Die Stadt der Stille

Im Land Brandenburg sind Kommunalwahlen, in der Stadt Brandenburg auch. Die SPD ist stolz auf früher, die CDU will alles besser machen. An die Länderfusion mit Berlin denkt hier niemand

aus Brandenburg DANIEL SCHULZ

Am Ufer der Havel sitzen zwei weißhaarige Frauen. Schauen auf Wasser und Enten. Sonst gibt es wenig zu sehen. Schiffe fahren hier kaum. Es ist still.

Norbert Langerwisch ist stolz auf diese Ruhe. Sie ist sein Werk. Der schwere Mann mit dem kantigen Schädel war erst Polizeichef von Brandenburg an der Havel, dann Bürgermeister und Kämmerer. „Hier kann man leben“, sagt er „ich bin stolz auf Brandenburg.“ Mit diesem Spruch wirbt seine SPD. Am Sonntag ist Kommunalwahl. Norbert Langerwisch will Oberbürgermeister werden. Dabei hat die Stadt eigentlich einen.

Erst vor einem Jahr wählten die Brandenburger Helmut Schmidt. Der Mann mit den Namen des Exbundeskanzlers sollte alles besser machen. 20 Prozent der Menschen sind arbeitslos. Die Jungen gehen weg, es bleiben die Alten. Seit der Wende regiert die SPD gegen den freien Fall der Stadt. Stillstand nennen viele Brandenburger das, was dabei rausgekommen ist.

„Aber wir haben gedacht, dass mit Helmut Schmidt endlich was passiert“, sagt ein in Jacke und Mütze verstecktes Mädchen, das auf dem Marktplatz Flyer der Grünen verteilt. Doch Schmidt wollte zu viel auf einmal, verlor die Übersicht und die Nerven. Vor zwei Monaten trat er zurück, die Ärzte diagnostizierten Burn-out-Syndom. „Ein kluger Mann“, sagt Norbert Langerwisch milde lächelnd, „aber er war hier nicht zu Hause.“ Langerwisch ist das schon. Er ist wie Brandenburg. Das sagen Kritiker und Leute, die ihn wählen. In seinem Büro hängt ein Bild. Es zeigt den Hafen Brandenburgs, kleine Schiffe, dahinter den Dom. „Nichts gegen abstrakte Kunst“, sagt Langerwisch. „Aber ich will erkennen können, was auf einem Bild ist.“

Die Stadt der Stille soll 2009 mit der unruhigsten Stadt Europas vereinigt werden – mit Berlin. „Vernünftig, aber die Leute interessiert das kaum, die haben eigene Probleme“, sagt Langerwisch. „Nichts gegen Berlin, in drei Teufels Namen soll die Vereinigung kommen.“ Schließlich gehöre ja alles zusammen und das tausendjährige Brandenburg habe einst dem Dorf Berlin das Stadtrecht verliehen. „Die Urkunde liegt im Dom.“

Andere Politiker sagen das Gleiche. Die Leute auf der Straße auch. „Kommt sowieso“, brummt der arbeitslose Konrad Jonas in seine graue Windjacke. „Aber aus zwei armen Ländern wird kein reiches.“ Berlin hat 50 Milliarden Euro Schulden, das Land Brandenburg 15 Milliarden, die Stadt knapp 50 Millionen. Bei so trister Gegenwart leuchtet die Vergangenheit. „Wir sind stolz auf unsere Geschichte“, sagt Langerwisch. Und erzählt von der starken sozialdemokratischen Tradition der Stadt. „Adolf Hitler hat Brandenburg nur einmal besucht“, sagt er fröhlich. „Wir waren ihm zu rot.“ Seit der Wende regiert die SPD auch das Land Brandenburg. Man hatte die absolute Mehrheit und mit Manfred Stolpe einen echten Landesvater.

Doch seit 1999 geht es bergab. Man musste die Macht mit der CDU teilen. Stolpe hinterließ eine unrentable Rennstrecke, die Pleite des Luftschiffbauers Cargolifter und ein uneingelöstes Versprechen für eine Chipfabrik in Frankfurt (Oder). Die überfällige Kommunalreform drückte CDU-Chef und Innenminister Jörg Schönbohm durch. „Er gilt als Macher, die CDU-Minister sind kompetenter als die SPDler“, sagt sogar Petra Faderl, die OB-Kandidatin der PDS. „Aber Schönbohm ist zu poltrig, um beliebt zu sein.“ So ließ dieser hören, die Lebenserfahrungen der DDR-Bürger seien unbrauchbar.

Als Matthias Platzeck, der so gar nicht landesväterliche Nachfolger Stolpes, im weißen Festzelt in Brandenburg spricht, greift er Schönbohm scharf an. Etwa 200 überwiegend weißhaarige Menschen klatschen. Und noch einmal, als Platzeck ruft: „Westdeutsche Politiker haben doch mitbekommen, dass es auch in der DDR Brauchbares gegeben hat.“ Die Poliklinik und das Abitur nach 12 Jahren. Nach ihm redet Langerwisch über sein Brandenburg. Und über den Stolz, einer von hier zu sein.

Aber aller Stolz endet beim Loch. Acht Jahre lang klaffte im Zentrum der Stadt eine Grube. Rathaus und Baufirma wurden sich nicht einig, was dort wie gebaut werden sollte. Die SPD versuchte seit 1995 zu erklären, warum es nicht weiterging. Und dann kam eine kleine, gut gekleidete Frau und schüttete das Loch zu. Sie kandiert für die CDU. „Die Leute konnten es gar nicht fassen“, sagt Dietlind Tiemann und lächelt dünn. „Die haben sich das angeguckt, wie eine Sehenswürdigkeit.“ Tiemann hat einen Doktortitel und führt eine Baufirma. Ständig klingelt ihr Handy. Ihr gehört ein Bürohaus, von dessen Konferenzzimmer der Blick weit über die roten Dächer der Altstadt geht. Ihr Mann besitzt den lokalen Fernsehsender. „Dit sind die Berlusconis von Brandenburg“, sagt ein weißbärtiger Mann, der sich im Oriental Imbiss nach der Arbeit ein Bier holt. „So jewinnt die natürlich.“

Schon vor einem Jahr wäre es fast so weit gewesen. 600 Stimmen fehlten Tiemann gegen Schmidt. „Und der war dann wohl überfordert, na ja“, sagt sie. In diesem Jahr werde es aber klappen. „Die Leute haben genug von der SPD“, sagt Tiemann und sticht mit ihrem Kugelschreiber jedes Versagen der SPD in die Luft. Die teure Sporthalle ist zwei Meter zu klein für internationale Wettkämpfe. Dem Schwimmbad fehlte ein Dach. „Unter Papa Stolpe konnte man pfuschen“, sagt Tiemann. „Bei uns nicht.“ Seit 1998 stieg die Mitgliederzahl der Stadt-CDU von 98 auf 164. Sie tritt mit 65 Kandidaten an, die Sozis haben 46. „Wir sind stolz auf Brandenburg“, sagt die SPD. „Besser für Brandenburg“ steht auf den Plakaten der CDU.