Falsche Tinte trübt die Wahl

Afghanistans Präsidentenwahl verlief unerwartet friedlich. Die Taliban konnten sie nicht verhindern, doch unerwartete Probleme mit der Tinte drohen den ganzen Wahlprozess zu diskreditieren

Aus Kabul JAN HELLER

Die erste Wahl eines Staatsoberhaupts in Afghanistans ist am Samstag friedlich verlaufen. Dennoch kann der Streit um abwaschbare Tinte den Prozess noch unterminieren. Nach ersten Schätzungen lag die Wahlbeteiligung über den Erwartungen. Überall hatten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen gebildet. Gestern Nachmittag wurden in den landesweit acht Zählzentren, wohin die Urnen zum Teil per Esel transportiert werden, die ersten Boxen geöffnet. Die Zählung dauert voraussichtlich mehrere Wochen. Auf einen ersten Trend hofft die Wahlkommission JEMB binnen vier Tagen.

Die „Stiftung für freie und faire Wahlen in Afghanistan“ (Fefa), die größte unabhängige einheimische Beobachterorganisation mit über 2.300 Beobachtern in über 100 von 400 Distrikten, sprach gestern von einer „recht demokratischen Umgebung“ der Wahl und gratulierte den Afghanen, dass der „Prozess friedlich zu Ende gegangen ist“. Nicht ein einziger Wähler kam zu Schaden. Die Taliban konnten ihre Ankündigung nicht verwirklichen, die Wahlen zu verhindern. Lediglich im Süden sowie an einem Ort südlich Kabuls kam es zu Scharmützeln. Dabei starben drei Polizisten.

Insgesamt waren die Taliban weder zu erfolgreichen Einzelaktionen noch zur befürchteten koordinierten Attacke in mehreren Regionen in der Lage. Dabei hatten sie es versucht. Nach US-Armeeangaben wurden drei mit Sprengstoff beladene Lkw erst am Stadtrand Kandahars abgefangen. Einer davon enthielt mit Panzerminen und Raketen verkabelte 40.000 Liter Treibstoff. Dies hätte in der Stadt zu einer Katastrophe führen können.

Die Taliban sind der klare Wahlverlierer. Aber noch kann der Skandal um die doch nicht unabwaschbare Tinte, die der Verhinderung von Mehrfachstimmabgaben dienen sollte, die Legitimität der Wahl und den erwartetet Sieg Hamid Karsai noch in Zweifel ziehen. Alle 15 seiner verbliebenen Gegenkandidaten riefen nach Bekanntwerden der Tintenprobleme zunächst zum Boykott auf und drohten, das Ergebnis nicht anzuerkennen. Die aus Afghanen und UN-Mitarbeitern zusammengesetzte Wahlkommission lehnte eine Unterbrechung oder Verschiebung der Wahlen ab. Angeblich waren Filzstifte zur Wählermarkierung mit denen zum Ausfüllen der Wahlzettel vertauscht worden.

Die Aufregung beschränkte sich im Wesentlichen auf Kabul und Herat sowie einige Gebiete im zentralen Hochland. Dort kam es zu vereinzelten Protesten vor Wahllokalen. Wahlbeobachter der wichtigsten Karsai-Konkurrenten zogen sich zurück. Zum flächendeckenden Boykott kam es nicht. JEMB lehnte am Samstagvormittag eine Unterbrechung oder Verschiebung der Wahl ab. Sie bemühte sich um Austausch der Stifte und kündigte eine Untersuchung an. Gestern Abend erklärte die afghanische UN-Mission, eine unabhängige drei- bis vierköpfige Expertenkommission zu bilden, die das Tintenproblem und andere mögliche Verstöße untersuchen soll. Sprecher einiger Kandidaten deuteten darauf Berichten zufolge ein Boykottende an.

In der Aufregung ging ein weiteres Problem unter – das so genannte community voting im paschtunischen Südosten. Dort akzeptierte JEMB-Personal in den Wahllokalen, dass Stammesälteste en gros, vor allem für Frauen, stimmten. Seyyed Muhammad vom Mangal-Stamm in der Provinz Paktia behauptete, „unsere Frauen haben viel zu tun, deshalb haben sie alle morgens ganz schnell abgestimmt“ – bevor überhaupt internationale Beobachter diese Gebiete erreichen konnten. Das dürfte Karsais Opponenten kaum überzeugen, zumal die Stämme als seine Hauptstütze gelten. Insgesamt rächte sich, dass die UN – unter Washingtons Einfluss, das ein im Bush-Wahlkampf vorzeigbares Ergebnis will – Beschwerden über einen Karsai begünstigenden Wahlkampf von vornherein nicht ernst genug nahm.