Wahlkampf mit allen Mitteln

Der ukrainische Regierungschef Janukowitsch will mit aller Gewalt Präsident werden. Oppositionsführer Juschtschenko unterstellt seinem Gegner sogar Mordabsichten

BERLIN taz ■ Die ukrainischen Präsidentschaftswahlen an diesem Sonntag sind die polarisierendsten und unehrlichsten seit der Unabhängigkeit 1991. Von den 26 Kandidaten haben nur zwei reale Chancen. Zum einen Wiktor Juschtschenko, Expremierminister, Chef des Zusammenschlusses der wichtigsten Oppositionsparteien „Unsere Ukraine“ und gemeinhin als pro-westlich apostrophiert. Zum anderen Wiktor Janukowitsch, amtierender, russophiler Regierungschef und Günstling des derzeitigen Staatschefs Leonid Kutschma. Nach Umfragen von Mitte Oktober wollen 32 Prozent der Wähler für Juschtschenko und 34 Prozent für Janukowitsch stimmen. Rund 20 Prozent äußerten sich unentschlossen.

Janukowitsch prasst mit Wahlgeschenken und -versprechen. Kürzlich ließ er die Renten verdoppeln und kündigte an, die doppelte Staatsbürgerschaft (russisch-ukrainisch) sowie Russisch als zweite Staatssprache einführen zu wollen. Offenbar habe Janukowitsch als potenzieller Garant der Verfassung selbige nie gelesen, mokierte sich die Wochenzeitung Zerkalo Nedeli. Die Einlösung des Versprechens setze schließlich eine Grundgesetzänderung voraus, für die die Zweidrittelmehrheit fehle. Doch mit solchen Kleinigkeiten halten sich weder Janukowitsch noch die vor allem im Osten des Landes lebenden Russen auf. Die stellen 20 Prozent der Gesamtbevölkerung und stehen mehrheitlich fest hinter Janukowitsch.

Für die Diffamierung von Widersacher Juschtschenko zuständig sind neben den staatlichen Medien die beiden beliebtesten und von Janukowitsch-treuen Oligarchen kontrollierten Fernsehkanäle Inter und Studio 1+1. Sie präsentieren Juschtschenko – wenn überhaupt – wahlweise als Nationalisten oder Handlanger des Westens. Demgegenüber droht dem einzigen Pro-Juschtschenko-Fernsehsender Channel 5 Lizenzentzug. Bei Gericht liegt ein Antrag vor, das Guthaben des Senders einzufrieren.

Die prooppositionelle Jugendgruppe „Pora“ (Es ist Zeit) bekam vor kurzem unangemeldeten Polizeibesuch. Angeblich wurden dabei 2,4 Kilogramm Sprengstoff, Zünder und eine Granate gefunden, woraufhin die Staatsmacht Aufstandsszenarien kolportierte. Außerdem endete eine Demonstration von 200.000 Juschtschenko-Anhängern in Kiew mit rund einem Dutzend Schwerverletzten. Die geplante Wahlkampf-Abschlusskundgebung der Opposition sagten die Behörden einfach ab.

Nicht einmal vor Mord würde die Staatsmacht zurückschrecken, behauptet Juschtschenko. Anfang September musste sich der Oppositionskandidat mit rätselhaften Symptomen mehrere Wochen in Wien behandeln lassen. In einer Erklärung der Ärzte war vom Einsatz biologischer und chemischer Kampfstoffe die Rede.

„Die Angst hat sich wieder in die Seelen der Menschen gegraben. Sie trauen sich nicht mehr, offen zu sprechen – aus Angst, ihren letzten Besitz zu verlieren: Arbeit und ein Stück Brot“, heißt es in einem offenen Brief ukrainischer Intellektueller. Anstelle eines prosperierenden Europas mit Respekt vor dem Gesetz werde den Ukrainern ein eurasischer Raum angeboten, wo Barbarei und Despotismus herrschten.

In die Richtung interpretiert der Politologe Wolodymir Polochailo auch den dreitägigen Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Kiew. „Putin hofft, das autoritäre Potenzial seines Regimes dadurch zu stärken, dass er mithilft, ein ähnliches Regime in der Ukraine zu errichten.“ Offiziell kam Putin aus Anlass des 60. Jahrestages der Befreiung Kiews von den Nationalsozialisten. Dafür musste der Feiertag allerdings mal eben vom 6. November auf diese Woche vorgezogen werden.

BARBARA OERTEL