„Ich darf alles“

Lustig sein mit Schmerzen: Ein Gespräch mit Max Müller über tragische Filme und das Chaos, das man sich aussuchen kann, seine Band Mutter und deren neues Album, das es zurzeit nur auf Vinyl gibt, und sein beiliegendes Bonus-Album mit Filmmusik

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Verstehen wir das richtig, die neue Platte von Mutter heißt „CD des Monats“ und erscheint nur als Vinyl?

Max Müller: Ist bereits erschienen. Ist, glaube ich, schon fast weg.

Wird es eine zweite Auflage geben?

Ja, aber dann als CD, die „LP des Monats“ heißt.

Verdienen Sie an einer Vinyl-Platte mit 500 verkauften Exemplaren mehr als an einer CD?

Ja. An unseren CDs habe ich nie einen Pfennig verdient, da ist nie was übrig geblieben.

Wäre es nicht sinnvoll, sich in die Nische zurückzuziehen?

Das wäre eine Überlegung. Wir denken darüber nach, ob es überhaupt etwas bringt, die nächste Platte als CD herauszubringen.

„CD des Monats“ liegt eine Bonus-Platte bei mit Film- und Fernseh-Scores von Ihnen. Der Titel ist „Filmusik“. Heißt das: Fil-Musik? Oder: Film-Usik?

Ach, diese Rechtschreibfehler. Mit der deutschen Sprache habe ich es nicht so.

Warum Filmmusik?

Ich mag die Monotonie, ich mag es, eine Stimmung auszuhalten. Aber ehrlich gesagt gehe ich selten ins Kino.

In welchen Film zuletzt?

„Jurassic Park“. Oder „Titanic“? Nein, ich weiß. Wie heißt er noch mal? Dieser Drei-Stunden-Film mit Nicole Kidman im Theater.

Lars von Trier.

„Dogville“! Ja, das war’s. Aber da war mit Musik ja nicht so viel.

Wie sähe der Film aus, den Sie drehen würden?

Was mit Menschen, eine tolle Geschichte und viele Dialoge.

Ein Woody-Allen-Film.

Nein, nicht so einen Quatsch. Ich finde Filme gut, die Humor haben, einen mitfühlen lassen und wenn es dann tragisch wird, wenn es runtergeht, dann geht es richtig runter.

Funktioniert Musik auch so?

Ja, viele Texte von Mutter haben eine humoristische Ader, auch wenn die einem nicht sofort ins Auge springt. Aber lustige Musik mag ich nicht, auch Helge Schneider nicht oder Die Ärzte.

Aber Ihre Musik schmerzt.

Ich habe kein Schmerzproblem. Sie sollten mal meine Band kennen lernen, das sind alles sehr lustige Gesellen.

Vielleicht neigen ja Musiker, die extreme Musik machen, im Privatleben zum anderen Extrem?

Ja. Viele Journalisten sind fast enttäuscht, dass ich nicht todtraurig bin und an der Nadel hänge.

Will man seine dunkle Seite bannen, indem man sie auf der Bühne ausstellt?

Meine Sicht auf die Welt ist positiv: Es ist ein Chaos, aber eines, in dem man sich aussuchen kann, wie man sein will. Ich finde unsere Musik optimistisch, aber wie sie beim Hörer ankommt, darauf habe ich keinen Einfluss.

Aber dass es da eine Diskrepanz gibt, das wissen Sie?

Ja, aber andererseits denke ich mir, dass es vielen so geht, wie es mir früher ging: Als ich als Jugendlicher in Wolfsburg festgesessen habe, hätte ich mich gefreut, wenn ich so etwas Freies, Wildes zu hören gekriegt hätte.

Wie würden Sie einem Marsmenschen Ihre Musik erklären?

Das ist die Menschheit, da ist alles drin, Eifersucht, Schuld, die Grundpfeiler der Zivilisation. In den meisten Texten geht es um Verhaltensweisen: Warum man etwas macht oder nicht. Warum man sich etwas unterwirft. Warum man glaubt, eine Meinung haben zu müssen. Die Leute beschneiden sich ständig in ihrer Freiheit, indem sie sich Regeln auferlegen. Natürlich gibt es Regeln wie Höflichkeit, damit das Miteinanderleben funktioniert, die ich total gut finde. Aber alles, was darüber hinausgeht, das verstehe ich nicht.

Die Musik ist also für Sie eine Möglichkeit auszubrechen?

Ja, da darf ich alles machen. Die Leute haben viel zu viel Angst anzuecken. Das fehlt mir in der Musik, im Film, überall. Diese Angreifbarkeit, die fehlt mir, die höre und sehe ich nicht. Alles ist so harmlos.

Warum sind Mutter nicht harmlos?

Wir können machen, was wir wollen. Wir haben nichts zu verlieren. Wir müssen keine nächste Platte machen, die noch härter sein muss als die letzte.

Warum werden ausgerechnet Mutter als typisch deutsche Band bezeichnet?

Werden wir? [lange Denkpause] Find ich ja gut, wenn wir typisch deutsch sind. Ich mag ja Deutschland sehr gerne.

Auch das Spießige an Deutschland?

Ja, wenn es richtig spießig ist. Nachmittags Kaffee und Kuchen, das mag ich.

Wer ist deutscher: Rammstein oder Mutter?

Rammstein hat nichts mit Deutschland zu tun. Die sind das Schlimmste. Rammstein sind der böse, dumme Osten. Wenn Rammstein typisch deutsch sind, dann sind wir total undeutsch. Dass die ihr letztes Album auch noch „Mutter“ genannt haben, ist eine Frechheit. Das ist doch geklaut.

Mutter: „CD des Monats“; Max Müller: „Filmusik“ (beide zusammen über www.vinyl-on-demand.com). Am Sonntag, 3. 10., 21 Uhr, spielen Mutter mit Britta in der Volksbühne