Wachstum dank Internet

Fast kein Tag vergeht ohne einen neuen Dopingskandal. Athleten werden mit Medikamenten erwischt, die es hierzulande ohne Rezept überhaupt nicht gibt. Aber das muss auch keiner haben

Neben den üblichen Nebenwirkungen kann man sich auch den Tod injizieren

VON JÜRGEN LÖHLE

Das unscheinbare weiße Päckchen kommt von einem Christoph G. aus München, den es unter der angegebenen Adresse (Bahnhofplatz 1) dort aber gar nicht gibt. Der Inhalt: ein ramponiertes blaues Plastikschächtelchen, wie es gemeinhin zum Schmuckverpacken verwendet wird. Statt Geschmeide befindet sich unter einer schützenden Watteschicht aber eine Ampulle mit weißem Pulver. Der Aufdruck ist in kyrillischer Schrift, der Inhalt brisant. Das weiße Pulver ist das menschliche Wachstumshormon Somatotropin (HGH), das das Längenwachstum der Muskeln und Knochen positiv beeinflusst. Als Medikament wird Somatotropin hauptsächlich zur Behandlung von Kindern eingesetzt, die Probleme mit dem Wachstum haben. Wer sich das Hormon über eine Tarnadresse schicken lässt, hat meist anderes vor. HGH ist ein höchst wirkungsvolles Dopingmittel.

Wachstumshormon als Muskelbooster ist seit einiger Zeit der Renner, weil die körpereigene Substanz vielfach noch nicht oder nur mit einem gewaltigen Aufwand nachgewiesen werden kann. Doping ohne Risiko des Erwischtwerdens – der Traum vieler Profisportler in allen möglichen Disziplinen. Das ist bekannt, neu ist aber, dass HGH von jedermann beängstigend einfach geordert werden kann. Per Mausklick im Internet.

Stoff aus dem Netz gibt es nun auch schon ein paar Jahre. Anabole Steroide werden schon lange von etlichen Internetapotheken angeboten, Wachstumshormon suchte man dort aber vergeblich – der Stoff war doch ein bisschen heikel. Bis Mitte der 80er-Jahre wurde HGH ausschließlich aus den Hirnanhangdrüsen (Hypophysen) von Toten gewonnen, seit Mitte der 80er-Jahre gibt es aber gentechnische Verfahren, die die Produktion einfacher und sicherer machten. Mehr und mehr wurde das Medikament gegen Minderwuchs auch zur Heilsdroge im Spitzensport. Und nicht nur da. HGH ist oft Mittel der Wahl bei vielen dem Jugendwahn verfallenen Senioren. Muskeln rauf, Fett runter – besonders in Kalifornien sind die Strände voller Muskel-Opas, die fast aus ihren Matrosenshirts platzen und die auf HGH oder auf das Sexualhormon Testosteron schwören. Oder auf beides.

Zu bekommen ist der Stoff einfach – wir haben es probiert. Selbst nur mittelprächtig begabte Surfer gelangen über gängige Suchmaschinen ohne große Mühe zu einem Anbieter, der den Stoff feilbietet wie andere Bücher oder Klamotten – mit einem Button zum Anklicken, auf dem „Buy“ steht. Kaufen! Bezahlt wird mit der Kreditkarte. Das Somatotropin wird angeblich in Litauen hergestellt, die Versandapotheke sitzt in Slowenien und das Päckchen kommt dann aus München. Fünf Tage nach dem Klick liegt der Stoff im Briefkasten. Allerdings nur die nackte Ampulle, ohne Beipackzettel, ohne Dosierungsvorschriften, ohne Lösungsflüssigkeit zum Herstellen einer Injektion, ohne Spritze. „Wenden Sie unsere Präparate nur in Zusammenarbeit mit einem Arzt an“, rät die Versandapotheke, die ansonsten mit einer ellenlangen Liste an Einschränkungen jede Verantwortung ausschließt.

Was nirgends steht – man sieht es der Ampulle nicht an, ob der Stoff gentechnisch hergestellt oder aus Leichenmaterial gewonnen wurde. In einem Verzeichnis über in Litauen registrierte Medikamente findet sich der Hersteller mit mancherlei Produkten – nicht aber mit dem an uns gelieferten Somatotropin. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Stoff aus Russland importiert wurde und nicht gentechnisch hergestellt ist. Mit diesen Chargen kann man sich neben den üblichen Nebenwirkungen wie unkontrolliertes Knochenwachstum (Akromegalie), Hautverfärbungen, Sehschwäche und Körpergeruch auch den Tod injizieren. Das Risiko, sich die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit einzufangen (so etwas wie BSE bei Menschen), ist nicht auszuschließen, wenn infiziertes menschliches Gewebe verarbeitet wird. Creutzfeldt-Jakob ist unheilbar und führt durch eine schleichende Zerstörung des Gehirns zum totalen Steuerungsverlust der Betroffenen und schließlich zum Tod. Daran könnte auch eine professionelle Betreuung der Doper nichts ändern. Auch Ärzte können schließlich ohne Beipackzettel oder eine Produktbeschreibung nicht erkennen, woher das Mittel kommt und wie es produziert wurde. Und wenn man weiß, dass Wachstumshormone in den USA nicht nur bei den Fitrentnern, sondern schon bei Jugendlichen der Renner sind, kann einem schon ein wenig angst werden.

Da liegt nun das Päckchen, die Kreditkarte ist belastet, die Ratlosigkeit aber bleibt – zumal die Bestellung in dem hier beschriebenen Fall auch noch legal ist. Medikamente zu Dopingzwecken einzusetzen ist zwar durch das deutsche Arzneimittelgesetz verboten, aber Doping ist ein Begriff aus dem wettkampforientierten Leistungssport, beschreibt die Einnahme explizit verbotener Substanzen, um das Ergebnis eines Wettbewerbs zu beeinflussen. Wenn sich junge Leute Muckis für die Disco anspritzen, ist das kein Doping. Und dann wird es schwierig. „Will jemand für den Eigengebrauch Arzneimittel aus dem Ausland beziehen, ist das nicht strafbar, auch nicht bei in Deutschland rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Bei einem Import aus dem Nicht-EU-Ausland kann es höchstens Ärger mit dem Zoll geben“, sagt Dr. Ursula Sellerberg, eine Sprecherin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda). Litauen, Slowenien, Deutschland – alles EU. Der diskrete Versand über eine Fantasieadresse ist in diesem Fall unnötig, zeigt aber, dass die Versender wohl genau wissen, wer ihre Produkte normalerweise ordert. Für die Dealer der Szene ist die Rechtslage nämlich eindeutig. Arzneimittel zu Dopingzwecken in den Verkehr zu bringen, zu verschreiben oder bei anderen anzuwenden, ist verboten. Sagt Paragraf 6a des Arzneimittelgesetzes.

Solange das Gesetz aber das Schlupfloch Eigenbedarf durchlässt, wird der Handel im Internet wohl noch zunehmen. Zumal der Begriff Eigenbedarf schwammig ist. Die von uns für 49 US-Dollar georderte Menge ist laut einer ebenfalls im Internet verbreiteten Dosierungsrichtlinie nur etwa eine Tagesdosis. Und wenn es richtig peppen soll, müsste man sich schon eine sechswöchige Spritzenkur gönnen. Hier bleibt die Frage: Sind 42 Ampullen noch Eigenbedarf? Auch die Produktpalette im Netz steigt. Insulin, Wachstums- und Sexualhormone, selbst Erythropoietin (Epo) werden angeboten. Nicht ganz so einfach wie Somatotropin, aber wer sich im Netz verbeißt, braucht nicht besonders lange, um fündig zu werden.

Und die Versender sind immer fein raus. Vor dem Klick zum Kauf muss der Kunde Ausschlusskriterien akzeptieren, die, vereinfacht gesagt, Folgendes beinhalten: Der Lieferant haftet für nichts. Weder dafür, dass die Mittel ankommen, noch für Ärger mit dem Zoll und schon gar nicht für Nebenwirkungen. Aber Doper denken nicht über das Heute hinaus. Sonst würde sich wohl kein Mensch ein gelöstes Pulver unter die Haut spritzen, von dem er nicht einmal weiß, was es für Risiken birgt.