Trauma und Aufschwung

NAIROBI taz ■ In Nyamata beten die Menschen in der Grundschule. Am frühen Sonntagmorgen dringen die Kirchenlieder nach draußen. In der nahen Kirche hingegen ist es still. Die Backsteinmauer ist von Schüssen zernarbt, das Altartuch ist mit getrocknetem Blut befleckt. Nyamata ist eine Gedenkstätte, Gottesdienste gibt es hier schon lange nicht mehr. „Mehr als 10.000 Menschen haben damals hier in der Kirche Zuflucht gesucht“, erinnert sich Mukama Tharcisse. „Die Todesschwadronen der Interahamwe haben die Tür aufgebrochen, sie haben geschossen und mit Macheten und Knüppeln um sich geschlagen, bis auch der Letzte tot war.“ Heute, 15 Jahre später, ist Ruanda immer noch ein traumatisiertes Land. Bapfuye buhagazi nennen die Ruander diejenigen, denen der Völkermord bis heute den Verstand zu rauben droht – lebende Tote. Es sind die jungen Mädchen, die von den Völkermördern vergewaltigt wurden und später abgetrieben haben; die Mütter, die zusehen mussten, wie ihre Kinder in Stücke zerhackt wurden; aber auch die Täter, die bis heute erpresst werden, damit sie niemand verrät. Doch trotz des omnipräsenten Horrors erlebt Ruanda einen Aufschwung, den kaum jemand für möglich gehalten hätte: Seit 1994 wächst die Wirtschaft jährlich um mehr als 5 Prozent. Die Regierung Kagame hat Ruandas Aufstieg zum Schwellenland bis 2020 zur Staatsdoktrin ernannt und lässt Glasfaserleitungen verlegen und IT-Parks bauen. Dennoch leben bis heute mehr als die Hälfte aller Ruander unterhalb der Armutsgrenze. In zwanzig Jahren soll sich die Bevölkerung auf 18 Millionen verdoppelt haben. Kritiker werfen der Kagame-Regierung Autoritarismus vor; Opposition, Zivilgesellschaft und freie Presse sind in Ruanda nahezu unbekannt. ME