Ausgrenzung ohne Anführungszeichen

Grammatik der Gefühle: Bei den Debatten-Panels beim Berliner „Black Atlantic“-Festival zeigte sich, wie jedes Sprechen über Rassismus in Deutschland noch immer auf historisch vermintes Terrain führt

Selten war so viel Suchen nach geeigneten Worten, Ichbezug und unschlüssiges Rudern mit den Armen zu erleben wie hier

VON JAN ENGELMANN

Plötzlich ein Innehalten. Sebastian Conrad, der zuvor souverän über postkoloniale Ansätze in der deutschen Geschichtsschreibung referiert hat, stolpert über die eigene Geste. Denn seine in die Luft geschriebenen Anführungszeichen, ein vor allem im akademischen Umfeld gern gepflegter Umgang mit Zitaten und Figuren des „uneigentlichen“ Sprechens, sollte heute nicht verwendet werden – auf ausdrücklichen Wunsch des Publikums.

Es ist mittlerweile ein Kennzeichen jeder Veranstaltung, die sich mit Rassismen beschäftigt, dass auch die Sprechweisen auf dem Podium misstrauisch beäugt werden. Darin bildet auch die „Black Atlantic“-Reihe am Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ keine Ausnahme. Doch schärfer noch als bei einer x-beliebigen Antifa-Veranstaltung im universitären Milieu wird an diesem öffentlichen Ort staatlich geförderter Kulturpolitik auf die Einhaltung gewisser Spielregeln geachtet, bei denen allerdings nie so ganz klar wird, wer sie eigentlich aufstellt.

Bei der Panel-Debatte zur „Deutschen Kolonialgeschichte aus transnationaler Perspektive“ war es ein afrodeutscher Zuhörer, der darauf hinwies, dass selbst beim apostrophierenden Gebrauch von diffamierenden N-Wörtern aus der NS-Zeit deren „falsche Stoßrichtung“ unwillkürlich wiederbelebt würde. „Wer sind die Sogenannten?“, fragte dieser Zuhörer scharf in die Runde, womit er verdeutlichen wollte, dass sich auch jede gut meinende Untersuchung rassistischer Stereotypen auf tückisches Terrain begibt.

Sicher: Ob nun Heike Paul die Projektionen deutscher US-Immigranten auf die afroamerikanische Bevölkerung im 19. Jahrhundert untersuchte oder Yara Colette Lemke Muniz de Faria die „Mischlings-Hysterie“ in den Fünfzigerjahren mit Filmausschnitten belegte – immer stand die suggestive Kraft von Sprache außer Frage. Das Wortgepräge, das sich als bundesrepublikanische Bezeichnung für schwarze GI-Kinder einbürgerte und in Aufklärungsbroschüren wie „Maxi, unser Negerbub“ seine sozialtechnische Verwendung fand, wirkt heute einfach nur noch plump und unzulässig.

Und doch ist seine damalige Wirkung keinesfalls evident. Schließlich beschritt die Bundesrepublik, immer zwischen Fürsorge und Ausgrenzung schwankend, einen äußerst ambivalenten Weg im Umgang mit jenen hybriden Existenzen, die sich erst heute selbstbewusst als „diasporisch“ begreifen. Ob die Entrüstung eines SDR-Reporters über die Lebenssituation einer allein erziehenden Mutter mit schwarzem Kind („Aber es kann doch nicht zum Zirkus gehen!“) 1957 einfach nur kreuzdumm, unsensibel oder vielleicht doch irgendwie mitfühlend gemeint war, ist retrospektiv kaum zu entscheiden. Der Rassismus hat sich gehäutet, seine sprachlichen Fundamente teilweise neu eingekleidet.

Trotz dieser ungelösten Schwierigkeiten war das Bekenntnis zu einem breit angelegten „story telling“ für die Macher der „Black Atlantic“-Reihe von zentraler Bedeutung. Laut der Mitveranstalterin Fatima El-Tayeb ging es darum, mit Gegenmodellen zu den großen Erzählungen einer weißen Moderne „Wasser in die Risse der Geschichte zu gießen“. Lilly Golden, geboren als Schwarze in Usbekistan, lobte Puschkins konstitutive Rolle für die russische Sprache; die Niederländerin Gloria Wekker beklagte hingegen, dass es immer noch keine Form dafür gebe, das schwarze Erbe in Europa pädagogisch zu vermitteln. Der Ruf nach Archiven, nach einer Institutionalisierung der Gegen-Geschichte, bildet so gesehen die gemeinsame Grundlage, auf der die „Dekonstruktion des kollektiven Imaginären“ (Wekker) künftig erarbeitet werden soll.

Während Pascal Grosse und Tina Campt die Repräsentation von Minderheiten in der visuellen Kultur als zu flach kritisierten, kann die kuratorisch auf dieses Defizit antwortende „sound gallery“ im Ausstellungsfoyer indes nicht vollends überzeugen. Eingerahmt von senegalesischem Salsa in der Konzerthalle und Ethno-Kitsch im Museumsshop stellt sich eben nicht jener de-exotisierende Effekt ein, der offenkundig angestrebt war. Zudem drohen „simple storys“ wie jene von Hans Hauck, der als unehelicher Sohn eines algerischen Besatzungssoldaten im Rheinland erst in der Wehrmacht eine Chance zu echter Gleichbehandlung fand, in der bunten Globalkolorit-Ästhetik des Hauses der Kulturen der Welt schlicht und einfach zu versanden.

Und noch eines zeigte sich bei dieser ersten Debatten-Reihe mit dem Titel „Eine andere Geschichte – Gedächtnis, Körpererinnerung, Geschichtsbegriffe“: Wenn der Rassismus eine Art Grammatik des Gefühls ist, so muss zwangsläufig auch jeder Versuch, diese Grammatik zu analysieren, auf emotionale Reserven Rücksicht nehmen. Selten erlebte man so viel Suchen nach den geeigneten Worten, soviel Ichbezug und unschlüssiges Rudern mit den Armen wie in diesen Veranstaltungen. Das mag daran liegen, dass eine antirassistische Zukunft von niemandem, auch von den ausländischen Gästen nicht, ausgemalt werden kann. Schon aus dem Mangel an einer sprachlichen Vereinbarung darüber, wie eine tolerante und trotzdem nicht „differenz-blinde“ Alltagskultur beschaffen sein könnte, blieb den Vortragenden nichts anderes übrig, als das mehrheitlich schwarze Publikum und die mehrheitlich weißen Berichterstatter ihrer Skepsis zu überlassen.

Wie berechtigt diese ist, zeigte ein Artikel der Berliner Boulevard-Zeitung BZ vom vergangenen Wochenende, in dem der afrobrasilianische Bundesliga-Stürmer und Hobby-Gitarrist Cacau dem geneigten Publikum seine „Schokoladen-Saiten“ herzeigen durfte. Ganz ohne Anführungszeichen natürlich.