Die Spitze des Eisbergs

Installationen über Wasser: Norbert Bauer will Atolle in den Baldeney-See pflanzen. Und die Stadt Essen will mit dem Kunst-Projekt ihre Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt 2010 vorantreiben

Norbert Bauer will Kunst begreifbar machen – im doppelten Sinn

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Die Idee tigert schon lange durch seinen Kopf. Um genau zu sein: seit 15 Jahren. Damals umrundete Norbert Bauer gerade den Baldeney-See, als sie urplötzlich vor ihm lagen: Inseln, überall, 25 Stück. Auf jeder eine andere Installation. Bisher aber hat er sich nicht an die Verwirklichung dieser Vision getraut. „Ich war damals Fotograf, mich kannte keiner“, sagt Bauer, der heute als Künstler und Galerist im beschaulichen Langenberg residiert. Inzwischen hat er sich einen viel diskutierten Namen gemacht. Vor allem in Langenberg, wo seine Projekte zuweilen ordentlich polarisierten. Aber auch über die Grenzen der Kleinstadt hinaus ist der Mann, der zum buschigen Schnäuzer gerne Wollmützen aufträgt, mittlerweile ziemlich bekannt.

Das kommt ihm und seiner Idee heute zugute. Durch seine großzügigen Ausstellungen im öffentlichen Raum hat er Kontakte zu namhaften Kollegen geknüpft, hat mit Markus Lüpertz gearbeitet, mit Jörg Immendorff, und Georg Baselitz hat er gebeten, einen Sandstein zu bearbeiten – Baseltz zierte sich aber. Einige Kollegen, unter anderen Tony Cragg und Franz West, sitzen auch jetzt wieder im Boot: bei den so genannten Folkwang-Atollen. Oliver Scheytt, Kulturdezernent der Stadt Essen, ist begeistert von der Idee, eine Ausstellung zu installieren, die der Betrachter rudernd umschifft. Deshalb rangiert Bauers „Lebenswerk“ auch weit oben auf der Liste jener Kulturprojekte, mit denen Scheytt werben will, werben für das Ruhrgebiet, das 2010 furchtbar gerne Kulturhauptstadt Europas wäre.

Mit Bauer hat Scheytt einen Künstler engagiert, der sich fortwährend bemüht, die Kunst aus dem miefenden Korsett der Museen zu befreien. Er wolle Kunst „begreifbar“ machen, doppeldeutet Bauer gestern in seinem Langenberger Anwesen, das zugleich als Galerie und Wohnraum dient. Auf dem langen Glastisch, zwischen drapierten Orangen und Zerreißproben von Petra Ellert, liegt das Konzept für die Atolle. Mit den 25 Baldeney-Inseln will Bauer eine Brücke schlagen zwischen Kultur und Wissenschaft, zwischen Kunst und Kraft. Die Künstler sollen erneuerbare Energiequellen in ihre Arbeit einbinden, sollen mit Solarzellen arbeiten, oder mit Schaufelrädern.

20 Künstler brüten derweil ihre Gedanken aus. Auf einem der Atolle soll ein Amphitheater entstehen, auf einem anderen ein botanischer Garten. Ein dritter wird zum Eisberg, was sich zur voraussichtlichen Zeit der Realisierung, im Sommer 2007, allerdings als schwieriges Unterfangen darstellt. Dass dies alles ausgerechnet im Baldeney-See stattfindet, hat einerseits mit Bauers Verbindung zum Revier zu tun: Er wurde in Gelsenkirchen geboren. Andererseits aber reizt ihn das Gewässer, weil sich die Ruhr, die natürliche Ader des Reviers, ihren Weg dadurch bahnt. Den Fluss als verbindenden Strom in das Projekt zu integrieren wird Oliver Scheytt, der vom Zusammenwachsen einer strukturwandelnden Region schwärmt, ganz recht sein.

Bisher mögen die Atolle noch abstrakt erscheinen. Im Februar des kommenden Jahres aber sollen die Inseln auf einem maßstabsgetreuen Kunstsee in Essen schwimmen. Wenn Bauer davon erzählt, blickt er einen mit strahlenden Augen an. Dass er in Langenberg zuletzt Probleme hatte, weil er einen Tunnel sperren lassen wollte, die Stadt ihre Erlaubnis dazu aber kurzfristig zurückzog, hat er da kurz vergessen. Auch dass er angefeindet wurde für seine „Tuchfühlung“, einer Ausstellung, die sich um Körper drehte, und also auch um Themen wie Sex und Tod, Liebe und Verwesung. So ist nicht auszuschließen, dass sich die Betrachter vom ein oder anderen Atoll überrumpelt fühlen, es anstößig finden. Aber das beabsichtigt Bauer wohl auch. Er sagt: „Kunst darf ruhig weh tun.“