In Freiheit mit Veronika

Wieder einmal hat mit Egon Bahr ein renommierter Politiker der „Jungen Freiheit“ ein Interview gegeben. Das passt in die Strategie des Blatts, als ganz normal zu gelten. SPD-Fraktionsvize Müller kritisiert, dass Bahr die „JF“ ins Willy-Brandt-Haus bat

VON DANIEL SCHULZ

Veronika Ferres hat es getan, Michel Friedman ebenfalls, und jetzt auch Egon Bahr. Der Mann, der in den 70ern Willy Brandts Bundesminister für besondere Aufgaben war, hat der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit ein Interview gegeben. Bahr spricht in dem vom Verfassungsschutz beobachteten Blatt über Deutschland als Nation nach der Vereinigung, das Verhältnis zur EU und zu den USA. Sein Fazit: Die Deutschen seien „gezwungen zu lernen, wieder eine normale Nation zu sein“.

Zwar widerspricht Bahr dem JF-Chefredakteur Dieter Stein unter anderem bei dessen These von den „nationsvergessenen Deutschen“. Rechtsextremismusexperten halten das Interview aber dennoch für bedenklich. „Der Interviewte begibt sich zu deren Regeln auf deren Terrain“, sagt Henning Flad von der Europa-Universität Frankfurt (Oder). „Der cordon sanitaire um die Junge Freiheit wird dadurch immer weiter aufgeweicht.“ Bahr hatte Stein im Willy-Brandt-Haus empfangen, der Zentrale der deutschen Sozialdemokratie. Die JF dokumentierte das Ereignis sogleich mit einem Foto.

Die Wochenzeitung gilt dem nordrhein-westfälischen Innenminister Fritz Behrens (SPD) „als eines der wichtigsten Organe der Neuen Rechten“ und wird sowohl vom Verfassungsschutz seines Landes als auch von dem in Baden-Württemberg beobachtet. Als „Neue Rechte“ bezeichnet der NRW-Verfassungsschützer Thomas Pfeiffer ein rechtes intellektuelles Netzwerk, das „den Pluralismus einer offenen Gesellschaft zurückdrängen, ethnisch verstandene Kollektive wie Volk und Nation ins Zentrum der Politik rücken möchte und sich um Einfluss auf die öffentliche Meinung bemüht“.

Die „Neue Rechte“ hat erkannt, dass ein politischer Machtwechsel durch einen längerfristigen Wertewandel eingeleitet wird. Dabei grenzen sich die Neurechten von der Neonazi-Ideologie der NPD oder Freier Kameradschaften ab. David Begrich, der auf Seminaren der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Neuen Rechten spricht, sagt: „Diese Leute interessiert die Klientel rechts von der CDU.“

Beim Erreichen des kulturellen Wertewandels kommt der Jungen Freiheit eine Schlüsselrolle zu. Für die Wochenzeitung schreibt regelmäßig etwa Alain de Benoist. Der Kopf der französischen Nouvelle Droite propagiert die „Kulturrevolution von rechts“. Die Junge Freiheit gab auch dem Ex-CDUler Martin Hohmann breiten Raum. „Unbescholtene Interviewpartner wie Egon Bahr dienen dazu, die ganze Zeitung salonfähig zu machen“, sagt Henning Flad. Autoren außerhalb des demokratischen Spektrums würden somit aufgewertet.

Wie wichtig es der Wochenzeitung ist, als normal zu gelten, zeigt die 16-seitige Liste der Interviewpartner der JF, auf der zwar auch NPD-Geschäftsführer Frank Schwerdt steht, ebenso aber der israelische Friedensaktivist Uri Avnery, der auch in der taz schreibt. Gesprächspartner der Zeitung werden gern als Kronzeugen für Meinungspluralismus angeführt. Derzeit geht die klagefreudige Junge Freiheit gerichtlich gegen die Beobachtung durch den NRW-Verfassungsschutz vor.

Bei SPD und Grünen stieß Bahr auf Unverständnis: Als „Dummheit“ bezeichneten SPD-Fraktionsvize Michael Müller und Omid Nouripour aus dem Bundesvorstand der Grünen das Interview. Auch die JF-Schreiber im Brandt-Haus zu empfangen sei ein „großer Fehler“ gewesen, sagte Müller der taz. Grundsätzlich hält der Fraktionsvize den Parteiveteranen Bahr „weiterhin für einen anständigen Mann“. Er habe seinen Fehler inzwischen sicher selbst eingesehen. Bahr war nicht zu erreichen.