Opferrente für Stalking-Geschädigte: Opfer zweiter Klasse

Keine Ruhe, nie: Frau B. wurde von einem Stalker verfolgt. Das Bundessozialgericht muss entscheiden, ob sie so wie andere Gewaltgeschädigte eine Opferrente bekommt.

Das Stalking begann mit regelmäßigen Telefonanrufen und SMS-Kurznachrichten. Bild: imago/viennaslide

FREIBURG taz | Wer von einem Stalker verfolgt wird, hat keine Ruhe mehr. Ständig kann der Verfolger auftauchen, anrufen, Ärger verursachen. Tagsüber und nachts, tagaus, tagein. Dass eine solche Belagerung, wenn sie Wochen und Monate andauert, krank machen kann, liegt auf der Hand. Doch haben die Betroffenen auch Anspruch auf staatliche Opferrenten nach dem Opferentschädigungsgesetz? Das muss am 7. April das Bundessozialgericht in einem Musterfall entscheiden.

Klägerin ist eine heute 60-jährige Sozialpädagogin aus Bremen, Frau B. Vor zehn Jahren hatte sie eine Beziehung mit einem alkoholkranken Mann, die aber nach wenigen Monaten in die Brüche ging. Der Mann hat das allerdings nie akzeptiert.

Das Stalking begann mit regelmäßigen Telefonanrufen und SMS-Kurznachrichten. Mal erklärte er, sich rächen zu wollen: "Du hast mich fallen gelassen." Mal wollte er sich versöhnen: "Du hast Zeit bis morgen, mit mir zu reden." Regelmäßig schickte er mit fingierten Notrufen Polizei, Feuerwehr und Notarzt zu Frau B. Auch Taxen, Pizzalieferungen, Schlüsseldienste und Bestattungsunternehmen orderte er an die Adresse der Frau.

Am schlimmsten aber waren die permanenten Drohungen. Am Arbeitsplatz von Frau B., einem Behindertenheim, rief er an und teilte mit, dass "eine Bombe hochgehen werde", wenn die Frau wieder ins Haus komme. Der damals 81-jährigen Mutter von Frau B. drohte er, dass ihre Tochter in wenigen Minuten tot sein werde. Frau B. wiederum teilte er mit, dass ihre erwachsenen Kinder "in vier Wochen" tot sein würden, er habe "Beziehungen". Außerdem erklärte er düster: "Du bekommst ab dem 2. 8. deine Ruhe, aber anders, als du denkst."

Sie wechselte die Wohnung, er fand sie

Durch seine Hartnäckigkeit bekamen die Drohungen etwas sehr Reales. Der Mann passte die Frau vor ihrem Hauseingang ab, folgte ihr auf der Straße, redete permanent auf sie ein, folgte ihr auch im Bus und in Geschäfte. Immer wieder klingelte er an der Haustür oder begegnete ihr wie zufällig auf der Straße. Sie wechselte die Wohnung - er fand die neue Adresse heraus. Sie änderte die Telefonnummer - er rief wieder an. Der Stalker war nicht abzuschütteln. Vier lange Jahre.

Die Polizei kam zwar, wenn Frau B. sie rief. Die Beamten bereinigten auch die unmittelbare Situation, doch der Mann kam immer wieder. Per Gericht wurde ihm verboten, sich der Frau erneut zu nähern oder sie anderweitig zu belästigen. Doch er ignorierte das Verbot.

Schließlich kam es im Dezember 2004 zu einer Verhandlung vor dem Strafgericht. Der Mann wurde zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Doch der Terror hörte nicht auf. Nun wurde er tatsächlich wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz acht Monate lang inhaftiert. Endlich hatte Frau B. Ruhe.

Doch die Gesundheit der Frau war ruiniert. Sie hat heute eine posttraumatische Belastungsstörung, Angst- und Erschöpfungszustände, leidet unter Konzentrationsschwäche und Schlafstörungen. Sie bekam Psychopharmaka verschrieben und musste 2005 sogar für zwei Monate in der Psychiatrie untergebracht werden. Arbeiten kann sei seitdem nicht mehr. Von der gesetzlichen Rentenversicherung bekommt sie eine kleine Erwerbsunfähigkeitsrente.

Ihr Antrag auf eine ergänzende Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz wurde vom Versorgungsamt Bremen jedoch abgelehnt. Frau B. erfülle nicht die gesetzlichen Voraussetzungen, so die Begründung. Darüber wird nun vor Gericht gestritten.

Bei Stalkern ist wenig zu holen

Natürlich muss eigentlich ein Stalker den von ihm verursachten Schaden selbst bezahlen. Doch typischerweise ist bei den Straftätern wenig zu holen. Deshalb gibt es seit 1976 das Opferentschädigungsgesetz. Hierdurch bekommen die Opfer von Gewalttaten Anspruch auf Versorgung durch den Staat, weil dieser nicht in der Lage war, seine Bürger vor der Gewalt zu schützen.

Das Gesetz setzt deshalb voraus, dass ein Gesundheitsschaden vorliegt, der auf einem "tätlichen Angriff" beruht. Diese Rechtslage legte das Bremer Versorgungsamt streng aus: Der Stalker habe "gewaltlos" gehandelt, Gewalttaten habe er nur angedroht. Also liege kein "tätlicher Angriff" vor.

Sonja Briesenick, die Anwältin des Opfers, sieht das ganz anders. "Ziel des Stalkers ist es, das Leben des Opfers zu zerstören, einschließlich der gesundheitlichen Integrität." Heute müsse ein derartiges Verhalten auch als tätlicher Angriff gewertet werden. Immerhin sei Stalking 2007 als neues Delikt auch ins Strafgesetzbuch aufgenommen worden.

In der ersten Instanz hatte das Versorgungsamt noch Erfolg. In der Berufung beim Landessozialgericht wurde Frau B. jedoch eine Beschädigtenrente zugesprochen. Das Urteil des Bundessozialgerichts wird Auswirkungen auf ähnliche Fälle in ganz Deutschland haben.

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