zogen wir kurzerhand um. Und es war eine wahnsinnige Konzession, Untermieterinnen der Heinrich-Böll-Stiftung zu werden. Ausgerechnet einer Partei, wo wir doch immer überparteilich waren. Als Alternative gab’s nur noch das Landesarchiv. Aber erstens hätten die nur das Material übernommen, keine Person, und zweitens liegt es an der Stadtgrenze. In der Heinrich-Böll-Stiftung ist zwar alles sehr schnieke eingerichtet von einer Architektin, aber wir müssen uns eben in allem bescheiden. Der Leiter des ‚Grünen Gedächtnisses‘ hat freiwillig angeboten, dass er sein Büro mit mir teilt. Es ist nicht besonders groß. Ihr könnt euch vorstellen, was das bedeutet, wenn man vorher eine autonome, selbstständige Einrichtung war?! Ich habe sehr starke Bedenken gehabt, ob es funktionieren kann! Aber ich muss euch sagen, es ist das Beste, was dem FFBIZ passieren konnte! Es geht mir gut, weil der Mann, der sein Büro mit mir teilt, seine Hand über uns hält und weil er statt ein reines Parteiarchiv der Grünen zu machen auch ein Archiv der neuen sozialen Bewegungen macht und mir das sympathisch ist. Er ist verheiratet mit einer Frau, die den Frankfurter Frauenbuchladen gemacht hat, und das hat zur Folge, dass es zwischen uns gut funktioniert.

Also, ich bin dort jetzt täglich, außer Mittwoch, wo ich ja fest in Hannover bin an der Uni, und ich muss mich ja vorbereiten und Dissertationen betreuen usw. Und es ist schon seltsam, ich habe habilitiert zu einem Zeitpunkt, wo ich schon zehn Jahre für die Abschaffung der Habilitation gekämpft hatte. Endlich haben wir das auch geschafft, die Juniorprofessuren boomen, aber die Universitäten berufen niemanden, der nicht habilitiert hat. Und wir, die wir trotzdem nicht berufen wurden, wir sind jetzt etwa dreieinhalbtausend, wir machen die Lehre zwangsläufig kostenlos, und die Fahrtkosten muss man auch selbst zahlen. Also, das ist der größte Luxus meines Lebens! Und die übrige Zeit, wie gesagt, bin ich hier und habe seit Oktober bereits 15 Praktikantinnen ausgebildet, wir haben einen unglaublichen Zulauf von jungen Frauen, normalerweise haben wir fünf im Jahr ausgebildet. Das ist für mich richtig harte Arbeit und fast immer auch Kampf, denn Fakt ist, dass sie alle ja keine Feministinnen sind. Aber sie sehen dann doch, dass noch Bedarf besteht, denn beispielsweise können wir sie nicht bezahlen, während die Praktikantinnen der Grünen, die im selben Raum sitzen, bezahlt werden. Und so bin ich eigentlich mit meinen 28 Stunden, für die ich nur bezahlt werde, mit diesen Aufgaben die Woche über gut ausgelastet. Aber die Frage lautet natürlich, ist es überhaupt noch sinnvoll, das noch so zu machen?! Seit zirka zehn Jahren gibt es keine Frauenbewegung mehr oder irgendein Gremium, das man fragen könnte, ob es uns weitergeben soll. 1995 wurde noch dafür plädiert und entschieden, dass wir uns vor allem aufs Archiv konzentrieren und unseren Bildungsauftrag auf Praktikumsausbildung beschränken sollen.“

Wir bitten, uns zur Ergänzung noch ein bisschen mehr von sich selbst zu erzählen. „Von mir … na, um es kurz zu machen: Ich bin eine von den Arbeiter- und Hausfrauentöchtern und bin 1946 in einem Militärlazarett geboren, einem von den Nazis enteigneten Kloster, was später meine Dorfschule wurde. Zuvor ging ich allerdings ganz normal im Dorf zur Volksschule, die Lehrerin aber hat die ganze Klasse dann aufs Gymnasium geschickt, wogegen aber meine Eltern und auch die Eltern meiner Freundin rebellierten, denn wir waren von Haus aus nicht vorgesehen fürs Gymnasium. Die oberste Maxime meines Elternhauses war, dass das Kind nicht mehr werden darf als die Eltern. Auch wir hatten das verinnerlicht, wollten nicht zur Prominenz gehören, wollten auch die ‚Hühnersprache‘ Englisch nicht lernen. Na ja, so bin ich dann aufs Gymnasium gekommen, in diese Klosterschule, wo das ganze Milieu uns fremd war. Wir waren natürlich Externe, meine Freundin und ich, die anderen Mädchen waren uns haushoch überlegen. Es war alles sehr schwierig, und ich habe dann auch in den Ferien in der Fabrik gearbeitet, damit meine Eltern nicht ständig betonen, dass ich kein Geld nach Hause bringe. Aber mit den Lehrerinnen hatte ich Glück. Die Nonnen waren Töchter vom Hl. Kreuz, einer belgische Kongregation, 19. Jahrhundert, erste Frauenbewegung quasi, sie haben mit Prostituierten angefangen und sich dann auf Mädchenbildung verlegt. Sie haben mich wahnsinnig gefördert. Dann hatten wir noch einen Priester, der hat mein Leben auch buchstäblich verändert. Er war der 13. Sohn eines Priesters, der unter Pius XI. wegen Widerstands gegen die Kirche sein Priesteramt verloren hatte, er heiratete, hatte 13 Kinder, von denen elf Priester wurden. Na ja, das war schon eine ungewöhnliche Schule, und, um das zu betonen, das Kloster war natürlich so richtig konservativ. Aber unser Dorf war konservativer, und meine Familie war reaktionär und antisemitisch und hatte den Stress mit mir, weil ich mich zu liberal entwickelte infolge der klösterlichen Erziehung.

Ich konnte dann in Köln studieren, meine Nonnen hatten mir ein Stipendium besorgt. Und zwar hatte der von Böll in den ‚Ansichten eines Clowns‘ beschriebene Prälat Hanssler – im Roman heißt er Sommerwild – eine neue katholische Studienstiftung gegründet, das Cusanus-Werk, die vergaben Hochbegabtenstipendien, auch an Frauen.

Weil die Klosterschule in einem Wasserschloss lag – dessen Geschichte ging zurück auf die Hl. Irmgard von Aspel, die um das Jahr 1000 geboren war und sich für Arme und Kranke einsetzte – und wir außerdem natürlich schon die ‚soziale Frage‘ gehabt hatten in der Schule und mich das brennend interessierte, studierte ich Geschichte. Nach eineinhalb Jahren an der Uni hatte ich aber noch kein Wort gesagt, und auf dem Flur sitzend hatte mich noch nie ein Mensch angesprochen. Aber durch dieses Stipendium gab es auch eine Ferienakademie, einmal jährlich, so kam ich zum ersten Mal nach Süddeutschland, in die Nähe des Bodensees. Das gefiel mir so gut, dass ich beschloss, in Tübingen weiterzustudieren. Dort wurde ich Mitglied im SDS, der sich gerade begann aufzulösen, und dort habe ich die erste sich bildende Frauengruppe aktiv bekämpft. Mein Vater hat mir in einem Brief geschrieben: Alle Kommunisten müsste man an Laternen aufhängen und mich mitten unter ihnen. Das war, trotz aller Distanz meinerseits, ein ziemlich harter Schlag für mich. Ich habe dann Staatsexamen gemacht und 1976 promoviert in sowjetischer Geschichte. Ich wollte wissen, warum die Revolution so schnell entarten konnte. Es war die Breschnew-Ära, die Russen selbst hatten das Problem der Bürokratenkritik erkannt, in den 70er-Jahren schrieben viele Russen Dissertationen dazu, und man hat die Archive für Ausländer dichtgemacht, also ging ich mit einem Stipendium an die Stanford Universität nach Amerika, denn Stanford hatte ja das größte Archiv der SU. Das hing zusammen mit dem russischen Bürgerkrieg. Die Amerikaner hatten ja seit Anfang der 20er-Jahre Überproduktion an Weizen, Russland hingegen hungerte. Die Amerikaner, interessiert daran, den Kommunismus zu stürzen, wollten ihn natürlich studieren. Sie schickten Getreideladungen in das hungernde Russland und bekamen im Gegenzug Dokumente in die Hände. Ich bewundere mich heute noch dafür, dass ich das alles brav studiert habe an den Lesegeräten, während draußen schönes kalifornisches Wetter war. Nebenbei hatte ich mich in einen Black Panther verliebt. Mehr noch faszinierten mich die Black-Panther-Frauen, aber die redeten nicht mit mir, was mich, die ich grade Feministin geworden war, natürlich kränkte. Besonders deshalb, weil die Frauen politisch noch radikaler waren als die Männer. Aber da war nichts zu machen. Mein Stipendium ging für ein Jahr und dann hatte ich auch noch mein Rückflugticket verkauft, um meinen Black Panther, der im Knast saß, freizukaufen. Ich wollte eigentlich gar nicht zurück nach Europa, war froh, dass der Ozean zwischen mir und meiner Familie lag, das war ein beruhigendes Gefühl. Ich habe dann illegal Geld verdient und bin an die Ostküste und habe mich um ein Stipendium für ein Journalismusstudium an der Columbia-Universität beworben. Und das ist dann witzigerweise daran gescheitert, dass ich bei der Anhörung keine Antwort auf die Frage wusste, was ich Henry Kissinger fragen würde, wenn er neben mir im Flugzeug säße.

So bin ich wieder nach Europa gekommen, nach Tübingen zuerst, da war grade die Gründung des Frauenzentrums, dort habe ich dann mitgearbeitet, habe meine Dissertation beendet und ging dann nach Berlin 1976.“