„Irakkrieg war kein gutes Beispiel“

Exstaatssekretär Ashton B. Carter über seine Erfindung der Counterproliferation, die Akzeptanz durch die Nato und die Bedeutung des Konzepts für die Bush-Regierung

taz: Professor Carter, vor zehn Jahren stellte die Clinton-Regierung die Counterproliferation, eine Strategie gegen die Weiterverbreitung von ABC-Waffen, vor. Sie waren als Staatssekretär im Verteidigungsministerium der Architekt des neuen Konzepts. Haben Sie mit Ihrer Initiative erreicht, was sie wollten?

Ashton B. Carter: Die Initiative war ein Erfolg. Sie richtete die Aufmerksamkeit darauf, dass Massenvernichtungswaffen den Kalten Krieg als wichtigstes Sicherheitsproblem für die westlichen Staaten ersetzt hatten. Im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses sitzt heute ein Direktor für Counterproliferation. Und selbst die Nato hat eine eigene Arbeitsgruppe für Counterproliferation eingerichtet.

Anfangs zeigten sich die Regierungen der europäischen Verbündeten eher zurückhaltend gegenüber dieser Initiative. Hat sich das verändert?

Ich denke, es ist jetzt innerhalb der Nato akzeptiert, dass es für die Verbündeten wichtig ist, eine gemeinsame Bedrohung wahrzunehmen. Massenvernichtungswaffen sind ein elementarer Teil dieser Bedrohung. Nach dem 11. September und dem unglücklichen Vorlauf zum Irakkrieg sehen wir noch deutlicher, wie wichtig es ist, innerhalb der Nato eine gemeinsame Einschätzung von Bedrohung zu haben.

War der Irakkrieg Teil einer Counterproliferationsstrategie?

Absolut. Vor dem Krieg waren wir davon überzeigt, unmittelbar danach die Massenvernichtungsmittel zu finden, die Saddam Hussein besaß. Das hat sich nun als unmöglich herausgestellt. Ich denke also, der Krieg war kein gutes Beispiel für Counterproliferation. Aber es war ein Beispiel. Es war eine sehr extreme Form und nicht die Art, die wir 1993 im Sinn hatten. Aber es war dennoch eine zulässige Form von Counterproliferation: eben die Präemption, ein vorgreifendes Handeln.

Die Bush-Regierung hat den Anspruch auf Präemptivschläge in der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2002 festgeschrieben. Sehen Sie das als Folge der Debatte über die Counterproliferation?

Präemption war immer eine Option, auch innerhalb der Counterproliferation. Die Weiterverbreitung ist ein kompliziertes Phänomen und variiert stark von Region zu Region. Deshalb müssen Sie sich Counterproliferation als ein ganzes Arsenal von Mitteln vorstellen: Diplomatie, Rüstungskontrolle, Raketenabwehr, Exportkontrolle etc. – aber eben auch Präemption. Sie muss eine Option bleiben.

INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ