KIRSTEN FUCHS über KLEIDER
: Pflegeleichte Punk-Schlüpfer

Stinkende Musiker und Travestiten, bunt wie Ostereier: alles nur Kleiderklischees. Aber wo kommen die her?

Letztens tingelte ich mit einigen Männern die kleinen Bühnen in Deutschland ab. Die Musiker haben nichts Interessantes gemacht, was ihre Klamotten angeht: Sie fingen halt an zu stinken: Die Rock-’n’-Roll-Hose, der Punk-Schlüpfer, das Heavy-Metal-Shirt, das heavy müffelte. Wenn die Musik laut genug war, übertönte sie den Geruch und die Musik war immer laut genug. Die Musiker waren im Prinzip pflegeleicht, sie pflegten sich eben nicht und waren mit Kaffee und Zigarette jeden Morgen ruckzuck aufbruchbereit.

Dann war da aber noch die Prinzessin, ein Mann, der das Wort Mann nicht so ernst nimmt. Crossdresser, Drag Queen, Transvestit, irgendwie so was, oder einfach nur „Tunte“, wie es auf seinem T-Shirt stand. Auf seinen Visitenkarten steht Prinzessin.

Er hatte viel Garderobe mit, verteilt in einem großen Rucksack, einer Ikea-Tüte, einem kleinen Rucksack und zwei Leinenbeuteln. Vor jedem Auftritt und bei jeder Ankunft in der Unterkunft und jedes Mal beim Umpacken des Tourbusses begann dann das Große Kramen. Die Rucksäcke, die Beutel, die Tüte wurden ausgekippt, vor der Küche, auf der Straße, im Fluchtweg, auf der Bühne. Dann wurde der Spiegel gesucht, um die Frisur zu richten. Mit gerichteter Frisur ging es dann los.

Viele Häufchen: Hosen, die genäht werden müssen; Kleider, die gefärbt werden müssen; Federboas, die gekämmt werden müssen; Röcke, die er gar nicht mitnehmen wollte; Hosen, die ihm gar nicht mehr gefallen; Ketten, die er mal wieder tragen könnte; Ketten, die aber auch zu gar nichts passen; Kekse, die gegessen werden müssen; Kekse, die schon angebissen sind; Hüte, zu denen noch Handschuhe gekauft werden müssen … Während die Prinzessin herumwirbelte und dabei auch das eine oder andere Teil anprobierte, saßen die Musiker und ich da und rauchten. Ich habe viel geraucht auf dieser Tour.

„Was suchst du denn eigentlich?“, fragte ich den Mann. „Nichts!“, sagte er und flocht sich zwei Zöpfe. Er steckte sich die Zopfenden in den Mund und suchte zwei passende Haargummis. Er hätte den Tag nicht überlebt mit einem weißen und einem gelben Haargummi. Alles nur Klischees, aber irgendwo kommen die ja her. Aus der Wirklichkeit? Es handelt sich dabei allerdings nicht um die Wirklichkeit von Mainz, Babenhausen, Chemnitz und so weiter (außer natürlich Köln). Überall löste er beim Stadtbummeln, bunt wie ein Osterei, niedlich wie ein Küken, geschlechtslos wie Bonbons, Halsnackenaugensperren aus. Boah! Er wedelte mit dem Fächer und grüßte höflich.

Mir ging sein Herumsortieren nicht auf den Wecker, zu keiner Zeit. Er sang dabei. Ich weiß auch, dass er so viel umpackte, damit er innerhalb von Sekunden mitten in der Show, im genau richtigen Moment, eine Tröte oder eine Quietsche oder eine Pfeife finden kann. Er ist ein Requisitenträger. Er ist eine Show. Die Musiker hatten auch Geduld. Sie suchten die CDs für die nächste Busfahrt raus, die lauten.

Die Prinzessin knüllte alles zurück in den großen Rucksack, den kleinen Rucksack, die Ikea-Tüte und die Beutel. Während der Fahrt nähte er sein Dirndl und jodelte. Vor dem Auftritt malte er sich einen riesengroßen roten Mund und band sich rote Puschel um die Füße. Ich half ihm, viele Sicherheitsnadeln zu befestigen. Blumen ins Haar, Hawaiikränze um den Hals, Federboa um die Hüfte. Er hat in ganz Deutschland Federn gelassen.

Kurz vor dem Auftritt fing er wieder zu wühlen an: „Wo ist mein Asthmaspray? Ich kann keinen Ton singen.“ Panik! Alles wurde wieder auf der Straße ausgekippt. „Können wir suchen helfen?“ – „Nein, fangt doch schon mal an.“ Wir fingen schon mal an. Die Prinzessin kam aufs Stichwort herein gestampftgestöckelt und trällerte los. Alles gut. Er konnte, dank Asthmaspray, welches er in seinem kompliziertem Ordnungssystem schnell gefunden hatte, wieder singen. Und wie! Jeden Ton! Darum hat er jeden Abend gelogen, wenn er sang: „Ich bin von Kopf bis Fuß mit Alkohol gefüllt (gut, dass stimmte manchmal), ich kann halt Likör nur und sonst gaaaar nichtsssss.“

Fragen zur Show? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt KLATSCH