Wenn die Kippa wem nicht passt

Eine Studie der EU zeigt, dass Juden in Europa zunehmend von jungen Arabern bedroht werden. Das Papier wurde weggeschlossen. Das Problem bleibt

VON JAN FEDDERSEN
UND PHILIPP GESSLER

Israels Regierungschef Ariel Scharon war noch nie ein Freund sprachlicher Raffinessen: Zuerst warf er den Europäern pauschal einen „kollektiven Antisemitismus“ vor. Und schob hinterher, dass Muslime Juden in Europa nach dem Leben trachteten: „Da die muslimische Präsenz in Europa immer stärker wird, bedroht dies sicherlich das Leben von Juden.“ Außerdem täten die EU-Regierungen nicht genug gegen Antisemitismus.

Zumindest diese letzte Kritik teilen israelische Friedensaktivisten, wahrlich keine Freunde des robusten Ministerpräsidenten. Immerhin: Auch die „Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ (EUMC) in Wien, eine Agentur der Europäischen Union, fand es schon im April 2002, so ihre Direktorin Beate Winkler, „äußerst beunruhigend“, dass es in einigen Ländern der EU einen „steigenden Antisemitismus“ gebe. Deshalb ließ das Institut in Mitgliedsländern der Europäischen Union Informationen sammeln, ob diese These stimme. Das Material – Beobachtungszeitraum zwei Monate – sollte nach einer Ausschreibung das renommierte Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin auswerten.

Die Berliner Wächter in Sachen Xenophobie und Antisemitismus erledigten ihren Job, wenngleich ihre durch die EUMC vorgegebene Datenbasis schmaler war, als es Wissenschaftlern lieb ist. Vor Jahresfrist waren sie fertig, seit Januar liegt ihr Bericht vor: Doch die EUMC schloss ihn in den Giftschrank. Weil die Ergebnisse nicht ins Bild passen?

Das jedenfalls wirft eine der Autoren der Studie, Juliane Wetzel, dem EUMC vor: Das Ergebnis ihrer Expertise, wonach nicht allein klassische Rechtsextrimisten Juden verfolgen, sondern „junge muslimische Zuwanderer“ in Städten wie Paris und Amsterdam für die antisemitische Welle im Frühjahr vergangenen Jahres „vor allem“ verantwortlich gewesen seien, dies habe den Wiener EU-Experten nicht ins Weltbild passen wollen. Wetzel hält die Nichtpublikation für eine „eine politische Entscheidung, um junge Muslime zu schützen“. Mehr noch: Die EUMC scheint stark daran interessiert, eine Studie zu präsentieren, in der muslimische Migranten nicht als Täter auftauchen.

Einiges spricht tatsächlich dafür, dass die Berliner Wissenschaftler mit ihrem Urteil zur EUMC richtig liegen – wie auch Antirassismusexperten, Streetworker und Sicherheitsbehörden hinter vorgehaltener Hand einräumen: Dass die Wiener Institution immer wieder dazu neige, islamophobe Vorfälle in den EU-Mitgliedstaaten nach dem 11. September 2001 zu betonen.

Zumindest in der muslimischen Community in Deutschland wächst die Erkenntnis, dass da ein Problem allzu lange nicht gesehen wurde: Nach den jüngsten Anschlägen in Istanbul gedachte eine „Migrantische Initiative gegen Antisemitismus“ in Berlin der Opfer in der Türkei. Der Initiator Deniz Yücel zur taz: „Wir stellen seit längerem fest, dass islamistisches und antisemitisches Gedankengut auch unter Einwanderern verbreitet ist.“ Auch wenn dies ein „skandalöser Zustand“ sei, würde Yücel davon abraten, sich in muslimisch geprägten Stadtteilen als Jude zu erkennen zu geben. Der Hauptgrund für diesen Antisemitismus unter Muslimen sei die eigene Erfahrung der Ausgrenzung in Deutschland: „Es ist sehr einfach, sich die eigene Benachteiligung mit einer jüdischen Weltverschwörung zu erklären.“

Eine erstaunliche Entwicklung: Sechs Jahrzehnte nach dem Holocaust scheint es für Juden in Deutschland wieder No-go-Areas zu geben: einmal mehr avancieren Juden zu „Sündenböcken“, wie es Juliane Wetzel sieht. Und Übergriffe muslimischer Migrantenkinder auf Juden in den vergangenen Jahren auch in Deutschland scheinen dieser Sichtweise Recht zu geben (siehe Kasten). Deniz Yücel kritisiert, dass auch manche Linke und Globalisierungskritiker das Problem bei Muslimen gern verdrängten: „Man toleriert Islamismus und Antisemitismus als Teil der kulturellen Identität“ – wenn man nicht gar selbst antisemitische Ansichten habe. Verhüllt als Antizionismus.