Lang ersehntes Zeichen

Die demokratisch orientierten Muslime melden sich in Köln zu Wort. Endlich, finden vor allem deutsche Teilnehmer

Marieluise Beck: Meinungsfreiheit heißt nicht nur Respekt vor der eigenen Meinung

AUS KÖLN PASCAL BEUCKER

Umweht von türkischen Fahnen tragen zwei türkischstämmige Männer ein Transparent. „Der Islam heißt Frieden“, steht auf ihm. Kurz dahinter geht Alice Schwarzer. „Das ist der Tag, auf den ich schon lange warte!“, schwärmt die Emma-Herausgeberin. Endlich meldeten sich die demokratisch orientierten Muslime zu Wort und überließen nicht länger Islamisten das öffentliche Feld: „Das ist ein Tag der Hoffnung!“ An ihrer Seite gehen zwei kleine türkischstämmige Mädchen. Die eine ist neun Jahre, die andere zwölf Jahre alt. Sie halten die Hände Schwarzers. Die Ältere trägt im Gegensatz zu ihrer kleineren Schwester ein Kopftuch. Das sei die freie Entscheidung der beiden gewesen, berichtet Schwarzer: „So lass auch ich mir das Kopftuch gefallen.“

Mit unzähligen türkischen, deutschen und europäischen Fahnen ausgestattet, kamen rund 25.000 Menschen am Sonntag Köln, um gegen islamistischen Extremismus zu demonstrieren. Unter dem Motto „Baris için teröre karsi elele! – Gemeinsam für Frieden und gegen Terror!“ hatte die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (Ditib) zu der Demonstration aufgerufen. In zwei Marschsäulen strömten die überwiegend türkischstämmigen Demonstranten in die Kölner Innenstadt. Während die einen vom Dom aus zum Hohenzollernring zogen, startete Schwarzer wie die Mehrzahl der politischen Prominenz von der Ditib-Zentrale in Ehrenfeld aus. Um bei ihnen keinen schlechten Eindruck zu hinterlassen, achtete Ditib dabei penibel darauf, dass nur von ihr genehmigte Transparente auf der Demonstration gezeigt wurden.

Dies sei eine „Demonstration von jedem, der gegen Terror und für Frieden ist“, sagte der Ditib-Vorsitzende Ridvan Çakir in seiner auf Türkisch gehaltenen Rede auf der Abschlusskundgebung. „Terror hat weder eine Religion noch eine Nationalität“, betonte Çakir unter großem Applaus. Terrorakte dürften deshalb nicht im Namen des islamischen Glaubens gerechtfertigt werden.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck, betonte, die Demonstration sei ein klares und notwendiges Signal gegen Terror und Gewalt. „Ich verhehle nicht: Ich habe auf ein solches Zeichen gewartet.“ Die Welle der Gewalt zwischen Muslimen und Einheimischen in den Niederlanden dürfe nicht nach Deutschland überschwappen. In der Demokratie sollten Konflikte angesprochen sowie kontrovers ausgetragen werden. Unabdingbar sei aber, dass dabei die Grundwerte der Verfassung als verbindlicher Rahmen anerkannt und wo nötig auch durchgesetzt werden. „Meinungsfreiheit heißt nicht nur Respekt vor der eigenen Meinung.“ Die Vertreter der großen muslimischen Dachverbände lud Beck zu einem „runden Tisch des Dialogs“ ein.

Fritz Behrens: Es kommt nicht auf die Spracheeiner Predigt, sondernauf deren Inhalt an

Auch der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens sagte, viele Menschen hätten auf eine solche Demonstration gewartet: „Wenn an so vielen Orten auf der Welt im Namen des Islam Menschen in Angst und Schrecken versetzt werden, dann ist es auch für die Muslime Zeit, sich von diesem Extremismus zu distanzieren.“ Vertrauen über kulturelle Unterschiede hinweg aufzubauen und zu erhalten sei nicht leicht. „Nur wenn wir aufeinander zugehen, wenn wir einander kennen lernen, dann gibt es weniger Vorurteile, Misstrauen und Abgrenzung“. Er wolle, „dass wir nicht nebeneinander, sondern miteinander leben“. Für dieses Ziel seien zwei Dinge notwendig: „Einander verstehen wollen und einander verstehen können.“ Eine deutliche Absage erteilte Behrens allerdings Forderungen, wie die der baden-württembergischen Kultusministerin Annette Schavan (CDU), in Moscheen künftig nur noch in deutscher Sprache zu predigen. „Wer mit solchen Vorschlägen den Islam insgesamt unter Generalverdacht stellt, grenzt alle gläubigen Muslime aus, auch die friedliebenden“, kritisierte Behrens. Dafür habe er „kein Verständnis“. Zur Religionsfreiheit gehöre es auch, die Sprache zu bestimmen, in der die Botschaft verkündet wird. „Es kommt nicht darauf an, in welcher Sprache gepredigt wird, sondern was gepredigt wird“, sagte Behrens. Geradezu pathetisch fiel die Rede seiner Parteifreundin Lale Akgün aus: „Heute ist der Tag, an dem wir, die Muslime der Freiheit, zum ersten Mal unsere Stimme erheben“, rief die Islambeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion unter großem Beifall. „Wir und nicht die Fundamentalisten sind die Mehrheit der Muslime in Deutschland“, so die 51-jährige Kölner Abgeordnete, die im Alter von 9 Jahren mit ihren Eltern aus der Türkei in die Bundesrepublik kam. Der Islam sei „keine Chiffre für Rückständigkeit“, und es dürfe nicht zugelassen werden, dass ihm eine Unvereinbarkeit mit der Moderne unterstellt werde. Scharf wandte sich Akgün „gegen jede Form von Islamophobie“: „Diejenigen Rassisten, die schon immer gegen Ausländer waren, schwingen sich plötzlich zu Verteidigern von Frauenrechten, Demokratie und liberalem Staat auf.“ Auf solche „Pseudodemokraten können wir gut verzichten“.

Im Gegensatz zu seinen Vorrednerinnen und Vorrednern – unter ihnen neben Grünenchefin Roth auch der FDP-Chef Guido Westerwelle – hatte Günther Beckstein keinen leichten Stand. Dass sein Auftritt auf einer muslimischen Demonstration „nicht unbedingt ein Heimspiel für die CSU“ sein werde, hatte der bayerische Innenminister, der erst zur Kundgebung anreiste, allerdings auch schon vorher gewusst. Tatsächlich musste sich der Christsoziale denn auch zu Beginn seiner Rede erst mal ein Pfeifkonzert gefallen lassen. „Diejenigen, die sagen, Islam heißt Frieden, nehmen wir mit offenen Armen auf“, rief Beckstein der Menge zu. Zugleich verlangte der CSU-Politiker von allen Einwanderern stärkere Anstrengungen zur Integration: „Wir bitten euch: Lernt Deutsch!“