Bruce LaBruce im Hebbel-Theater: In die Hose geht die Chose

Bruce LaBruce, Star der Schwulenkultur, inszeniert Arnold Schönbergs "Pierrot lunaire" im Berliner Hebbel-Theater. Doch die Kammermusik wird zum Hintergrundrauschen.

Melancholisch, schmerzensreich, grotesk: Szene aus "Pierrot lunaire", von Bruce LaBruce inszeniert. Bild: hebbel

BERLIN taz | Bei der Uraufführung gab es Pfiffe und Gelächter, den Texten warf man gar Blasphemie vor. Man schrieb das Jahr 1912, und atonale Musik mit makabrer Poesie gehörte noch nicht zu den Hörgewohnheiten des Berliner Konzertpublikums. Die "Dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds ,Pierrot lunaire'" von Arnold Schönberg waren am Ende dennoch ein Erfolg. Heute hat der Zyklus um den ambivalent-brutalen Pierrot, eine wichtige Station auf dem Weg zur Zwölftonmusik, längst seinen festen Platz unter den Klassikern des Musiktheaters des 20. Jahrhunderts und scheint durch nichts zu erschüttern.

Dass es am Sonntag bei der Berliner Premiere von Bruce LaBruce Inszenierung von "Pierrot lunaire" am Hebbel am Ufer ebenfalls Gelächter gab, hatte diesmal weniger mit Schönbergs harmonisch befreiter Musik oder Girauds Texten zu tun als mit der Geschichte, die der kanadische Pornoregisseur über das Melodram gelegt hat. Denn während bei der Uraufführung unter Schönbergs Leitung die Schauspielerin Albertine Zehme ihren Part lediglich als Pierrot kostümiert intonierte, verkörpert Susanne Sachsse den Pierrot bei LaBruce weit szenischer und clownesker und um sie herum geschieht einiges mehr als nötig. Doch davon später.

Eigentlich ergeben die kurzen, von Otto Erich Hartleben ins Deutsche übertragenen Gedichte Girauds keine zusammenhängende Erzählung, sondern sind eine lose Folge von seltsamen nächtlichen Abenteuern des Pierrot, zwischen die poetische Betrachtungen geschaltet sind. Mal wird erzählt, wie der weiß geschminkte Melancholiker einem Glatzkopf den Schädel aufbohrt, um ihn zum Rauchen mit Tabak zu stopfen, mal ruft der Erzähler verzweifelt die Madonna als "Mutter aller Schmerzen" an.

Der dramaturgische Bogen ergibt sich aus Schönbergs musikalischer Choreografie, in seinen hoch verdichteten Miniaturen wechseln sich expressiv-lyrische mit grotesk-dramatischen bis hin zu kabarettartigen Momenten ab. Den Texten dazu kann man in der Regel, anders als bei vielen Kunstliedern etwa, gut folgen, denn Schönberg schrieb den Gesangspart für "Sprechstimme" mit präzise notierten, zugleich durchgestrichenen Tonhöhen, um zu verdeutlichen, dass die Stimme die Balance zwischen Sprechen und Singen halten soll.

Aber obwohl Sachsse den Pierrot überzeugend mit nonchalant-zurückgenommenem Gestus spricht, kann man ihr so gut wie gar nicht folgen. Ihre Schuld ist das nicht, vielmehr ist es der narrative Rahmen, den LaBruce dem Stück aufzwingt. So sieht man auf der Bühne neben Sachsse nicht nur das fünfköpfige Kammerensemble mit seinem Dirigenten, sondern auch Pierrots Geliebte Columbine, ihren Vater und einen muskelbewehrten Tänzer mit SM-Maske, der beeindruckend akrobatische Pole-Dancing-Einlagen beisteuert.

Die "queere" Geschichte, in der sie auftreten, läuft parallel dazu über englische Texttafeln im Stummfilmstil: Pierrot, eine als Mann verkleidete Frau, und Columbine sind ein Paar und wollen heiraten. Der reiche Vater ist jedoch misstrauisch gegen diesen "Mann", enttarnt Pierrot höchst unsanft und untersagt die Liaison. Pierrot probiert das fehlende primäre Geschlechtsmerkmal zunächst durch einen Dildo zu ersetzen, verfällt aber bald auf die Idee, sich zu behelfen, indem er bzw. sie einen Mann kastriert.

LaBruce, der unter anderem auch einen schwulen Zombie-Porno gedreht hat, bleibt sich mit dieser Ausdeutung der Grand-Guignol-Motive in Schönbergs Stück weitgehend treu. Der Zusammenhang mit Girauds Vorlage ist lose, aus dem "Wein, den man mit Augen trinkt", von dem Pierrot "mondestrunken" wird, macht LaBruce kurzerhand "Vodka eyeshots", die Pierrot und Columbine sich hinter die Binde kippen. Das ist witzig, geht über Gimmick-Charakter aber kaum hinaus.

Mit seinen Kalauern und dem Porno-Klamauk bereichert LaBruce das Stück allerdings kaum, stattdessen kleistert er Schönbergs Werk mit seiner eigenen Groteske lediglich so hemmungslos zu, dass über dem Versuch, den beiden Simultanereignissen zu folgen, nicht nur die Gedichte fast vollkommen untergehen, sondern auch die Musik.

Laut Programmheft hatte der Dirigent Premil Petrovic die Idee, LaBruce mit der Regiearbeit zu beauftragen. Sofern die Inszenierung das Ziel verfolgt haben sollte, Schönbergs Stück neuen Hörerschichten zu erschließen, ist der Ansatz gründlich in die Hose gegangen: Wenn seine nuancierte Kammermusik mal eben so zum Hintergrundrauschen erklärt wird, wozu braucht man sie dann überhaupt noch?

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