kirsten fuchs über Kleider
: Jetzt kommt das Sackwetter

Mein Schrank ist eine Kirche, und ich weise niemanden ab. Jeder bekommt bei mir Asyl

Wenn der Herbst alles mit güldenem Licht überzieht und Blätter durch die Gassen treibt, reift bei mir die Erkenntnis, dass ich meine Kleidchen nicht mehr tragen kann, ohne ’ne blaue Lippe zu riskieren. Kleidchen, ade, bald gibt es Schnee. Ich nehme mir einen Abend für das Gegenteil vom Frühjahrsputz – die Herbstsortierung. Im Herbst werden Klamotten ausgemustert. Ich entscheide, wer den Dienst an der Waffe nicht mehr antreten muss. In dem Falle wäre ich die Waffe, so was wie ein Flitzebogen. Die Herbstsortierung ist nicht von ungefähr im Herbst, nicht nur weil sie so heißt, wie sie heißt, sondern weil ich meine Kleidung umschichten muss. In meinen Schrank passt nur eine Jahreszeit.

Und darum zerre ich das Klamottenexil, in Form einer Truhe, aus der Kammer und tausche: dünn gegen dick, Hemdchen gegen Wolfswollepullover mit eingenähtem Kachelofen, Höschen gegen Strumpfhose mit Kaputze, Bikini gegen Lammfellunterwäsche mit Muff, sexy gegen Sack. Jetzt kommt das Sackwetter. Geht mir das auf den Sack? Neiiiiiiin, so gemütlich, Tee, Spaziergänge … natürlich geht mir das auf den Sack! Wer jetzt kein Haus hat, der baut sich auch keines mehr, und wer jetzt Mode mit Pfiff tragen will (so der DDR-Slang) muss eine abgefahrene Bommel an der Mütze haben. Die Bommel darf aber nicht zu schwer sein, sonst sagen die Mitmenschen den ganzen Winter tröstend: „Kopf hoch, der Frühling kommt ja bald!“, und wer lässt sich schon gerne anlügen. Der Frühling kommt nicht bald.

Da Kleidung für warme Tage aus wenig Stoff besteht, passt im Sommer immer alles, was ich brauche, in meinen Schrank. Im Herbst wird’s eng. Da heißt es Abschied nehmen. Alle antreten zur Musterung! Der Boden ist voller Fehlkäufe. Ich mache mir erst mal Tee. Dann spucke ich mir in die Hände, ekel mich, gehe mir die Hände waschen und dann fange ich an.

Du da, Samthose, vortreten! Was is’n das für ’ne kranke Farbe? Das ist nur mit Schwarz kombinierbar oder mit derselben Farbe. Und tatsächlich habe ich noch eine passende Jacke dazu. Das hatte ich definitiv länger als zwei Jahre nicht an und das ist die inoffizielle Aussortierregel: Was länger als zwei Jahre nicht getragen wurde, geht übern Jordan und wird in den Second-Hand-Kreislauf eingespeist. Aber mir fällt ein guter Grund ein, warum ich den irgendwie-mintfarbenen Anzug lange nicht getragen habe. Ich hatte keinen Mut. Vielleicht habe ich mal wieder Mut, in diesem Aufzug, äh, Anzug rumzulaufen. Na ja, rin in Schrank.

Und was ist das für ein hässlicher Pullover? Ach der, den ich gestrickt habe, und da bin ich auch stolz drauf. Ich kann ihn ja ganz unten in den Schrank packen, denn tragen werde ich ihn wohl nicht. Du da, Jeanshose, du bist zwei Jahre nicht getragen worden, und das ohne Ausrede, denn du gefällst mir nicht und warst schon immer zu groß. Die Jeanshose erinnert mich daran, dass ich sie von der Kammer in die Stube getragen habe, mit eigenen Händen. Mann, diskutiere ich mit Hosen? Ja, sagt die Hose. Gut, ich kann die Jeans noch als Umzugshelfer zerschindern. War das nicht letztes Jahr derselbe Grund, warum die Hose wieder Asyl in meinem Schrank bekam?

Mein Schrank ist eine Kirche und ich weise niemanden ab, jeder bekommt Asyl.

So, diese Puppenjacke fliegt jetzt aber weg. Ich habe die Faxen dicke. Zwei Jahre nicht getragen und viel zu klein. Ich könnte sie nur anziehen, wenn ich wüsste, dass ich den ganzen Tag die Arme nicht bewegen muss. Aber die Jacke habe ich in Rom gekauft und sie ist mir heilig. Und was heilig ist, kommt erst recht in den Schrank. Vielleicht brauche ich mal eine Zwangsjacke.

So ein Reliquienschrein: riesen T-Shirt vom Exfreund, Strickjacke von Opa, eine geborgte Hose von einer Freundin, die jetzt weit weg wohnt und mir fehlt … Warum hänge ich so an Klamotten, die an mir hängen?

Ich schmeiße ein paar Handschuhe weg und freue mich darüber wie ein Schneekönig. Ih, Schnee, kalt!

Da brauche ich Handschuhe. Ich hole die Handschuhe wieder aus dem Berg der aussortierten Klamotten, der nur aus den Handschuhen bestand. Um mir nächstes Jahr diesen Abend zu ersparen, ziehe ich alle Klamotten der Reihe nach mal an, von wegen, die letzten zwei Jahre nicht getragen … ich brauch einfach einen größeren Schrank. Mein Bücherregal wird ja auch immer größer, denn ich werfe nie Bücher weg, die ich zwei Jahre nicht gelesen habe.

Für Unterwäsche ist die Zwei-Jahres-Regelung übrigens andersrum. Wenn sie zwei Jahre ununterbrochen getragen wurde, mache ich Putzlappen draus. Dann kommen schöne Erinnerungen auf, während auf den Knien unter der Heizung gewischt wird: Hab ich den Schlüpfer nicht mal ausgezogen bei …? Ja, im Frühling war das.

Fragen zu Kleidchen?kolumne@taz.de