Am fünften Ende der Welt

Um ihnen „ein neues Leben in einer glücklicheren Gesellschaft“ zu ermöglichen, nimmt Australien seit 1947 tausende von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten auf. Opfer wie Täter

VON ARMIN WERTZ

Bei den Nürnberger Prozessen bestätigte die Vollversammlung der Vereinten Nationen 1946, dass „Genozid ein Verbrechen ist, für dessen Durchführung sich die Verantwortlichen wie die Täter strafbar machen“. 1948 erließ die Vollversammlung die „Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Genozids“, die 1951 in Kraft trat. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten bereits eine ganze Reihe von Machthabern ihr Interesse an den mörderischen Fähigkeiten der Vollstrecker des Naziterrors entdeckt. Und so vergaßen die Westallierten schnell die in Jalta niedergelegte und in Potsdam wiederholte Absicht, Naziverbrecher und ihre Handlanger in den von den deutschen Armeen überrannten Ländern „bis an alle vier Enden der Welt zu jagen“.

Großbritanniens geheimer Nachrichtendienst MI 6, Frankreichs Deuxième Bureau und das US-amerikanische Office of Strategic Services (OSS) lieferten sich einen Wettlauf um die Dienste ost- und mitteleuropäischer Emigranten, die erst wenige Monate zuvor ihre Naziuniformen abgelegt hatten und sich nun als Opfer stalinistischer Unterdrückung ausgaben. Kaum ein Staat allerdings erwies sich bei der Akquise als so engagiert wie Australien. Bis heute gilt der Kontinent als der sicherste Hort für Kriegsverbrecher.

Down under machte die Erfahrung mit den Nazi-Kriegsverbrechern bald Schule. Nach den NS-Schergen der Vierziger- und Fünfziger Jahre kamen Vertreter nahezu aller Diktaturen aus Lateinamerika, Asien oder Europa ins Land, die sich gröbster Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hatten. Die Verantwortlichen schwiegen sich über dieses Thema naheliegenderweise aus. Selbst Enthüllungen wie in dem Buch „War Criminals Welcome“ von 2001, in dem der australische Journalist Mark Aarons Fluchten von Kriegskriminellen nach Australien über fünf Dekaden nachvollzieht, brachten keine vollständige Aufarbeitung der Verstrickungen.

Begonnen hat alles mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die ehemaligen Mitglieder NS-kontrollierter Polizeikräfte und SS-Einheiten schienen den Westallierten geradezu ideal für Spionage-, Desinformations- und Propagandaaufträge, für politische Morde und terroristische Operationen im neuen Feindgebiet der im Aufbau befindlichen Ostblockstaaten. Aus den ehemaligen Nazis wurden über Nacht antikommunistische Freiheitskämpfer.

Als besonders herausragend gilt die Karriere von Srecko Blaz Rover. Eines seiner ehemaligen Opfer kann sich noch gut an den kroatischen Faschisten erinnern: Mujo Zvizdić wurde von Blaz Rover während des Zweiten Weltkriegs in Cemalusa, in der Nähe Sarajevos, gefoltert. Kurze Zeit darauf trafen sich die beiden wieder: In Ketten wurde Zvizdić vor das mobile Kriegsgericht von Sarajevo geschleppt, und diesmal trat Blaz Rover als Richter auf. Die mobilen Kriegsgerichte pflegten in einem einzigen zweistündigen Verfahren bis zu ein Dutzend Angeklagte abzuurteilen. Zvizdić’ Tod schien beschlossene Sache. Doch dann entwickelte sich ein Kampf im Gerichtssaal, noch bevor es zu Zvizdić’ Verhandlung kam. Nach Verkündigung zweier Todesurteile hatte Blaz Rover begonnen, auf einen der Verurteilten einzuschlagen. Dank des Aufruhrs konnte Zvizdić entkommen. Doch seine und andereErinnerungen reichten nicht aus, Blaz Rover nach dem Krieg vor Gericht zu bringen.

Am 3. Februar 1920 in eine Familie ultranationalistischer Kroaten geboren, hatte sich Srecko Blaz Rover sofort nach der deutschen Invasion im April 1941 freiwillig in die von den Nazis kontrollierte Ustaske Nadzorne Sluzbe (UNS), die Sicherheitspolizei, gemeldet. Dank Menschen wie Blaz Rover hatten Ustascha-Kroaten am Ende ihrer vierjährigen Herrschaft weit über eine halbe Million Menschen abgeschlachtet.

Eine von Blaz Rovers Hauptaufgaben war „die Säuberung Sarajevos von politischen Feinden“. An Behördengebäuden, auf öffentlichen Plätzen, in Restaurants, Hotels oder Bussen hingen Schilder: „Keine Serben, Juden, Zigeuner und Hunde.“ Serben mussten blaue Armbinden, Juden den gelben Davidstern tragen. Schnell machte Rover Karriere und erwarb sich unter seinen Anhängern den Beinamen „der kleine Wolf“.

Sein Eifer als schrecklicher Richter brachte ihn schon nach vier Monaten zu einem Sonderkursus an der Militärakademie von Stockerau. Danach stieg er vom Kommandeur der Ersten Panzerbrigade in Sarajevo in den Rang eines Standartenträgers auf. Er mordete so fleißig, dass er zu Führers Geburtstag am 20. April 1944 die Kleine Silbermedaille „für mutige und entschlossene Haltung im Kampf gegen die Renegaten in Bosnien“ erhielt. Ein Jahr später floh Rover zusammen mit der gesamten faschistischen Ustascha-Regierung nach Westen. Anfang Mai wurde er zusammen mit anderen Kriegsverbrechern im italienischen Flüchtlingslager in Bagnoli verhaftet. Aber ins Gefängnis kam er nicht. Wie viele andere bot auch Blaz Rover erfolgreich dem Westen seine Dienste an und umging so seine Strafe.

Doch nicht alle so rekrutierten Geheimagenten erwiesen sich als effektive Spitzel. Und so flaute die anfängliche Begeisterung der westlichen Geheimdienstler für ihre Naziagenten schon bald wieder ab. Nun mussten Wege gefunden werden, die einstigen Gegner und späteren Mitarbeiter unauffällig untertauchen zu lassen, bevor die Hintergründe ihrer Amnestie publik wurden. Also öffneten die westlichen Geheimdienste den Kriegsverbrechern die Grenzen ihrer Länder. Tausende nahmen Kurs nach Übersee, etwa tausend landeten in Australien und richteten sich dort unbehelligt ein: ungarische Pfeilkreuzler, Mitglieder der serbischen Zbor-Bewegung, NS-treue Auslandsdeutsche, kroatische Weiße Garden oder rumänische Eiserne Garden, lettische, litauische oder ukrainische SS-Divisionäre, Gestapo-Polizisten oder KZ-Aufseher.

Entscheidend für Australiens Umgang mit Nazi-Kriegsverbrechern sollte sich der Fall Ervin Richard Adolf Petrovich Viks aus Estland erweisen. Zunächst war Viks stellvertretender Chef der Sonderabteilung des Tartu-Konzentrationslagers gewesen, wo 12.000 Menschen ermordet wurden. In dieser Funktion verfasste er lange Listen von Namen Hinzurichtender, die er mit dem Vermerk „Ex-EV“ (Initialen von Ervin Viks) versah, organisierte den Transport zu den Hinrichtungsstätten und beteiligte sich selbst an den Erschießungen. Auf seinem nächsten Posten als Chef der Politischen Polizei in Tallinn kommandierte er Hinrichtungen großen Ausmaßes von Juden, Zigeunern und Nazigegnern. 1950 war Viks im Rahmen des australischen Flüchtlingsprogramms in seine neue Heimat gekommen. 1961 stellte die Sowjetunion Auslieferungsantrag.

Auch Canberra hatte die Genfer „Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Genozids“ ratifiziert. Demnach hätte Australien Kriegsverbrecher „unabhängig von ihrer Nationalität vor seine eigenen Gerichte“ bringen oder an andere, die ausreichend Beweise vorlegten, übergeben müssen. Sogar Australiens Botschafter in Moskau warnte in einem Telegramm, die Sowjets hätten „wahrscheinlich eine Menge überzeugender und vermutlich akkurater Berichte über die Geschehnisse, da sie in dieser Angelegenheit sehr gewissenhaft und effizient sind“. Doch das half nichts.

Canberras Justizminister lehnte den Antrag mit dem Hinweis ab, „einige Nationen haben keine Ahnung von der Herrschaft des Rechts, das die Freiheit der Menschen schützt“. Zwar verabscheue Australien diese Verstöße gegen die Menschenrechte: „Andererseits hat diese Nation das Recht, Menschen zu empfangen, um es ihnen zu ermöglichen, der Bitternis der Vergangenheit den Rücken zu kehren und ein neues Leben in einer glücklicheren Gesellschaft zu beginnen.“

Diese Generalamnestie sollte erst 25 Jahre später, 1986, von der Regierung des Labor-Premierministers Bob Hawkes (1983–1991) mit der Verabschiedung des „War Crimes Act“ aufgehoben werden. Um Naziverbrecher aufzufinden, die in Australien Unterschlupf gefunden hatten, wurde eine Sondereinheit, die Special Investigations Unit (SIU), eingesetzt, deren Leitung Bob Greenwood übernahm. Die Ergebnisse der fünfjährigen Ermittlungen der SIU übertrafen sogar die Schätzungen des Wiener Nazijägers Simon Wiesenthal, der 1979 annahm, dass sich in Australien „bis zu hundert Kriegsverbrecher“ aufhielten. Die SIU nannte in ihrem 1992 vorgelegten Bericht nicht weniger als achthundert NS-Kriegsverbrecher. Und später wurden noch zweihundert weitere gefunden. Sie waren, wie die SIU herausfand, nicht unerkannt ins Land geschlüpft. Sie hatten sich auf ihre überzeugt antikommunistische Haltung berufen, die – wie sie schnell herausfanden – der beste Passierschein für alle Grenzkontrollen war.

Die Medien entlarvten im Laufe der Jahre zahlreiche dieser neuen Mitbürger als Kriegsverbrecher und entfesselten mit ihren Veröffentlichungen regelmäßig heftige Auseinandersetzungen nicht nur in der australischen Öffentlichkeit, sondern auch im Parlament. Doch mit beinahe unglaublicher Hartnäckigkeit verteidigte Canberra die Freiheiten dieser Zuwanderer, die ihren Mitbürgern dieses Gut in ihren Herkunftsländern so bestialisch vorenthalten hatten.

Dass es nicht so sehr um die Freiheit der Zuwanderer als um die Interessen der Regierung gegangen war, wurde von öffentlicher Seite unterschlagen: Tatsächlich hatte Australiens Geheimdienst, die „Australian Security Intelligence Organisation“, kurz Asio, seit ihrer Gründung mit Nazis zusammengearbeitet: Die erst mit dem beginnenden Kalten Krieg ins Leben gerufene, somit unerfahrene Asio „wartete mit offenen Armen“ auf die Nazis und Kriegsverbrecher, schreibt Mark Aarons in seinem 800-Seiten-Report.

Auch Srecko Rover, kaum angelangt in Australien, wurde beschäftigt. Schließlich hatte er seine Nützlichkeit ja schon als Kommunikationsexperte bei Terroroperationen antijugoslawischer Kroaten-Verbände (Krizari) in US-Diensten bewiesen. Rover nützte Asio bald vorwiegend für seine eigenen Zwecke. In den Sechzigerjahren gründete er den australischen Zweig der „Kroatischen Revolutionären Bruderschaft“ (KRB), eine weltweit operierende „offen terroristische Vereinigung“, die bald „Einfälle im Krizari-Stil in Titos Jugoslawien organisierte und eine Terrorkampagne in Australien entfachte“, wie Mark Aarons berichtet.

Die Januar/Februar-Ausgabe 1963 der kroatischen Immigranten-Zeitschrift Spremnost machte mit der Schlagzeile auf: „Heute am Murray-Fluss – morgen an der Drina“. Tatsächlich überquerten fünf Monate später, am 6. Juli 1963, kurz nach Mitternacht, neun Männer im Schutz der Dunkelheit die Grenze von Österreich nach Jugoslawien. Srecko Rovers Krizari pirschten wieder durch Kroatiens Wälder, diesmal ohne US-Auftrag. Doch schon nach vierzehn Tagen hatten Jugoslawiens Sicherheitskräfte alle neun verhaftet. Sieben von ihnen trugen in Australien ausgestellte Reisedokumente, die beiden anderen hatten australische Pässe. Die neun gehörten Rovers Bruderschaft an, erklärten die jugoslawischen Behörden, hätten in einem „geheimen Ustascha-Übungslager unter Mithilfe der australischen Armee“ trainiert und seien in Pater Roque Romacs (der einst unter dem Namen Osvaldi-Toth in Kroatien als führender Ustascha-Offizier gedient hatte) kroatischem Club in Sydney im Umgang mit Minen und Sprengstoff ausgebildet worden. Von dort sei das Kommando über Stuttgart nach Jugoslawien gekommen.

Australiens Öffentlichkeit reagierte konsterniert auf die Nachrichten, die sich nach eingehender Überprüfung als korrekt herausstellten. Zwar bestritt die Armee sofort jede Kooperation mit den Terroristen, doch Ermittlungen brachten an den Tag, was Spremnost schon Monate zuvor berichtet hatte: Unter der Überschrift „Jugendliche Australier und Jugendliche aus dem versklavten Kroatien trafen sich auf diesem freien Territorium“ zeigte ein Foto KRB-Mitglieder, die mit Maschinenpistolen bewaffnet auf einem gepanzerten Fahrzeug der australischen Armee posierten. Die Kroaten hatten sogar einen Film von den gemeinsamen Übungen gedreht, den die Polizei konfiszierte, um eine Veröffentlichung und weitere Peinlichkeiten zu vermeiden.

Die Presse empörte sich über die Umtriebe der „kroatischen Faschisten“. Die Behörden hätten nichts unternommen, „bis ein kommunistischer Diktator wie Tito Beschuldigungen vortrug“, schrieb das Bulletin. Die „ganze Affäre schreit nach Untersuchung“, kommentierte der Sydney Daily Mirror. Doch nichts passierte, im Gegenteil, die Regierung zeigte Sympathien für die Täter. Ein Minister half der Ustascha bei ihren Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zum 22. Geburtstag der Gründung des „freien Kroatiens“ am 10. August 1941 unter der Nazimarionette Ante Pavelić – ein jährlich wiederkehrendes Ereignis, bei dem neben den Porträts Pavelić’ und der Queen die Ustascha-Flagge weht. Noch 1999 schickte Australiens derzeitiger Ministerpräsident John Howard eine Grußadresse „an den Kroatischen Rat für New Southwales anlässlich des Geburtstags der Wiederherstellung der kroatischen Unabhängigkeit“ – gemeint war nicht Kroatiens Abspaltung von Jugoslawien 1991.

Die Asio begann nun, die Umtriebe ihrer eigenen kroatischen Agenten und deren Umgang mit ihren Landsleute zu beobachten, hörte Telefone ab und las Korrespondenzen mit. Doch in Australiens günstigem politischen Klima konnten die kroatischen Ustascha auch weiterhin unbehelligt von Fahndern ihren terroristischen Geschäften nachgehen – zumal zahlreiche ihrer Ustascha-Vertreter inzwischen bis in hohe Positionen in der Liberalen Partei aufgestiegen waren.

Mit Stinkbomben und Schlägerkommandos sprengte die KRB Versammlungen und Veranstaltungen demokratischer Immigrantenorganisationen. Jugoslawische Einwanderer, die sich gegen die Ustascha wandten, erhielten Briefbomben. Diplomatische Vertretungen und wirtschaftliche Einrichtungen Jugoslawiens wurden attackiert. Ein Memo des Commonwealth Police Central Crime Intelligence Bureau beschrieb schon 1972 eine Reihe von Morden als „professionelle Auftragstötungen“ und listete über fünfzig ernsthafte Zwischenfälle aus den vorangegangenen neun Jahren auf, die es „Ustascha-kontrollierten Organisationen oder Individuen“ zuschrieb.

„Ich bin der Meinung, dass Rover der Führer der Bruderschaft ist“, sagte damals ein hoher Polizeioffizier aus, „aber wenn wir ihn befragen, bestreitet er jede Kenntnis dieser Organisation.“ Im Juli 1972 veröffentlichte die jugoslawische Regierung die Namen von neunzehn Ustascha-Terroristen, die im Verlauf der vorangegangenen Wochen in Kämpfen in Slovenien und Kroatien gefallen oder verhaftet worden waren. Neun davon hatten ihren Wohnsitz in Australien, sechs davon waren naturalisierte Australier. Die Beweise gegen Rover und die Bruderschaft waren erdrückend. Doch als sich der jugoslawische Botschafter beim Generalstaatsanwalt beschwerte, Australien tue „nicht alles, um Leute in diesem Land daran zu hindern, terroristische Anschläge in Jugoslawien zu unternehmen“, behauptete dieser, Untersuchungen hätten „keine glaubhaften Hinweise auf irgendeine kroatische revolutionäre Terrororganisation in Australien erbracht“.

Dies, obwohl die Polizei bei einer Hausdurchsuchung in Rovers Wohnung in Melbourne zahlreiche Dokumente sichergestellt hatte, die eindeutig dessen persönliche Beteiligung an der Planung des Unternehmens belegten. Rover selbst hatte zuvor in einem Gespräch mit dem Polizeichef geprahlt, er tue „alles in meinen Kräften Stehende, um den gewaltsamen Sturz“ der jugoslawischen Regierung herbeizuführen. Schon früher hatte eine Reihe von Ustascha-Führern in einem Brief Australiens Ministerpräsidenten mitgeteilt, dass „es unsere moralische Pflicht ist, auf die Befreiung der Kroaten aus der kommunistischen Tyrannei hinzuarbeiten“. Durch seinen Sekretär ließ der Angeschriebene den Kroaten mitteilen, dass er „ihre Gefühle würdige“.

Nur wenige Wochen später explodierten erneut zwei Bomben in jugoslawischen Einrichtungen in Sydney. Nach Hinweisen, dass australische Kroaten auch in anderen Ländern terroristische Anschläge verübt hatten, drückten schließlich die Amerikaner ihre Besorgnis aus, dass Australien zu einem der Trainingszentren kroatischer Extremisten geworden sei und die Behörden zu wenig unternähmen. Endlich sah sich Canberra gezwungen zu handeln. Schnell machten sie zwei „Dachorganisationen“ aus, eine davon unter der Leitung Srecko Rovers. Es folgten ein paar Hausdurchsuchungen, einige Verhaftungen und schließlich auch sieben Verurteilungen. Doch die Bemühungen der SUI unter der Regierung Hawke, endlich auch einige der schlimmsten Kriegsverbrecher der Gerechtigkeit zu überführen, scheiterten – hauptsächlich am Widerstand der Folgeregierungen.

Der Fall Karlis Ozols etwa, „naturalisierter australischer Bürger mit Wohnsitz in Victoria“, entwickelte sich zu einer wahren Justiztravestie. Mit einem Antrag zur Aufnahme weiterer Ermittlungen begannen die SIU-Beamten ihre Arbeit: „Die Beweise liefern vier Fälle von Genozid. Die Opfer der Verbrechen waren hauptsächlich jüdische Männer, Frauen und Kinder. Zum Zeitpunkt der Verbrechen trug Ozols als Leutnant die Verantwortung für rund hundert lettische Männer. Eine Reihe seiner Männer wird aussagen. Er und seine Kompanie waren direkt und indirekt am Massenmord tausender beteiligt. Um eine Anklage zu formulieren, sind weitere Ermittlungen notwendig, die etwa drei Monate dauern werden.“

1991 stimmte das Parlament für die Auflösung der SIU zum 30. Juni 1992. Damit wurde auch das Verfahren gegen Ozols sang- und klanglos eingestellt. 1993 wurde die Einstellung noch einmal bestätigt. Als 1994 die USA den Kriegsverbrecher Konrads Kalejs, der einen australischen Pass trug, nach Australien abschoben, gelangte der Fall Ozols noch einmal in die Schlagzeilen. Prompt versprach die Regierung eine erneute Untersuchung. 1995 jedoch lehnte der Justizminister Kerr eine Wiederaufnahme des Falls unter Hinweis auf die angespannte Finanzlage der Ermittlungsbehörden erneut ab. Damit war das Kapitel Nazi-Kriegsverbrecher abgeschlossen. Von den 800 Verdächtigen war nur dreien der Prozess gemacht worden. Verurteilt wurde keiner. Als Kalejs im Januar 2000 aus Großbritannien, wohin er nach seiner Abschiebung aus den USA gereist war, erneut nach Australien abgeschoben wurde, hieß ihn Justizministerin Amanda Vanstone sogar „willkommen“.

Inzwischen versuchen die Behörden auch ihr neuestes Problem zu ignorieren: Die slowenischen, serbischen, kroatischen, lettischen, litauischen oder ukrainischen Väter haben vielfach ihre faschistische Ideologie und ihren rassistischen Hass auf andere Ethnien an die Söhne weitergegeben. Die Kontinuität der Massenmörder des Zweiten Weltkriegs und der jüngeren Generation von Ustascha-Anhängern trug schnell Früchte, als Serbiens Premier Slobodan Milošević seine Kriege in Bosnien, Kroatien und im Kosovo entfachte. Jene jungen Paramilitärs, die so gerne in geheimen Ustascha-Lagern im australischen Outback ihr blutiges Gewerbe üben, meldeten sich nun als Freiwillige und weckten Erinnerungen in Serben und bosnischen Muslimen.

Schon vor Beginn der Balkankriege Mitte 1991 in der Krajina hatte Graham Blewitt, der Greenwood-Nachfolger als Chef der SIU, der heute im Haager UN- Tribunal als stellvertretender Ankläger fungiert, zahlreiche Hinweise gesammelt, dass Australier auf dem Balkan angeheuert wurden: „Es ist klar, dass australische Bürger dort gekämpft haben. Und ich erhielt einige Hinweise, dass australische Bürger auch an Gräueltaten beteiligt waren.“ Australische Fahnder fanden heraus, dass Franjo Tudjmans kroatische Regierung Srecko Blaz Rover um „Expertenberatung in Sicherheitsfragen“ gebeten hatte. Und bald strömten Geld, Materiallieferungen und gut ausgebildete Ustascha-Kämpfer von Australien nach Kroatien. Im August 1991 prahlte ein hoher Beamter im kroatischen Verteidigungsministerium: „Hunderte kroatischer Freiwilliger aus Australien, Kanada, Amerika und Argentinien kämpfen an der Front.“

Einer der ersten australischen Freiwilligen war Blaz Kraljević, ein 44-jähriger Veteran aus Blaz Rovers internationalem Terrornetz. Von Beginn der Kämpfe an übernahm er als kommandierender General die irregulären paramilitärischen „Kroatischen Verteidigungskräfte“ (HOS). Zwar galten diese Milizen als „inoffizielle Verbände“, ihre Nähe zur Regierung zeigte sich jedoch schnell, als die HOS reguläre Regierungstruppen in der feinen Kunst des „ethnischen Säuberns“ trainierte. HOS leitete Konzentrationslager, in denen serbische und muslimische „Zivilisten gefoltert, vergewaltigt und ermordet wurden“, bestätigte Blewitt. Im Zuge der Vertreibung der Serben von kroatischem Gebiet „plünderte und zerstörte die HOS serbischen Besitz, darunter 24 orthodoxe Kirchen, sie töteten, vergewaltigten und verstümmelten Zivilisten, einschließlich Frauen und Kinder“.

Auf der anderen Seite leitete der ehemalige australische Armeereservist Dragan Vasiljković eine serbische Einheit von 1.200 Mann, die „an der Organisation und Durchführung ethnischer Säuberungen“ in Jugoslawien beteiligt war. Vasiljković rühmte sich, von der jugoslawischen Geheimpolizei bestellt worden zu sein. Als er 1991 in Glina tief auf kroatischem Gebiet auch Hospitäler angriff, die angeblich von den Kroaten zu Festungen ausgebaut waren, erklärte er: „Tut mir Leid, aber ich muss sie einfach massakrieren.“

Er habe die australischen Behörden über das Problem informiert, berichtete Graham Brewitt. Auch nach australischem Recht ist der Dienst als Söldner in einer fremden Armee in einem fremden Krieg strafbar. „Tatsächlich haben diese Serben und Kroaten gegen das Strafrecht verstoßen“, so Brewitt. „Aber diese Vergehen sind eine Sache. Völkermord zu begehen ist eine andere Sache, und das haben diese Leute getan.“ Allerdings sei dies kein Fall für das internationale Tribunal in Den Haag, diese Verbrechen müssten von Australien verfolgt werden. Darum habe er dem Generalstaatsanwalt geraten, ein ständiges Kriegsgericht zu schaffen. Diese Vorschläge unterbreitete Brewitt den australischen Behörden schon vor zehn Jahren. Viele der Täter sind längst wieder in ihre Heimat down under zurückgekehrt. Und geschehen ist nichts.

ARMIN WERTZ ist freier Journalist