Die Fürsten der Prignitz

Der Fürst: Michael Freiherr von Pallandt, nach Eigenaussage Rentner in Oberbayern. Er ist von seinem Freund Jessie Marsson angesprochen worden, mit seinem Adelstitel das Staatsoberhaupt zu geben. Selbst leben will er dort vorerst nicht.

Der Schlosskäufer: Jessie Marsson, angeblich tätig im Kräuter- und Fahrzeughandel. Er sieht sich als Opfer des amerikanischen MK-Ultra-Programms, mit dem die CIA an ihm Bewusstseinskontrollen erprobt habe. Das Fürstentum wollte er ursprünglich in Afrika gründen, ist dann zufällig auf das zum Verkauf stehende Schloss Krampfer gestoßen. Kaufpreis: 20.000 Euro in bar plus ein Oldtimer.

Der Öffentlichkeitsarbeiter: Jo Conrad, 50 Jahre, wirbt im niedersächsischen Worpswede via Internet für das Fürstentum. Conrad hat sich als Autor verschwörungstheoretischer Wälzer mit antisemitischem Einschlag einen Namen gemacht. Der Thüringer Verfassungsschutz nannte Conrad 2002 einen „Rechtsesoteriker und rechten Medienmann“. KO

AUS KRAMPFER KONRAD LITSCHKO
(TEXT UND FOTOS)

„Brüder und Schwestern, ich begrüße euch von nah und fern. Auf ein gutes Gelingen unseres heutigen Tages!“ Eine kurze Begrüßung an die Bürger, dann setzt sich der Fürst wieder. Michael Freiherr von Pallandt ist kein Mann der großen Worte, auch wenn er sich für diesen Tag staatstragend gekleidet hat: Krawatte unter der grauen Weste, darüber ein schwarzes Sakko, auf der Nase eine ausladende 80er-Jahre-Brille. Es ist ein großer Tag für sein Fürstentum – das „Fürstentum Germania“. Heute wählt es seinen Volksrat, seine Legislative. „Endlich werden wir damit ein handlungsfähiger Staat“ werden die nachfolgenden Redner jubeln.

Michael Freiherr von Pallandts Kleinstaat liegt in dem Dorf Krampfer in der Brandenburger Prignitz, einem Zipfel zwischen Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Das „Fürstentum Germania“ ist 4.000 qm groß, mit einem Schloss als Regierungssitz in der Mitte. Vor nicht einmal sechs Wochen hat es der Fürst auf dem Krampfer Schlossgelände ausgerufen – seitdem steht die Prignitz Kopf. Rechte Spinner vermuten die einen hinter den Schlossmauern, esoterische Aussteiger die anderen. „Die Sache ist einfach nur diffus“, zucken sie in der Gemeindeverwaltung hilflos mit den Schultern.

Am vergangenen Sonnabend sind es knapp 50 angereiste Staatsgründer, die sich im Schlosssaal versammeln. Autos aus Jena, Konstanz, Ravensburg, Braunschweig, Uelzen oder Berlin stehen auf dem Hof. Im Saal sitzen Menschen, kunterbunt gemischt: einige Mittelalte mit Jackett, Hippies im Poncho, Frauen mit Dutt, drei schlohweiße Rentner. Vorne, über dem Fürsten, haben sie ihre Fahne aufgehängt: blau-rot-gelb. Auf einem Tisch liegt auf knittriger weißer Tischdecke ein Schwert, daneben flackert ein Teelicht. Der Fürst sitzt auf einem weißen Gartenstuhl, wie die meisten seiner Bürger. Es ist alles noch provisorisch hier, die Sonne scheint durch die staubigen Fenster, hinten im Saal stehen Tapeziertische, Putz pellt von den Wänden, denn eigentlich ist das Schloss ein Wrack.

Wuchtig und trist steht das grau verputzte Gebäude neben der Dorfstraße, zu DDR-Zeiten nutzte es die Gemeinde als Schule. Drei Stockwerke gibt es, oben heißt ein Transparent „Willkommen!!“. Im Vorgarten drehen sich bunte Windspiele, rechts grasen Schafe. Krampfer ist ein verschlafenes Nest, 260 Einwohner, Teil der Gemeinde Plattenburg. Der Bürgersteig ist menschenleer, links und rechts der Dorfstraße stehen Klinkerbauten und Scheunen. Der Bus fährt dreimal morgens und zweimal nachmittags. Das einzige Geschäft, die Bäckerei Schultz, schließt täglich um 13 Uhr. „So was wie die da drüben hatten wir noch nie“, zeigt Anwohnerin Manuela Rothardt, 42 Jahre, seit zehn Jahren Krampferin, auf das Schloss. „Machen einen Eindruck wie eine Sekte. Was wollen die gerade hier?“

Jessie Marsson lächelt, er hat darauf eine einfache Antwort: „Wir wollen in Freiheit leben, autark, frei von den Zwängen des BRD-Systems.“ Marsson hat das seit der Wende leer stehende Krampfer Schloss von einem Privatmann gekauft. Der Endzwanziger trägt Jackett, darüber eine weiße Jacke mit Pelzkragen, seine blondierten Haare fallen über ein rotes Stirnband. Das mit dem Fürstentum war seine Idee. Ein Alternativstaat soll es sein: basisdemokratisch, naturverbunden, pazifistisch.

Das allerdings ist nicht die ganze Geschichte: Denn die Fürstentümler sehen sich als bewusste Abspaltung von der Bundesrepublik: Totale Überwachung, Schul- und Arbeitsmarktzwänge bemängeln die einen, allerlei Verschwörungstheoretisches wie angebliche Zwangsimpfungen und giftige Kondensstreifen die anderen. Ja, nicht mal ein richtiger Staat sei die Bundesrepublik, sind sich die Fürstentümler einig.

„Das Grundgesetz wurde in der BRD nie vom Volk verabschiedet“, erklärt Sven Switer, ein 25-jähriger Informatiker im hellblauen Pullover und Fürstenbürger der ersten Stunde. Es gelte vielmehr noch die Verfassung des Kaiserreichs von 1871. Die Bundesrepublik sei nur ein Verwaltungskonstrukt der Alliierten, denn über eine Verfassung sei nie abgestimmt worden.

Im Fürstentum hingegen schon. Um sich lästige Einmischungen seitens der großen Bundesrepublik zu ersparen, habe man das Fürstentum als Kirchenstaat gegründet, verrät Switer. „Religionen haben einfach noch am meisten Freiheiten. Das wollen wir nutzen.“ Und der Name Germania sei schlicht eine Reminiszenz an die deutschen Wurzeln.

Rechtsungültige BRD? Souveränes Germania? Anwohner und Experten haben die Fürstentümler mit solcherlei Reden aufgeschreckt. Von einem „bunten Haufen von Verschwörungstheoretikern, Holocaustleugnern und alternativen Aussteigern“ spricht Gabriele Schlamann vom Mobilen Beratungsteam Brandenburg. Der regionale Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche, Thomas Gandow, sieht einzelne Verbindungen in die rechtsextreme Szene. Und der Brandenburger Verfassungsschutz scheint ratlos: Von einer „wilden Gemengelage“ berichtet Sprecherin Dorothee Stacke. Politisch extremistische Bestrebungen seien für sie bisher nicht erkennbar. Aber man werde das aufmerksam verfolgen.

Schlossherr Jessie Marsson wiegelt aufgeregt ab: „Wir sind alles andere, aber nicht rechts.“ Ja, es seien tatsächlich schon Gestalten aus dem rechtsextremen Spektrum aufgetaucht. „Aber die sind sofort wieder weg“, wirft Sven Switer ein. „Unsere unbedingte Friedenseinstellung war denen zu luschig.“ Grundsätzlich stünde es aber jedem frei, Bürger des Fürstentums zu werden. „Heute sind wir schon fast 400 Einwohner“, berichtet Jessie Marsson nicht ohne Stolz.

Nur zehn von ihnen wohnen wirklich im Schloss. Es gibt noch kein Warmwasser hier, Strom erst seit Kurzem, nur drei Räume sind mit den alten Holzöfen und Radiatoren beheizbar. Der Großteil der Bürger nimmt da lieber über das Internet am Geschehen im Fürstentum teil. So haben sich die Staatsgründer überhaupt zusammengefunden. Von „tausenden Unterstützern im Netz“ berichtet Sven Switer. Nicht wenige würden den Schlossbetrieb mit ihren „Schenkungen“ aufrechterhalten. Demnächst will man sogar expandieren. Erst innerhalb Krampfers, dann mit weiteren Exklaven in Deutschland und Europa. Auch die Krampfer Dorfkirche hätten die Fürstentümler hinzukaufen wollen, teilt der evangelische Kirchenkreis mit. Man habe abgelehnt.

Im Schloss hat Volker Köhne, ein Mann mit Schnauzer und Krawatte und selbsternannter Experte für „Germanische Neue Medizin“, die Veranstaltungsleitung übernommen. Er klingelt mit der Tischglocke um Ruhe. „Wir heißen auch die beiden BRD-Überwachungsmänner willkommen“, ruft Köhne förmlich. „Einmal aufstehen, bitte!“ Die beiden Zivilpolizisten erheben sich. Applaus im Saal. „Danke. Sie sind unsere Freunde“, nickt Köhne zufrieden. Als Nächstes ist der Medienvertreter an der Reihe. Auch er wird protokollarisch begrüßt, Applaus.

Zehn Kilometer weiter schüttelt Detlef Brenning den Kopf: „Wir wissen einfach nicht, in welche Richtung dieses Projekt geht.“ Brenning ist Ordnungsamtsleiter von Plattenburg. Das Rathaus steht im Örtchen Kletzke, es ist ein weißer Flachbau mit 15 Mitarbeitern. In Brennings Büro hängen Feuerwehrwimpel und ein Eisbär-Kalender neben den grauen Schränken mit Aktenordnern. Brenning lässt sich den Presseausweis zeigen. Man wisse ja gar nicht mehr, wer hier alles auftaucht.

„Die Krampfer Bürger sind verunsichert. Keiner weiß, wer wirklich hinter dem Fürstentum steckt“, ärgert sich der Endvierziger mit dem Bürstenschnitt und der Brille. Zu einer Informationsveranstaltung seiner Behörde über das Fürstentum im Krampfer Gemeindehaus, gleich gegenüber dem Schloss, kamen mehr als 100 Bürger. Der Pfarrer moderierte, „der Saal klappte aus allen Nähten“, erinnert sich Brenning.

Bereits zuvor hatte die Bürgermeisterin einen Brief an alle Krampfer verschickt. „Mit Sorge betrachtet die Gemeindeverwaltung das Geschehen im Schloss Krampfer“, steht darin. Man bitte die Anwohner, ein Auge auf das Fürstentum zu werfen. Die Polizei hat dort bisher allerdings nichts Strafbares festgestellt. Auch eine Drogenrazzia im Schloss verlief ergebnislos. „Das sind sicher keine Leute, die sich mit dem Grundgesetz identifizieren“, heißt es aus dem Schutzbereich. Aber Extremistisches sei aktuell ebenso wenig zu erkennen.

Im Schlosssaal werden derweil gelbe und rote Zettel für die Abstimmungen in die Luft gestreckt. Ein selbsternannter „medialer Heiler“ wird Chef des Arbeitskreises Gesundheit, eine Heilpraktikerin des AK Religion, Bewusstsein und Energiearbeit. Am Ende wird über die Verfassung abgestimmt. 17 Artikel beinhaltet das Dokument. Von Basisdemokratie ist darin die Rede, der Einführung einer eigenen Währung, der „Dank-Mark“. und der Pflicht jedes Bürgers, einen Obstbaum für die Gemeinschaft zu pflanzen.

Mit der nun erlangten Handlungsfähigkeit, werde man bald Friedensverträge in alle Welt verschicken, kündigt Jessie Marsson an. „Werden diese anerkannt, ist auch das Fürstentum etabliert.“ Dann müsse sich auch die Bundesrepublik mit ihnen auseinandersetzen. Marsson strahlt: „Dieses Fürstentum, das hat das Potenzial einer Massenbewegung.“