„Ich war der Stellvertreter des Leibhaftigen“

Für Fritz Teufel war die taz einst so etwas wie die Frau seiner Träume. Heute ist sie eher die Albtraumfrau des legendären Kommunarden, dem es gesundheitlich richtig schlecht geht

INTERVIEW WALTRAUD SCHWAB

taz: Herr Teufel, wer mit Ihnen sprechen will, muss gleichzeitig mit Ihnen Tischtennis spielen. Warum?

Fritz Teufel: Damit der Teufel, ein alter Gnom, auf die Fragen immer mit Ping und Pong antworten kann.

Sie nennen es therapeutisches Pingpong. Tatsächlich wirkt Ihr verdrehter Körper dabei agil. Ist Ihr Körper so nach vorne gebeugt, weil Sie die Bechterew’sche Krankheit haben?

Nein, ich habe Parkinson. Ist aber auch nicht schön.

Und da hat Ihnen jemand gesagt, dass Tischtennisspielen gut ist?

Wenn ich davon ausgehe, dass ich jemand bin, dann hat das jemand gesagt.

Spielst du jeden Tag – oh, jetzt habe ich Sie geduzt.

Ich duze dich doch auch. Ich spiele das seit einem Jahr und seit ich es mache, gibt es Hoffnung, dass einiges wieder bessergeht.

Parkinson ist eine Nervenkrankheit?

Ja. Sie wird auch im Zusammenhang mit Alzheimer und mit Demenz genannt.

Wann hat es angefangen?

Vor zehn Jahren. Mit 55.

Wie verkraftet man das?

Wenn was zu viel ist, ist es zu viel. Dann ist man eben down.

Auf jeden Fall hat das Pingpong hier etwas Meditatives. Du musst dir täglich Leute suchen, die mit dir spielen.

Ich kenne ja ’ne Menge. Die werden eben zwangsverpflichtet.

So wie der Fotograf und ich heute?

Ja, Haftbefehl zum Pingpong spielen.

War das jetzt ein Stichwort? Sollen wir über Haftbefehle reden?

Wie du willst.

Du bist oft verhaftet worden. Mal wegen eines Attentats mit Pudding auf den US-Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey, 1967 war das. Mal, weil du angeblich Brandsätze gelegt hast.

Na ja, so oft ist das nicht.

1980 wurdest du angeklagt und verurteilt, weil du als Mitglied der Bewegung 2. Juni bei der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz mitgemacht haben sollst. Nach den Plädoyers der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft, die 15 Jahre Haft für dich wollte, hast du erst dein Alibi offengelegt. Du hast zur Tatzeit in einer Fabrik in Essen unter falschem Namen gearbeitet und Klodeckel hergestellt. Hast dem Gericht damit ganz schön gezeigt, wie tendenziös es war. War doch so, oder?

War so.

Wann bist du eigentlich nach Berlin gekommen?

1963.

Wolltest du in Berlin studieren?

Ich ließ es nicht beim Wollen bewenden. Meine Fächer waren Germanistik, Publizistik und Theaterwissenschaft.

Hast du es beendet?

Nein, mein Studienbuch ist abhanden gekommen. 1967.

Wie kommt so was abhanden?

Damals sind wir ja zusammengezogen als Kommune und wurden regelmäßig verhaftet. Ich habe sogar einen Haftbefehl am 2. Juni 1967 gekriegt wegen des Schahbesuchs. Als ich aus dem Knast kam, war mein Studienbuch weg. Aber ich habe dem weiter keine Bedeutung beigemessen, weil ich dachte, das Studium ist sowieso für den Arsch. Jetzt bist du Kommunarde.

Findest du es besonders, was ihr damals wolltet und gemacht habt?

Eigentlich nicht. Wir haben gemacht, was viele Jugendliche wollten: weg von zu Hause und mit ihresgleichen anders leben.

Du tust das so ab. Habt ihr keine radikale Zäsur in der Gesellschaft gesetzt?

Ich hab dich nicht verstanden.

Gibt es dieses „ihr“ überhaupt, das ich hier verwende?

Wenn du es nicht als Pluralis Majestatis siehst. Ich denke, natürlich gibt es uns.

Warum hast du meine Frage vorher so abgetan?

Ich hab sie nicht abgetan. Ich sagte nur, wir haben nichts Besonderes gemacht.

Gut, aber den Konservativismus, die Verknöcherungen in der Gesellschaft, gegen die ihr angehen musstet, ich sag nur – unter den Talaren, Muff von 1.000 Jahren – davon profitieren wir.

Das gilt auch umgekehrt. Davon, dass es später eine taz gab, habe ich profitiert.

Wie?

Ich konnte während des Lorenz-Prozesses meine Sicht der Dinge an die Öffentlichkeit bringen.

Hat es genutzt?

Die Urteilsfindung ist in größste Schwierigkeiten gekommen. Von meinen Mitangeklagten hat beispielsweise keiner lebenslänglich gekriegt.

Du sagtest mal, die taz sei die Frau deiner Träume. Ist sie das nach 30 Jahren immer noch?

Heute ist sie mehr die Frau meiner Albträume.

Oh, hat sie dich enttäuscht?

Es beklagt sich ja niemand.

Wann hat die taz aufgehört, wichtig zu werden für dich?

Ganz unterschiedlich. Ich habe zeitweise jede Woche im Wechsel mit Wolfgang Neuss eine Kolumne veröffentlicht. Dann war ich jahrelang weg und bei der taz hat ständig die Leitung gewechselt.

Und jetzt? Liest du die taz noch? Spielt sie eine Rolle? Regst du dich über sie auf?

Jetzt hat man mir ein Freiabo aufgedrückt. Die blättere ich auch durch, lese hin und wieder was und freue mich über den Sportteil. Es gibt ja auch noch ein paar Leute, die witzig schreiben.

An wen denkst du?

Fällt mir spontan kein Name ein. Ich kann mir das alles nicht merken.

Kannst du es dir krankheitsbedingt nicht merken?

Auch. Zur Krankheit gehört Vertrottelung und Vergesslichkeit.

Du bist jetzt 65. Wünscht du dir manchmal, dein Leben wäre anders verlaufen?

Hanemenglebt.

Ich versteh nicht.

Das liegt auch an meinem Gebiss, dass die Worte schwer verstehbar sind. Aber selbst wenn es akustisch verständlich wäre, kann es vorkommen, dass der andere einen partout nicht versteht.

Es war eine ganz ernsthafte Frage: Hast du dir dein Leben so vorgestellt?

Ich wollte, dass es abenteuerlich wird, und das ist es geworden.

So abenteuerlich, dass du Jahre im Knast gesessen bist?

Ich habe auch Radtouren gemacht.

Gab es etwas, das du erreichen wolltest und erreicht hast?

Ich bin geworden, was ich mir unter einem humoristischen Dichter vorstelle.

Davon liest man in den Biografien über dich nichts. Da liest man eigentlich immer nur, dass du dich vor dem Richter erhoben hast mit dem Satz: Wenn es der Wahrheitsfindung dient. Dann noch die Wortschöpfung B-libi für ein nicht ganz astreines Alibi. Das Puddingattentat. Der Lorenz-Prozess. Es werden immer ein paar Auftritte von dir in Prozessen genannt.

Das ist generell so. Irgendwas suchen sich die Leute raus und das finden sie am schönsten. Der Nächste schreibt es vom Ersten ab. Und der Dritte schreibt es vom Zweiten ab. Der Erste hat die Einstiegsdroge geliefert.

Wohl auch die Ausstiegsdroge.

Ich bin ja noch dabei, mein Image als Radfahrer zu zementieren.

Das liest man auch ab und zu, dass du ein super Fahrradkurier warst.

Ich rede aber nicht vom Kurierfahren, sondern vom Radfahren. Da warten wir halt noch zehn Jahre und beim nächsten Jubiläum wird man über Fritz Teufel als Radfahrer schreiben.

Auf Prozesse jedenfalls ist dein Leben nicht begrenzt.

Kurierfahrer war ich länger als ich im Knast saß. Ungefähr gleich lang könnte man sagen. Mein Leben ist ’ne ziemlich lange Radtour mit ziemlich langen Schleifen.

Welche Schleifen hast du gemacht? Gibt es zum Beispiel unveröffentlichte Bücher von dir?

Jede Menge.

Mit Chance auf Veröffentlichung?

Sie wird immer besser. Ich hatte erst neulich eine Lesung über Fahrradreisen, die ich gemacht habe.

Wo war die?

Hier im Pingpongraum.

Welches war deine schönste Fahrradreise?

Die Reisen gehören zusammen. Das tollste Teilstück waren die Jahre 1980 bis 86. Da bin ich von Berlin nach London geradelt. In Holland traf ich einen Mann, der Ähnlichkeit mir mir hatte. Er erzählte, dass er mal an der Grenze verhaftet wurde, weil man ihn für Fritz Teufel hielt.

Bedeutet das, egal, wo Fritz Teufel hinkam, als Erstes wurde er verhaftet?

Nein, es soll heißen, egal, wo andere Leute hinkamen, sie wurden an meiner Stelle verhaftet, wenn sie so aussahen wie ich. Ich selbst war der Stellvertreter des Leibhaftigen. Der Leibhaftige war Rudi Dutschke. Den konnte man nicht verhaften, weil er Opfer eines Attentats war.

Gut, dass andere dann die Stellvertreter von Teufel waren.

Wir sind noch nicht zu Ende. Ich war dann ein Jahr in London. Als Radfahrer und Bäcker. Es gibt ein Buch, das heißt „Aus Teufels Küche“. Da wird die Zeit beschrieben. Das Buch könnte die taz auch mal wieder neu auflegen.

Wie ging es weiter?

In London war ich auch Mitglied der Bakers-Coop und habe zusammen mit meinen Fellow Bakers Brote und Muffins gebacken.

Ging es noch weiter?

Ja, über Frankreich nach Portugal. Ich hatte da von der Revolution gehört. Als ich ankam, war sie vorbei. Ich hab dort auf dem Land gelebt. Eines der schönsten Jahre meines Lebens.

Wann bist du nach Berlin zurück?

1985 oder 86. Dann kam der Mauerfall. Da bin ich durchs Umland geradelt.

Wer also Fritz Teufel verstehen will, muss sehen, dass er Politik und Gesellschaft radikal in Frage gestellt hat, dass er aber auch sich gespürt hat, wenn er Fahrrad gefahren ist.

Gut gelernt.

Und dann kam die Krankheit.

Ja.

Vor zehn Jahren, als du krank wurdest, wie hast du gemerkt, dass was nicht stimmt?

Ich hatte Schwierigkeiten beim Gehen, Stehen und Liegen.

So ein Rundumschock.

Und als er aufgewacht ist, hat er sich vollgepisst. Und mir sind ständig Dinge aus der Hand gefallen. Das Schlimmste ist, wenn du wie festgenagelt irgendwo stehst und nicht mehr weiterkannst, weil du Angst hast, du fällst hin. Soll ich es vormachen? Lieber nicht. Ich muss alle drei Stunden Pillen einnehmen. Wie spät ist es jetzt? Viertel nach sechs. Ich hätte schon um sechs die Pillen einnehmen müssen. Ich merke es.

Fritz Teufel sucht in Hosen- und Jackentaschen nach den Tabletten.

Hast du die Pillen vergessen?

Sieht so aus. Hat jemand ein Auto?

Fotograf Eric-Jan Ouwerkerk und ich bringen ihn schnell per Taxi nach Hause.