Atomprotest in Moll

Trotz zahlreicher Störaktionen erreichte der Castor gestern Nachmittag den Verladekran im niedersächsischen Dannenberg. Stimmung bei Castor-Gegnern bleibt nach tödlichem Unfall weiter gedrückt, Gleis- und Straßenblockaden gehen aber weiter

„Der Todeszug im doppelten Wortsinn hätte an der Grenze gestoppt werden müssen“

aus DannenbergMarco Carini

Der Atommülltransport, der zwölf Castor-Behälter aus Frankreich ins Zwischenlager Gorleben bringen soll, hat das niedersächsische Dannenberg erreicht. Am gestrigen Nachmittag, Punkt 16.25 Uhr, erreichte der Zug den Verladekran, welcher die strahlende Fracht auf Tieflader umsetzen und so transportfähig für den 19 Kilometer langen Straßenweg zu seinem Bestimmungsort machen soll. Der Verladevorgang dauerte gestern bis weit in die Nacht hinein.

Zuvor hatte der 2.300 Tonnen schwere Zug mehrfach seine Fahrt aufgrund von Gleisblockaden unterbrechen müssen. Nachdem er bereits am Vormittag vor Uelzen durch an die Schienen gekettete Atomgegner zum Stehen gebracht worden war, führten mehrere Störmanöver rund um Harlingen bei Hitzacker zu einem Stop-and-go des Güterzuges. Ein Castor-Gegner hatte sich hier an einem Baum an der Transportstrecke festgekettet, ein anderer war auf den vorausfahrenden Materialwagen gesprungen. Mehrere Protestierer spannten Fäden über die Gleise zu einem symbolischen „Widerstandsnetz“.

Eine Harlinger Gleisblockade, an der zeitweise bis zu 200 Personen teilnahmen, wurde von der Polizei unter Schlagstockeinsatz aufgelöst. Dabei wurden mindestens zwei Blockierer festgenommen. Weitere Sperraktionen gab es auf den beiden Straßen, auf denen der Castor-Konvoi ans Ziel kommen will. In Langendorf und Groß Gusborn kam es zu zwei Straßenblockaden, an denen rund 50 Traktoren und 500 Atomkraftgegner teilnahmen.

Unmittelbar nach dem Eintreffen des Zuges in Dannenberg begannen die mit Räumpanzern angerückten Ordnungskräfte mit der Beseitigung beider Treckerbarrikaden. Die Fahrzeuge wurden kurzgeschlossen und weggefahren. Beide Orte wurden von einigen Polizeihundertschaften abgesperrt.

Trotz dieser Vielzahl von Aktionen gehen die Anti-Atomgruppen davon aus, dass mehrere geplante Blockaden nach dem Unfalltod eines französischen Gleisblockierers kurzfristig abgesagt wurden. Der Mann war am Sonntag vom Castor-Zug überfahren worden. Der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Dieter Metk, kritisierte daraufhin, dass der „Todeszug im doppelten Wortsinn“ nicht spätestens an der deutschen Grenze gestoppt worden sei, sondern trotz des Unfalls seine Fahrt fortgesetzt habe.

Während der Nacht zu Montag war in den einzelnen am Wendländer Widerstand beteiligten Gruppen diskutiert worden, ob und in welcher Form der geplante Protest weitergehen kann und soll. Die meisten Atomgegner entschieden sich, den Widerstand fortzusetzen, auf lustige Events und schrille Töne aber zu verzichten. Eine Trauerfeier in Splietau, an der rund 2.000 Menschen teilnahmen, und ein abendlicher Gottesdienst in Langendorf sollten dem tragischen Ereignis Rechnung tragen. Atomprotest in Moll statt in Dur.

Zu einem Zwischenfall kam es nach Informationen der Castor-Gegner von „X-Tausendmal quer“ bei Tollendorf. Dort soll ein 16-jähriges Mädchen von einem Polizeibeamten mit vorgehaltener Pistole bedroht worden sein, als es gerade versuchte, einen Rundballen Heu auf die Gabel des von ihr gelenkten Traktors zu bugsieren. Die Polizei wollte diesen Vorfall weder dementieren noch bestätigen.

Für heute rufen „X-Tausend mal quer“ und „WiderSetzen“ zu einer Sitzblockade auf der Straßenstrecke auf, die je nach Transportroute in Langendorf oder Groß Gusborn erfolgen soll. Auch die Umweltorganisation Robin Wood kündigte eine „spektakuläre, gewaltfreie Aktion“ an.