Die Idee bleibt, der Walkman geht

Rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 1979 kam der erste Walkman auf den Markt – und revolutionierte das Musikhören durch Mobilität. Mit der CD erlebte das „tragbare Abspielgerät von Tonträgern“ eine späte Blüte, der iPod ist sein Ende

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Eine Samstagnacht, eine Tanzfläche und zwei Kinder, die gerade erst beschlossen hatten, keine Kinder mehr zu sein. Ein schnelles Lied und ein enger Tanz. Nicht zum schnellen Lied allerdings. Denn der Junge, nennen wir ihn Claude Brasseur, setzt dem Mädchen, nennen wir sie Sophie Marceau, zärtlich den Hörer seines Walkmans auf die Ohren. Zu „Dreams Are My Reality“ bewegen sich die beiden in ihrem eigenen Takt, ihrer eigenen Realität. Ihr Klang ist nicht identisch mit den Klängen um sie herum; ihre Welt nicht identisch mit dieser Welt. Eine ganz eigene Blase.

Ausgerechnet einer der kitschigsten Augenblicke aus dem kollektiven Erfahrungsschatz der Achtzigerjahre ist es also, der uns etwas über die Essenz des Walkmans erzählt. Denn jene Szene aus „La Boom – Die Fete“ etabliert das tragbare Kassettenabspielgerät nicht nur endgültig als das Lifestyle-Accessoire einer modischen Generation. Es formuliert zugleich jenes subtile Versprechen, das den Walkman so einzigartig macht: die Erfahrung einer Ungleichzeitigkeit von Raum und Klang. Die Möglichkeit, mit Augen und Ohren gleichzeitig an verschiedenen Orten zu sein.

„Wo sind wir, wenn wir Musik hören?“, ließe sich mit den Philosophen Peter Sloterdijk fragen. Der Walkman hat eine letztgültige Antwort auf diese Frage zerstreut. Er trägt die Musik in den Raum. Und isoliert zugleich den Hörer aus dieser Umgebung. Eine schizophrene Maschine, exzentrisch und intim, so gegensätzlich wie die beiden Seiten der eingelegten Musikkassette.

Der erste Walkman erblickte im Herbst 1979 das elektrische Licht einer zunehmend technologietrunkenen Welt. Es war der Sony TPS-L2. Noch nicht schwarz, noch nicht silberfarbig, sondern in einem dunkelblauen Gehäuse. Erfunden und entwickelt von fleißigen japanischen Ingenieuren. Oder doch vom Philosophie-Dozenten Andreas Pavel, der sich bereits zwei Jahre zuvor eine „körpergebundene Kleinanlage für die hochwertige Wiedergabe von Hörereignissen“ erdacht haben will. Den von ihm so genannten „Stereobelt“.

Die Antwort auf diese Frage wissen wohl nur der Sony-Vorstand und Andreas Pavel selbst. Die aber haben ihren 24 Jahre dauernden Patentstreit rechtzeitig zum jetzigen Jubiläum beigelegt. Und nicht nur über die geflossenen Zahlungen Stillschweigen vereinbart. Pavel, inzwischen Kulturmanager im italienischen Mailand, wird sich zu dieser Geschichte nicht mehr äußern. Und statt dem „Stereobelt“ ist eben der Walkman in den Duden eingezogen. In der Auflage von 1988 ist das Wort zum ersten Mal zu finden. Als „kleiner Kassettenrekorder mit Kopfhörern“ – was so nur bedingt richtig ist.

Denn ein Rekorder, ein Aufnahmegerät also, ist der Walkman nur in seltenen, exorbitant teuren Ausführungen gewesen. Worin letztlich, nach mehr als 200 Millionen verkauften Exemplaren, auch sein sukzessives Verschwinden begründet ist: Um den mobilen Walkman zu füttern, muss eine immobile Stereoanlage bespielte Kassetten ausspucken. Immer weniger Stereoanlagen verfügen allerdings über ein dafür notwendiges Kassettendeck. Läuft doch die analoge Musikkassette – im Gegenteil zum ebenfalls analogen Vinyl – in diesen digitalen Zeiten ihrem finalen Bandsalat entgegen.

Nur im Supermarkt, gleich neben der Kasse, liegt noch immer ein Dreierpack Audiokassetten herum. Aber selbst das romantische Mixtape, von Nick Hornby einst so inbrünstig beschworen, wird ja längst auf CD gebrannt. Immerhin sind die selbst gebastelten Cover geblieben. Und die Mixkassetten im Museum verschwunden. Eine Schau im Hamburger Museum für Kommunikation archivierte sie unlängst unter den verschwindenden Dingen der Popmoderne. Parallel rufen Szenekneipen zum Kassetten-Retro auf: ganze DJ-Abende, bestritten nur mit leiernden Chromtapes von BASF oder TDK.

Ebenfalls verschwunden ist die Definitionsmacht von Sony, den Umgang (besser: das Umhergehen) mit den transportablen Klängen betreffend. Denn genauso, wie der Walkman eigentlich noch unter den Bedingungen der (überspielten) Schallplatte konzipiert war – immerhin ist er fünf Jahre älter als die Compact Disc –, hat sich das Zeitalter der digitalen MP3- Dateien einen neuen klangvollen Stadtnomaden geschaffen: Apples iPod.

Dieses Gerät für Menschen, die der Musik nurmehr in einer immateriellen, kaum mehr dinghaften Form begegnen, markiert nach einem Vierteljahrhundert denn auch das Ende des herkömmlichen Walkmans. Den schicken weißen Ohrstöpseln zufolge, die längst zum ästhetisierten Chiffre des iPods geworden sind und in diesen Herbsttagen immer häufiger aus olivgrünen Parkas oder nostalgischen Skianoraks herauslugen, sind das eine ganze Menge Menschen. So viele, dass man in der Duden-Redaktion wahrscheinlich längst hellhörig geworden ist.