Aus für Plan A. Folgt Plan B

Strategiewechsel im Weißen Haus: Vor der nächsten Präsidentenwahl will Bush möglichst viel Irak-Verantwortung los sein

aus Washington MICHAEL STRECK

Die USA wollen bis Ende Juni 2004 die politische Macht im Irak an eine einheimische Übergangsregierung übergeben. Der anschwellende Guerillakrieg, der wachsende Blutzoll unter US-Soldaten und die sinkende Zustimmung zur Irakpolitik in den USA haben das Weiße Haus so unter Druck gesetzt, dass es sich zu diesem umstrittenen und riskanten Schritt entscheiden musste.

Der Strategiewechsel bei der Neuordnung des Nachkriegsirak bedeutet eine Abkehr von den ursprünglichen Vorgaben der US-Regierung. Die politische Macht in Bagdad sollte erst nach der Verabschiedung einer neuen Verfassung und allgemeinen Wahlen übergeben werden. Es ist das Eingeständnis, dass der bisherige Kurs im Irak gescheitert ist. Präsident George W. Bush zieht die Notbremse.

Läuft für die US-Regierung alles gut, erklärt Bush kommenden Sommer rechtzeitig zum Beginn der heißen Phase im Wahlkampf wieder einmal feierlich: „Mission erledigt“. Doch bislang lief es im Irak nach der Eroberung selten nach den Vorstellungen des Weißen Hauses. Der neue Plan birgt jedoch enorme Risiken und Nebenwirkungen (siehe auch Text unten).

Zunächst dürfte das Image der USA erheblichen Schaden nehmen. Die Welt erlebt eine Supermacht, die kneift und deren moralischer Führungsanspruch Schiffbruch erleidet. „Derzeit deutet alles auf fluchtartiges Verlassen, und das ist genau das falsche Signal“, sagt Thomas Manken von der Johns Hopkins University. Die Bush-Regierung bricht ihr vollmundiges Versprechen vom „Nation Building“ und einem Marshall-Plan ähnlichen Wiederaufbau. Sie schafft sich damit ein weiteres Glaubwürdigkeitsproblem, das künftig die internationale Kooperation bei der Lösung anderer Konflikte, wie dem Kampf gegen den Terror erheblich erschweren könnte.

Im Irak bleibt es mehr als fraglich, ob die eilige Übergabe der Autorität an einheimische Sicherheitskräfte zu mehr Stabilität führt. „Dies ist das sichere Rezept für ein Desaster“, warnt Senator Joseph Biden, führender Außenpolitiker der Demokraten. Wie er bezweifeln viele Experten, dass schlecht ausgebildete irakische Soldaten und Polizisten leisten können, was den US-Truppen versagt blieb. Auch die überstürzte politische Transformation gefährdet in ihren Augen das Ziel, demokratische und säkulare Institutionen zu bilden. Vergangenen Woche wurde ein geheimes CIA-Papier bekannt, das zu dem Schluss kommt, kein irakischer Politiker verfüge über die notwendigen Führungsqualitäten, um das Land zu regieren. So macht sich in den USA neben der Sorge vor Chaos und Bürgerkrieg auch die Angst vor einer Theokratie breit, da die am besten organisierten Gruppen Islamisten sind. Eine solche Entwicklung wäre das Gegenteil der von Bush stets proklamierten Idee, Irak solle „Keimzelle“ einer Demokratisierung des Nahen Ostens werden.

Innenpolitisch nimmt Bushs Entscheidung der Opposition den Wind aus den Segeln. Die demokratischen Präsidentschaftsbewerber, die in Bezug auf die Irakpolitik einen Schlingerkurs zwischen geduldigem Wiederaufbau sowie rascher Machtübergabe und Rückzug gefahren haben, müssen ihre Wahlkampfstrategie neu justieren. So zynisch es klingt, ihnen bleibt die Hoffnung, dass sich auch unter einer irakischen souveränen Übergangsregierung die Situation nicht verbessert und sie Bush entweder weiterhin für die Folgen eines unsinningen Feldzugs oder miserable Nachkriegsplanung verantwortlich machen können.

So wird der Lackmustest für die Stimmung an der Heimatfront die Opferzahl der GIs sein. Den Amerikanern dürfte im Zweifelsfall egal sein, wer in Bagdad regiert, sie interessieren sich dafür, wann ihre Soldaten nach Hause kommen. Doch Bush hat bislang keinen Zeitplan für den militärischen Abzug der USA aus dem Irak genannt. Stattdessen bekräftigte er, es sei „undenkbar“, dass US-Truppen das Land verlassen, bevor eine stabile Demokratie errichtet sei. Schwer zu glauben, dass er sein Versprechen hält, wenn kommenden Sommer kurz vor dem Urnengang weiterhin täglich US-Soldaten sterben.