Grün ist nicht immer grün

Alle Grünen und sonstigen Anhänger der Energiesparbewegung sollten tief Luft holen, bevor sie dieses Buch zur Hand nehmen. Hans-Werner Sinn schreibt in „Das grüne Paradoxon“ auf, warum die moderne Energiepolitik möglicherweise ein Fall für die klassische Tragödie ist: gut gemeint, mit leider gegenteiligem Effekt.Sinn behauptet, dass die zentrale energiepolitische Weichenstellung des vergangenen Jahrzehnts, der Emissionshandel, zu einer Beschleunigung des Kohle- und Ölverbrauchs und damit zur Verschlimmerung des Klimawandels führt.Der erste Teil von Sinns These ist ein recht bekannter Einwand gegen die Klimapolitik nach Kioto: Der Handel mit CO2-Zertifikaten ist ein marktkonformes Instrument, Luftverschmutzung mit einem Preis zu versehen. Das aber bedeutet: Wenn etwa die Deutschen Energie sparen, weniger CO2 in die Welt setzen, die Nachfrage nach Zertifikaten also senken, sinkt deren Preis. Umso lieber werden drum andere zugreifen, um genau das Kohlendioxid zu produzieren, das die Deutschen eingespart haben. Länder, die sich nicht am Zertifikatehandel nach dem Kioto-Protokoll beteiligen, wiederum freuen sich, dass die Kioto-Länder durch ihre sinkende Nachfrage nach Öl und Kohle deren Preis drücken – und bedienen sich umso mehr. Der zweite Teil von Sinns These birgt nun umstürzlerisches Potenzial: Wir sollten nicht hoffen, dass die Endlichkeit der fossilen Ressourcen von selbst dazu führt, dass bald weniger CO2 produziert wird. Im Gegenteil: Es ist noch viel zu viel Öl und Kohle in der Erde. Alles, was wir tun können, ist, die Ölscheichs und sonstigen Eigentümer dazu zu bringen, die Förderung zu verlangsamen. Es muss sich für sie lohnen, das Zeug im Boden zu lassen. Was aber geschieht, wenn die Umwelt- und Energiepolitik dazu führt, dass die reichen Länder Jahr für Jahr ihre Nachfrage und damit den Preis drücken? Genau, es wird gefördert wie verrückt – mit bekanntem Ergebnis. Die Klimadebatte trägt dazu bei, „den Ressourcenabbau und damit den Klimawandel zu beschleunigen. Das ist der Effekt, den man das grüne Paradoxon nennen könnte“, schreibt Sinn. Der Autor ist, diplomatisch ausgedrückt, eine Reizfigur. Der Münchner Wirtschaftsforscher hat die Agenda-2010-Politik beeinflusst und medial begleitet, hat stets Lohnsenkungen und auch die Kürzung der Arbeitslosenunterstützung gefordert. Kürzlich rückte er Managerschelte in die Nähe von Judenverfolgung. Es ist ungeschickt von Sinn, dem Buch Widmungen all der Schauergestalten voranzustellen, die noch nie Argumente brauchten, um Umweltpolitik blöd zu finden – Kurt Biedenkopf, Hans-Olaf Henkel und so weiter. Auch der teils weinerliche, vulgärromantische Ton beim Thema Windkrafträder – „jeder weitere Windflügel, der auf deutschen Auen errichtet wird …“ – dürfte das weniger konservative Publikum abschrecken. Sprachpolitisch und PR-technisch ist Sinn wahrhaftig nicht auf der Höhe der Zeit. Doch ist er ein ernst zu nehmender Wissenschaftler. Die Kapitel über den Klimawandel zeugen davon, dass sich da jemand ganz tief in die Materie vergraben hat und fasziniert ist vom Kreislauf des Kohlenstoffs. Die ökonomischen Formeln und Gleichungen werden alle ohne einschlägiges Studium zwar überschlagen. Doch selbst solchen Lesern wird auffallen: Sinns ökonomische Diskussion, so schwergängig er sie aufbereitet, ist vielschichtiger als das, was etwa die Atomkraftlobby sonst bietet. Das sollen die grünen Energiepolitiker jetzt erst einmal kontern.

ULRIKE WINKELMANN

Hans-Werner Sinn: „Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik“. Econ Verlag, Berlin 2008, 477 Seiten, 24,90 Euro